Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Orchesterwerke von Alberto Ginastera
Musikalischer Gruß an die Pampa

Der 1983 verstorbene Argentinier Alberto Ginastera zählt zu den wenigen Komponistenpersönlichkeiten Südamerikas, die auch international großes Ansehen genießen. Am 11. April wäre er 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum hat das englische Label Chandos jetzt den ersten Teil einer auf drei CDs angelegten Edition mit Orchesterwerken Ginasteras veröffentlicht.

Von Jochen Hubmacher | 14.02.2016
    Straße auf der Halbinsel Valdez nahe Puerto Madryn, Patagonien.
    Alberto Ginastera: "Wann immer ich die Pampa durchquert oder für eine Weile dort gelebt habe, hat sich mein Geist überflutet gefühlt von wechselnden Eindrücken. Mal freudig, mal melancholisch (…)." (dpa / picture alliance / Daniel Gammert)
    Besprochene CD:
    Alberto Ginastera
    Orchestral Works 1
    Pampeana Nr. 3, op. 24
    Ollantay, op. 17
    Estancia, op. 8
    Lucas Somoza Osterc, Bariton
    BBC Philharmonic
    Ltg.: Juanjo Mena
    Label: Chandos
    LC: 7038
    CHAN 10884
    EAN: 095115188422
    Am Mikrofon begrüßt Sie Jochen Hubmacher. Guten Morgen, oder passender für die CD, die ich Ihnen heute vorstellen werde: Buenos Días!
    Musik 1:
    Aus: Estancia, op. 8
    K: Alberto Ginastera
    La doma
    CD Tr. 14
    Wilde Pferde und mutige Männer, die sie zähmen wollen. Mittenhinein in die argentinische Pampa hat uns BBC Philharmonic, das englische Rundfunkorchester aus Manchester katapultiert. "La doma" nennt sich der nicht ganz ungefährliche Zeitvertreib der argentinischen Gauchos, der bei den nordamerikanischen Cowboy-Kollegen "Rodeo" heißt.
    Alberto Ginastera hat "La doma" in seinem Ballett "Estancia" ein musikalisches Denkmal gesetzt. Der 1983 verstorbene Argentinier zählt zu den wenigen Komponistenpersönlichkeiten Südamerikas, die auch international großes Ansehen genießen. Am 11. April wäre er 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum hat das englische Label Chandos jetzt den ersten Teil einer auf drei CDs angelegten Edition mit Orchesterwerken Ginasteras veröffentlicht. Am Pult von BBC Philharmonic steht dessen spanisch-baskischer Chefdirigent Juanjo Mena.
    Alberto Ginasteras Stil hat sich im Laufe seiner Karriere stark gewandelt. Ausgehend von einer folkloristisch eingefärbten Tonsprache orientierte er sich mehr und mehr an der Ästhetik der zweiten Wiener Schule, namentlich an Alban Berg. Obwohl die Kompositionen damit zunehmend komplexer wurden, zieht sich doch eine Konstante durch fast alle Werke Ginasteras. Und zwar die gemeinsame Inspirationsquelle, sprich: Uralte Legenden, Volkslieder- und Tänze sowie die Schönheit der Natur seiner argentinischen Heimat.
    "Wann immer ich die Pampa durchquert oder für eine Weile dort gelebt habe, hat sich mein Geist überflutet gefühlt von wechselnden Eindrücken. Mal freudig, mal melancholisch, manche voller Euphorie und andere voll einer tiefen Ruhe, erzeugt durch die grenzenlose Weite und die Verwandlung, welche die Landschaft im Laufe eines Tages erlebt."
    Musik 2:
    Aus: Pampeana Nr. 3, op. 24
    K: Alberto Ginastera
    Nr. 3: Largo con poetica esaltazione
    CD Tr. 3
    Gleich drei seiner Kompositionen nannte Alberto Ginastera "Pampeana". Der Titel verweist ganz dezidiert auf die Pampa, jene südamerikanische Grassteppe, deren größter Teil, rund 500.000 Quadratkilometer, in Argentinien liegt. Seine dritte Pampeana, aus der wir gerade eine Passage gehört haben, schrieb Ginastera für großes Orchester. 1954 entstanden, ist sie das jüngste der insgesamt drei Werke, die BBC Philharmonic auf der vorliegenden CD eingespielt hat.
    Rund 15 Jahre liegen zwischen Pampeana Nr. 3 und dem eingangs bereits angeklungenen Ballett Estancia. Der sich abzeichnende Stilwandel Ginasteras ist ansatzweise schon zu erkennen. Vor allem, wenn man die CD in umgekehrter Reihenfolge anhört. Lässt sich der Hörer jedoch auf die vorgegebene Dramaturgie ein, so startet er mit Pampeana und begibt sich auf eine historische Tiefenbohrung in Ginasteras frühe Orchestermusik. Auch das hat seinen Reiz. Auf halber Strecke zwischen Pampeana und Estancia begegnet einem dabei jedenfalls Ollantay. Ein Inka-Mythos, auf dem Ginasteras drei sinfonische Sätze aus dem Jahr 1947 basieren. Die Geschichte handelt von General Ollantay, der sich in eine Frau verliebt, die gesellschaftlich über ihm steht. Deren Vater, ein mächtiger Inka, lehnt die Verbindung ab, woraufhin Ollantay eine Revolution anzettelt. An dieser Stelle rollt Alberto Ginastera in bester Hollywood-Tradition Ollantays Kriegern den Klangteppich aus zu einem martialischen Tanz.
    Musik 3:
    Aus: Ollantay, op
    . 17
    K: Alberto Ginastera
    Los guerreros
    CD Tr. 5
    Die Geschichte um Ollantay geht nicht gut aus, zumindest in der sinfonischen Version von Alberto Ginastera. Der Rebell wird gefangen genommen und getötet. Vorher prophezeit er den Inka aber noch ihren Untergang. Wem das zu viel der Realität ist, die Ollantay-Legende gibt es alternativ auch mit Happy End.
    Für das ein oder andere Glückshormon sorgt jedenfalls die Interpretation von BBC Philharmonic. Technisch tadellos, das versteht sich für ein Rundfunkorchester eigentlich von selbst. Streicher, Blechbläser und vor allem Schlagzeuger haben reichlich zu tun und hörbar Spaß mit Ginasteras rhythmischen Kapriolen, die oft auf dem argentinischen Volkstanz Malambo basieren. Schnelle 6/8-Motive mit ungewohnten Akzenten, 3er- und 2er- Rhythmen, die sich überlagern. Die BBC Philharmoniker lassen Ginasteras Musik grooven, von angelsächsischer Hüftsteifigkeit keine Spur. Dirigent Juanjo Mena dürfte als Spanier qua Nationalität schon eine gewisse Affinität zur südamerikanischen Tonsprache haben. Daher weiß er zweifellos auch, wie schmal der Grat ist, den er insbesondere bei den stark folkloristisch geprägten Frühwerken Ginasteras beschreitet. Stimmt die Balance zwischen Spielfreude und Präzision zwischen Emotion und Kontrolle nicht hundertprozentig, dann wird was eben noch Witz und Esprit hatte, schnell banal, um nicht zu sagen peinlich.
    Der argentinische Bariton Lucas Somoza Osterc liefert auf der CD so ein weniger gelungenes Beispiel. In Ginasteras Estancia Ballett singt er das Klagelied eines todunglücklichen Rinderhirten. Gewissermaßen "Gaucho gets the blues", allerdings mit einer Extraportion Vibrato in der Stimme. Und damit bewegt er sich zumindest für mitteleuropäische Ohren hart an der Kitschgrenze.
    Musik 4:
    Aus: Estancia, op. 8
    K: Alberto Ginastera
    Triste Pampea
    no
    CD Tr. 13
    Frühe Orchesterwerke von Alberto Ginastera mit BBC Philharmonic unter der Leitung seines Chefdirigenten Juanjo Mena. Den ersten, der auf drei Teile angelegten CD-Edition habe ich Ihnen heute vorgestellt. Erschienen ist er beim Label Chandos. Bevor uns zum Schluss der Sendung das Rundfunkorchester aus Manchester im Finale von Ginasteras "Estancia" nochmal in die Welt der argentinischen Rinderzüchter entführt und dabei sprichwörtlich "die Kuh fliegt", verabschiedet sich mit Dank für Zuhören, Jochen Hubmacher.
    Musik 5:
    Aus: Estancia, op. 8
    K: Alberto Ginastera
    Danza final. Malambo
    CD Tr. 18