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Organhandel im Kosovo?

Die Kosovo-Befreiungsarmee UCK war in den illegalen Organhandel verstrickt, behauptet der Europarats-Abgeordnete Dick Marty. Er sieht den heutigen Kosovo-Regierungschef Hashim Thaci als Drahtzieher der Vorfälle Ende der 1990er Jahre.

Von Jörg Paas | 25.01.2011
    Zwei Jahre lang hat Dick Marty, der Sonderberichterstatter des Europarates, Geheimdienstberichte und andere Quellen ausgewertet, hat mit Zeugen und Sachverständigen gesprochen. Im Dezember erschien sein Bericht – und der hatte es in sich:

    Darin bezeichnete der Schweizer Ex-Staatsanwalt den Premierminister des Kosovo, Hashim Thaci, als Kopf einer kriminellen Vereinigung, die Ende der 90er-Jahre im Kosovo und in Nord-Albanien schwere Verbrechen an Serben verübt haben und in kriminellen Organhandel verwickelt gewesen sein soll.

    Die Anschuldigungen waren nicht ganz neu. Dennoch lösten sie im Kosovo einen Aufschrei der Empörung aus. Der Regierungschef selbst sprach von einer systematischen Verleumdungskampagne:

    Thaci:"Der skandalöse Bericht von Dick Marty steckt voller Lügen und Unwahrheiten, die schon seit 15 Jahren immer wieder recycled werden. Die Verbreitung dieser Propaganda hat als einziges Ziel, dem Kosovo und seinen Bürgern zu schaden. Außerdem versucht der Bericht, das Ansehen aller Albaner in der Region zu besudeln.""

    Inzwischen hat Dick Marty seine Vorwürfe gegen den Premierminister im Interview mit einem kosovarischen Fernsehsender zumindest teilweise entschärft:

    Marty:"Ich habe nie gesagt, dass Thaci direkt in den Organhandel verstrickt war, sondern lediglich Personen, die ihm sehr nahestanden, weshalb es schwer fällt sich vorzustellen, dass er nie etwas davon gehört hat. Ich habe auch nie von Hunderten illegaler Transplantationen gesprochen, sondern lediglich von einer Handvoll."

    Das unterscheidet Dick Marty in der Tat von Carla del Ponte, der ehemaligen Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. Sie hatte schon 2008 in ihren Memoiren der internationalen Staatengemeinschaft vorgeworfen, bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen einseitig vorzugehen und kosovarische Gräueltaten zu vernachlässigen.

    Das Buch von Carla del Ponte war seinerzeit Auslöser für den Auftrag des Europarates an Dick Marty, die Vorwürfe gründlicher zu untersuchen – und damit nachzuholen, was del Ponte selbst nach eigener Aussage stets verwehrt blieb:

    Del Ponte: "Wir sind damals mit unseren Nachforschungen nicht weitergekommen, weil Albanien uns untersagte, auf seinem Territorium zu ermitteln. Außerdem gab es Zeugen, die unter keinen Umständen offiziell aussagen wollten. Und es gab ein Kompetenzproblem, denn die Taten gingen über die Zuständigkeit des Tribunals hinaus."
    Auch Dick Marty hat offenbar niemanden gefunden, der bereit wäre, vor Gericht gegen Hashim Thaci auszusagen oder über den mutmaßlichen Organhandel der Kosovo-Befreiungsarmee UCK nach dem Krieg zu sprechen. Wirklich neue konkrete Beweise legt er ebenfalls nicht vor. Das sei auch nicht seine Aufgabe, meint er. Dafür seien Gerichte und staatliche Ermittlungsbehörden zuständig. Mit seinem Bericht für den Europarat könne er lediglich ein Stück Vorarbeit leisten.