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Orchesterlieder von Richard Strauss und Jean Sibelius

Richard Strauss komponierte die Mehrzahl seiner 170 Lieder anfangs für Stimme und Klavier. Durch nachträgliche Orchestrierung verstärkte er die Wirkung vieler Klavierlieder und verlieh seiner Lyrik mehr Tiefenschärfe und Kolorit, erzwang damit aber auch eine neue Art der Aufführung.

Von Frank Kämpfer | 27.08.2006
    Heute geht es um Orchesterlieder um 1900 - wozu ich Ihnen zwei kürzlich erschienene Neuproduktionen anspielen will:

    " Musikbeispiel: Sibelius - aus: "Kaiutar" "

    Unterwegs durch die Unwegsamkeit, allein, verlustig gegangen des Einen, mit dem sich Zukunft verbindet. Ein Dauerzustand? Der Ausgang zumindest ist unklar, die Suche könnte vergebens sein ... Das Sujet und die darin enthaltene Rollenverteilung ist alt, uralt und auch in Larin-Kyöstis Gedicht "Kaiutar" ist der unklar Verschollene männlich, und die, die ihn aufwendig sucht, eine Frau. In diesem Fall ist sie zur Waldfee erhoben, hat Sümpfe und dichten Wald zu durchmessen und ist immerzu auf ihr eigenes Echo geworfen.

    In Jean Sibelius' eben gehörter Liedminiatur ist der Bericht gleichfalls von einer Frauenstimme zu geben, derweil das Orchester oder Begleitinstrument die Verse sortiert und musikalische Stimmungslandschaften erstellt. Mit seinem op. 72 Nr. 4 ist Sibelius in seiner Textwahl um 1914/15 wieder zur finnischsprachigen Lyrik zurückgekehrt, nachdem hier zuvor schwedische Autoren dominierten. Musikalisch ist Wiedererkennbarkeit angestrebt - der Komponist nimmt unüberhörbar Bezug auf Instrumentation und Klangwelt der Kullervo-Sinfonie. Dem im Kalevala-Stil gehaltenen Vers verpasst Sibelius ein idyllisches, von impressionistischen Farben durchsetztes Gewand aus melancholischer Schwere, Symbolismus und Naturschwärmerei. Typisch finnische Musik? Wiewohl er hier seinerzeit Idiom prägend war, so hat sich Jean Sibelius in seinem recht beträchtlichen Oeuvre an Liedern nie bei der nationalen Folklore bedient. Im Gegenteil - Motivik, Gestus und Klangwelt sind des Komponisten Erfindung und in unmittelbarer Abfolge von Liedern aus verschiedener Zeit ist stilistische Vielgestalt unüberhörbar.

    Dies zu verdeutlichen versucht eine Produktion, die im Sommer beim finnischen Label Ondine erschien und einen Querschnitt durch das Liedwerk des Komponisten enthält. Balladeskes wechselt hier mit Opernnahem, Klangmalerei folgt Reduktion. Hinsichtlich ihrer Entstehung ist die Mehrzahl der Titel um die Jahrhundertwende anzusiedeln. Dass sie bei flüchtigem Hören in ihrem grundsätzlich getragen-meditativen Duktus einander ähneln, mag u.a. auch der Sprache der der späteren Orchestrierung durch Sibelius, dessen Schwiegersohn Jussi Jalas und andere geschuldet sein.

    Wiewohl es bei genauerem Prüfen hier diverse Spezifika und Feinheiten zu hören gibt - Überraschungen fehlen. Zwei Interpreten von Rang stehen für Auswahl und Interpretation, sie haben mit ihrer CD die allbekannte Marke Jean Sibelius reproduziert: Nichtsdestotrotz agiert Sopranistin Soile Isokoski mit Sensibilität und Feinnervigkeit. Inniglich wirkt ihre Stimme, zuweilen entwächst ihr Intensität. Dirigent Leif Segerstam wiederum gelingt eine sehr differenzierte Abstimmung zwischen Solistin und Klangkörper - dem Philharmonischen Orchester Helsinki.

    Ein zweites Klangbeispiel verdeutlicht: es handelt sich um die Rydberg-Vertonung "Pa veradan vid havet" aus dem Zyklus op. 38. "Auf dem Balkon am Meer" bietet sich dem Betrachter/Hörer ein doppeldeutiges Bild: Die Frage nach Dauer und Vergänglichkeit als Erscheinung in der Natur ist eine Frage des Menschen. Chromatik und Melancholie erzeugen einen romantischen Spannungszustand.

    " Musikbeispiel: Sibelius - aus: "Pa veradan vid havet" "

    Orchesterlieder von Jean Sibelius - eingespielt für das Label Ondine mit Soile Isokoski und dem Philharmonischen Orchester Helsinki unter Leif Segerstam.

    Die zweite Produktion, die ich Ihnen heute anspielen will, versammelt Kompositionen, die etwa zeitgleich, doch anderen Ortes und in anderen Wirkenszusammenhängen entstanden. Auch Richard Strauss komponierte die Mehrzahl seiner 170 Lieder anfangs für Stimme und Klavierpart. Wenn er ein Klavierlied nachträglich orchestrierte, so geschah dies mit dem Ziel, musikalische Wirkungen auszureizen. Der Meister der Instrumentierung verlieh seiner Lyrik dabei nicht nur Tiefenschärfe und Kolorit - orchestriert gewannen seine Miniaturen an Dimension und verlangten nun eine Bühne und Darbietung gänzlich anderer Art als Klavierlied und Kammermusik.

    Im Strauss'schen Œuvre bildet die Lyrik (auch chronologisch) eine Art Bindeglied zwischen reiner Orchestermusik und der Oper. Beider Elemente finden sich auch im Lied: die harmonisch-kontrapunktischen Finessen des Instrumentalkomponisten und der stets szenische Geist des Gesangsparts, von dem der Komponist immenses Können verlangt. Überall findet sich musikalische Fülle, eine bestrickende Sinnlichkeit des Klanggeschehens, Theater in Miniatur.

    Die Mehrzahl der auf der folgenden CD versammelten Titel stammen aus der Zeit um 1900, bevor Strauss sich als Opernkomponist durchzusetzen begann. Es sind - wenn man so will - Jugendzeugnisse, und es sind Dokumente einer Epoche. Denn Strauss vertont die Lyriker seiner Zeit: Otto Julius Bierbaum, Heinrich Hart, Richard Dehmel. Bemerkenswert ist das Finale: die Platte schließt mit einem Spätwerk: den berühmten "Vier letzten Liedern" op. 150, die Ende der 1940er Jahre entstanden. Sopranistin Michaela Kaune obliegt es, dieses halbe Jahrhundert zu überbrücken. Der gebürtigen Hamburgerin gelingt dies auf bemerkenswert unspektakuläre Art. Ihr Strauss wirkt natürlich, uneitel, unverstellt, als wäre sie den Intentionen des Komponisten sehr nah. Der Pracht des vollen Orchesters begegnet sie mit einem schlichten, warmen, partiell kammermusikalischen Gestus; sie vermag, große Bögen zu spannen, Vibrato und Artikulation sind präzise bemessen. Ob kluger und gelungener Mikrofonierung und Abmischung wirken die im Sendesaal des Norddeutschen Rundfunks Hannover mit der NDR Radiophilharmonie unter Eiji Oue eingespielten Aufnahmen klar, nahbar, souverän musiziert.

    Ein Beispiel belegt: Der "Gesang der Apollopriesterin" op. 33. Nr.2 von 1896. Dieser Titel entstand im Rahmen der Vier Gesänge für Singstimme mit Begleitung des Orchesters und bietet stilistisch eine bemerkenswerte Zweigleisigkeit: das Opus birgt Wagner-Anklänge - "Parsifal" scheint zugegen - und zugleich naht die Moderne; der Salomé-Ton ist schon vorausahnbar.

    " Musikbeispiel: aus: Strauss - "Gesang der Apollopriesterin" "

    Michaela Kaune (Sopran) und die NDR Radiophilharmonie unter Eiji Oue haben frühe und späte Orchesterlieder von Richard Strauss eingespielt. Erschienen ist diese CD im Frühjahr diesen Jahres beim Hamburger Label BERLIN Classics. Zuvor habe ich Ihnen Orchesterlieder von Jean Sibelius mit Soile Isokoski und dem Philharmonischen Orchester Helsinki unter Leif Segerstam angespielt, die bei finnischen Label Ondine erschienen. In Deutschland ist diese CD über den Vertrieb Klassik Center Kassel oder im Fachhandel zu erwerben.

    CD 1:
    Titel: Jean Sibelius - Orchesterlieder
    Solistin: Soile Isokoski
    Orchester: Philharmonisches Orchester Helsinki
    Leitung: Leif Segerstam
    Label: Ondine / Vertrieb: Klassik Center Kassel
    Labelcode: LC 03572
    Bestellnr.: SACD ODE 1080-5

    CD 2:
    Titel: Richard Strauss - Frühe und späte Orchesterlieder
    Solistin: Michaela Kaune
    Orchester: NDR Radiophilharmonie Hannover
    Leitung: Eiji Oue
    Label: Berlin classics
    Labelcode: LC 06203
    Bestellnr.: 0017812BC