Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Orchestermusik von Thea Musgrave
Turbulente Klanglandschaften

Die schottisch-amerikanische Komponistin Thea Musgrave feierte im vergangenen Jahr ihren 90. Geburtstag und blickt auf ein umfangreiches wie vielseitiges Oeuvre. Ihre Klangsprache fesselt vor allem auf emotionaler Ebene, wie die aktuelle Aufnahme mit dem BBC National Orchestra of Wales beweist.

Am Mikrofon: Yvonne Petitpierre | 10.02.2019
    Die Komponistin Thea Musgrave ist seitlich vor einem grünen Bild zu sehen
    Urheberin orchestraler Neoromantik: die gebürtige Schottin Thea Musgrave (Bryan Sheffield)
    Musik: Thea Musgrave - "Dramatic" aus:"Phoenix Rising"
    Bereits vor 20 Jahren wurde das Orchesterstück "Phoenix Rising" von Thea Musgrave uraufgeführt und sorgte im Rahmen der BBC Proms für einen außergewöhnlichen Publikumserfolg. Auf dieses und zwei weitere Werke aus der Feder der Komponistin fällt heute der Blick. In der aktuellen, klanggewaltigen Einspielung, die kürzlich beim Label Lyrita erschienen ist, leitet William Boughton das BBC National Orchestra of Wales.
    Schon nach wenigen Takten entpuppt sich die abwechslungsreiche Partitur zu einem theatral anmutenden symphonischen Kaleidoskop. In den Mittelpunkt der kraftvollen, teilweise romantischen Musik rücken Horn und Pauken. Die ursprüngliche Idee, so Musgrave, war die Schaffung einer einzelnen Bewegung, die sich über wechselnde Klangfarben erweitert und aus Momenten der Dunkelheit hinein ins Licht entwickelt. Ein Schild mit der Aufschrift "Phoenix Rising" vor einem Coffee Shop in Virginia lieferte die Inspiration.
    Thea Musgrave wollte der uralten Fabel des aufsteigenden Phönix als Versprechen von Hoffnung und Wiedergeburt eine musikalische Sprache geben. Das Schild erschien ihr als die entsprechende Visualisierung dessen, was in der gut 20-minütigen Komposition geschehen sollte. Das zentrale Stück ist der magische Moment, indem Phönix aufsteigt. Ein kurzer geheimnisvoller Abschnitt beginnt mit tiefen Akkorden, die von zwei, im Orchesterapparat weit auseinander platzierten Harfen gespielt werden. Diese Klänge wandeln sich und steigen allmählich auf zu einem leuchtenden Akkord, der von Marimba, Vibraphon, Xylophon und Glockenspiel übernommen wird.
    Musik: Thea Musgrave - "Dramatic" aus:"Phoenix Rising"
    Diese musikalische Erzählung von Thea Musgrave wirkt zu jedem Zeitpunkt überraschend, ohne mit gewaltigen harmonischen Brüchen zu spielen. Es dominieren subtile klangliche Wendungen, die atonale Anklänge erkennen lassen, aber auch lyrische Linien und äußerst unterhaltsame Passagen. Hörbar werden verschiedenste Stimmungen, die sich im Kräftekonflikt zwischen Horn und Percussion abspielen.
    Im Schlusssatz "Peaceful" umspielen die hohen Streicher das Cello, dessen Stimme jetzt vom Horn übernommen wird - eine unerwartete Wendung, die aber für die Kompositionssprache von Thea Musgrave sehr charakteristisch ist.
    Musik: Thea Musgrave - "Peaceful" aus "Phoenix Rising"
    Akustische Verschiebungen im Raum
    Seit gut 60 Jahren gehört Thea Musgrave vor allem in England und den USA zu den bedeutendsten Komponistinnen ihrer Generation. Geboren wurde sie am 27. Mai 1928 in Schottland. Musgrave begann ihr Kompositionsstudium in Edingburgh bei Hans Gál und wechselte nach Abschluss zu Nadja Boulanger nach Paris, bei der sie über vier Jahre privaten Unterricht nahm. Großes Vorbild war auch der Pianist und Musikwissenschaftler Donald Francis Torvey und dessen Idee einer weitreichenden harmonischen Planung.
    Nach langjähriger Dozententätigkeit in England ging Musgrave in die USA, studierte u.a. bei Aaron Copland. Seit den späten 70er Jahren lebt und arbeitet sie in Virginia.
    In ihren Kompositionen findet sich kaum Atonalität, vielmehr setzt Musgrave auf sehr gezielte dramatische Gesten. Neben Benjamin Britten oder Thomas Adès gehört sie zu den produktivsten Opernkomponistinnen in Großbritannien. 1977 sorgte die Weltpremiere ihrer Oper "Mary Queen of Scots" für großes Aufsehen. Zahlreiche ihrer Orchesterwerke, Solo- und Chorstücke entstehen als Auftragswerke für die BBC und werden im Rahmen der "Proms" uraufgeführt.
    Musik ist für die Komponistin Thea Musgrave nach eigenen Aussagen vor allem ein unglaubliches Abenteuer, auch wenn die konkrete musikalische Ausarbeitung auf Wiedererkennungseffekte setzt. Ihre Kompositionstechniken zeugen weniger von radikaler Innovation, werden aber durch ihre Kombinationen und instrumentalen Positionierungen zu sehr individuellen Stücken, die beim Hören immer ein breiteres Publikum ansprechen, aber auch Neugier provozieren. Ihr persönliches Anliegen ist es, jeder Komposition eine dramatische Komponente zu geben, was auch über szenische Gestaltungsmomente im Ensemble gelingen kann. Davon zeugen u.a. schon ihre frühen Konzerte für Horn oder Klarinette, in denen sich der Solist durch verschiedene Segmente des Orchesters bewegt und mit jeweils anderen Instrumenten- oder Stimmgruppen in einen konzertanten Dialog tritt.
    Eine Kollegin notiert über ihre einnehmende kompositorische Handschrift, dass "Musgrave die Fähigkeit zur ständigen Selbsterneuerung in Verbindung mit einem scharfsinnigen Bewusstsein für das, was gerade geschieht", habe.
    Kontrastreiche Begegnung
    Aus dem Jahr 2012 stammt das Orchesterstück "Loch Ness – A postcard from Scotland", das hier mit dem BBC National Orchestra of Wales in einer Ersteinspielung vorliegt. Eigentlich handelt es sich um ein virtuoses Konzert für Tuba und Orchester, doch solistische Passagen sind hier nicht Form gebend. Die Tuba übernimmt vielmehr eine ausgedehnte melodische Führung im Orchester und kommuniziert vor allem mit einem dicken Blechbläserapparat.
    Schottlands Loch Ness ist berühmt für seine Seeungeheuer, dem Thea Musgrave über den Einsatz der Tuba eine eigene Stimme gibt, wenn sich diese aus den dunklen Tiefen erhebt. Kontrastiert werden die Tubaklänge von der Trompete, die sich stimmungsvoll zur Sonne erhebt. Dem Hörer bleibt ein eher anmutiges, unterhaltsames Stück, das sich teilweise in plakativen Gesten verliert und trotzdem in den Bann zieht.
    Musik: Thea Musgrave - "Loch Ness – A Postcard from Scotland" (Ausschnitt)
    Die britische Zeitung "The Guardien" schreibt anlässlich des 85. Geburtstages von Thea Musgrave: "Ihr Idiom ist eine sorgfältig konstruierte Mischung aus einer erweiterten Tonalität, die niemals ihre harmonischen Ziele aus den Augen verliert und Momente lebhafter expressionistischer Intensität einschließen kann. Ihre Musik kommuniziert auf der unmittelbarsten Ebene, weil es oft so einfach angenehm zu hören ist."
    Wirrungen der Liebe
    Das dritte Werk dieser aktuellen Aufnahme gilt der Gattung Lied. Unter dem Titel "Poets of Love" - der Titel lässt es ahnen - thematisiert es die Liebe zwischen Verzückung und Verzweiflung. Der 17-teilige, sehr athmosphärische Liederzyklus aus dem Jahr 2009 ist geschrieben für Tenor und Bariton mit vierhändiger Klavierbegleitung. Die einzelnen Lieder basieren auf Gedichten sehr unterschiedlicher Dichter quer durch die Jahrhunderte und in verschiedenen Sprachen. Rilke, Goethe, Hölderlin, Shakespeare oder Fedor Tyutchev liefen hier u.a. die Vorlagen für emotionsgeladene Spielarten rund um die Liebe.
    Musik: Thea Musgrave - "Poets of Love" (Ausschnitt)
    Nathan Vale, Tenor und Simon Wallfisch, Bariton sowie Simon Callaghan und Hiroaki Takenouchi, Klavier.
    Insgesamt hat Musgrave den Liedzyklus in vier Gruppen konzipiert, sodass die einzelnen Lieder quasi ohne Pause aneinandergereiht sind und sich teilweise sogar überlappen. Duette und Soli wechseln einander ab - wobei der Tenor weitgehend den romantischeren Part übernimmt, der Bariton den pragmatischen, manchmal auch den zynischen. Durch die fast nahtlose Aneinanderreihung entsteht ein Spannungsfeld mit wechselnden Kontexten, das trotz weitgehend harmonischer Klavierbegleitung vom Hörer permanente Aufmerksamkeit fordert.
    Musik: Thea Musgrave - "Poets of Love" (Ausschnitt)
    Vorgestellt habe ich Ihnen heute eine kürzlich erschienene Aufnahme mit drei Kompositionen von Thea Musgrave. Die beiden Orchesterwerke spielte das BBC National Symphony Orchestra unter der Leitung von William Bougthon, den Liederzyklus gestalteten Nathan Vale, Tenor, Simon Wallfisch, Bariton sowie Simon Callaghan und Hiroaki Takenouchi, Klavier. Erschienen ist die Einspielung beim Label Lyrita, im Vertrieb über NAXOS erhältlich, ebenso finden sie unter www.naxos.de weitere Informationen zur CD.
    Thea Musgrave: Phoenix Rising / Loch Ness / Poets in Love
    BBC National Orchestra of Wales, Ltg. William Boughton
    Lyrita CD/ SRCD.372, LC keine Angabe
    EAN: 5020926037220