Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Orchesterwerke
Alexander Zemlinsky als Jung-Sinfoniker

Das BBC National Orchestra of Wales unter dem britischen Dirigenten Martyn Brabbins hat Alexander Zemlinsky nicht als den Opernkomponisten beleuchtet, der er in späteren Schaffensjahren war. Die neue Aufnahme befasst sich mit dem frühen sinfonischen Werk des österreichischen Komponisten.

Von Johannes Jansen | 16.03.2014
    Als Komponist ist Alexander Zemlinsky vor allem durch seine Opern in den Blickpunkt gerückt, nachdem man ihn lange Zeit nur als Randfigur im Umkreis der Wiener Moderne wahrgenommen hatte - und dort vor allem als Schwager Arnold Schönbergs und Nebenbuhler Gustav Mahlers.
    Eine kürzlich beim Label Hyperion erschienene CD beleuchtet ihn nicht als den Opernkomponisten, der er später war, und auch nicht als Gegenstand eines gewissen Klatschinteresses, sondern als Jung-Sinfoniker, dessen erstaunliche Begabung jede Aufmerksamkeit rechtfertigt. Eingespielt hat diese neue Platte das BBC National Orchestra of Wales unter dem britischen Dirigenten Martyn Brabbins.
    Neben der Lyrischen Sinfonie aus dem Jahr 1924, die freilich eher der Gattung Orchesterlieder zuzurechnen ist, und der gut zehn Jahre danach entstandenen Sinfonietta existieren von Zemlinsky nur zwei weitere Sinfonien und ein Sinfonie-Fragment, die allesamt aus der Zeit vor der Jahrhundertwende stammen. Eine "Symphonie vom Tode", entworfen unter dem Eindruck der schmerzhaften Trennung von Alma Schindler (die dann Mahler ihr Jawort gab), blieb unausgeführt, dürfte in Teilen aber in die Sinfonische Dichtung "Die Seejungfrau" eingeflossen sein.
    1871 geboren, hatte Zemlinsky schon seit 1884 das Wiener Konservatorium besucht und sich als Pianist wie als Student der Musiktheorie und Komposition auszeichnen können. Der entscheidend prägende Einfluss ging freilich weniger von seinen dortigen Lehrern aus als von Johannes Brahms, der ihm zwar nur in losem Kontakt verbunden war, aber als Schulhaupt des Traditionalismus - zu dem er sich freilich nicht selbst erhoben hatte - gleichsam über allem schwebte.
    Sinfonie d-Moll, Allegro scherzando (2. Satz)
    Was einst Beethoven für ihn gewesen war - ein einschüchternder Riese, den er immer "hinter sich marschieren" hörte -, war Brahms nun selbst, und wer etwas werden wollte im konservativ gestimmten Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, tat gut daran, sich zu ihm zu bekennen. Es war auch eine Überlebensfrage. Wer die Chance bekam, den in allen musikalischen Fragen tonangebenden Musikverein als Sprungbrett zu nutzen, hatte dem dort herrschenden Geschmack zu gehorchen und von stilistischen Anleihen bei Brahms-Gegenspielern wie Bruckner oder Tschaikowsky - aber auch dafür finden sich Beispiele in Zemlinskys d-Moll-Sinfonie - allenfalls sparsamen Gebrauch zu machen. Das Kalkül ging auf. Bei der Uraufführung des ersten Satzes in Anwesenheit von Brahms erntete das noch als Abschlussarbeit fürs Konservatorium entstandene Werk allgemeinen Beifall.
    Mit einem späteren Streichquintett legte Zemlinsky gleichfalls Ehre ein - wieder war Brahms zugegen und fand unerwartet lobende Worte: "Sieht überall Talent heraus". Aufs Schönste erfüllte dann alle Hoffnungen die B-Dur-Sinfonie, mit der sich Zemlinsky an einem Wettbewerb des Tonkünstlervereins beteiligte und schließlich den von Brahms mitfinanzierten Beethoven-Preis gewann.
    Sinfonie B-Dur, Sostenuto - Allegro (1. Satz)
    Die in Brahms’ Todesjahr 1897 entstandene B-Dur-Sinfonie zeigt gegenüber dem Vorgängerwerk bedeutende Fortschritte in formaler Hinsicht. Souverän durchgestaltet ist vor allem der groß dimensionierte erste Satz, der ebenso selbstbewusst, wie er rhythmische und Klanggesten à la Mendelssohn und Dvorák integriert, Wagnersche Einflüsse nicht verleugnet. Wagner liefert auch die Chiffre, anhand derer das für den Wettbewerb ohne Namensnennung eingereichte Werk zu identifizieren war: "Wer Preise erkennt und Preise stellt, der will am End auch, dass man ihm gefällt." Es ist ein doppelbödiges, heute auch der gedruckten Partitur vorangestelltes "Meistersinger"-Zitat, das sich als ironischer Gegenakzent zur eigenen wie auch zur Brahms-Lastigkeit der Jury deuten lässt.
    Sinfonie B-Dur, Moderato (4. Satz)
    In direkter Abhängigkeit von Brahms steht der an das Passacaglia-Finale aus dessen vierter Sinfonie angelehnte Schlusssatz. Doch auch darin zeigt sich Zemlinsky, um noch einmal die "Meistersinger" zu bemühen, als flügge gewordener Vogel, dem "der Schnabel hold gewachsen".
    Zemlinsky hatte sich aus der Umklammerung des "Brahminentums" gelöst. Aber noch Jahre später, nachdem er kompositorisch neue Wege und parallel dazu eine erfolgreiche Dirigentenlaufbahn eingeschlagen hatte, schrieb er seinem Freund, Schwager und Schüler Arnold Schönberg: "Dirigiere ich heute eine [Brahms-]Symphonie oder spiele eines seiner herrlichen Kammermusikwerke, stehe ich wieder ganz im Banne der Erinnerung an jene Zeit." Martyn Brabbins und das BBC National Orchestra of Wales zollen dieser gewissermaßen vor-modernen Zeit Tribut durch eine zwar farbsatte, doch niemals grelle und in allen Instrumentengruppen ausgeglichene Klanggebung. Vor allem durch die Bläser fühlt man sich von Wales nach Wien versetzt wie von einem milden Wärmestrom, der seine Entsprechung hat in wunderbar schwingenden Tempi ohne Überhast, ohne gewaltsame Rückungen und künstlich aufgesetzte Akzente.
    Als jemanden, der mit brahmsscher Behäbigkeit (und einer Hand in der Hosentasche) dirigiert, darf man sich Brabbins freilich nicht vorstellen, eher schon wie den als Dirigenten vielbewunderten Zemlinsky, von dem man weiß, dass er bei aller Wachheit und Sprungbereitschaft nach den Beobachtungen eines Prager Kritikers ein "im Wesen intimes Musizieren" pflegte.
    Die neue Platte:
    Alexander Zemlinsky, Sinfonien d-Moll (1892/93) und B-Dur (1897)
    BBC National Orchestra of Wales, Leitung Martyn Brabbins
    Hyperion (LC 7533), Best.nr. CDA67985 (EAN 034571179858), 2013