Dienstag, 23. April 2024

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Organisierte Kriminalität
"Wir wollen Druck ausüben"

Organisierte Kriminalität, die Mafia - ein deutsches Problem? Schon längst, sagte der baden-württembergische Innenminister Gall im DLF. Und eines, das mehr thematisiert werden müsse - auch mit Blick auf die Möglichkeiten der Strafverfolgung. Stichwort: Vorratsdatenspeicherung.

Reinhold Gall im Gespräch mit Dirk Müller | 14.05.2014
    Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) erläutert am 28.03.2014 im Landtag in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Rahmen einer Pressekonferenz die Polizeistatistik für das Jahr 2013.
    Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) (dpa picture alliance / Bernd Weissbrod)
    Die organisierte Kriminalität trete derzeit wieder in den Fokus, so Gall, weil andere extremistische Gruppen in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgegangen seien. Zudem gehe das Innenministerium auch verstärkt mit dem Thema Mafia in die Öffentlichkeit, um die Bevölkerung zu sensibilisieren.
    Ermittlungsbehörden seien auf Hinweise aus der Bevölkerung bei der Bekämpfung von organisierte Kriminalität angewiesen, so Reinhold Gall. Außerdem werde durch die Themenpräsenz auch Druck auf Kriminelle ausgeübt.
    Gall plädiert für Datenspeicherung
    Allgemein sei es schwer hinter die Strukturen der Mafia zu schauen. Das nehme durch neuere Entwicklungen wie Cyber-Kriminalität noch zu, so der Innenminister. Er plädiert deswegen für eine Vorratsdatenspeicherung, um gegen die Mafia besser vorgehen zu können. Dazu verwendete Instrumente wie Überwachungssoftware sollte jedoch nur zum Einsatz kommen, wenn die rechtlichen Rahmenbedingen vorher genau abgesteckt worden wären.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Schutzgelderpressung, Geldwäsche, Kokainhandel, rohe Gewalt bis hin zu Mord, das sind hinlänglich bekannte Methoden der Mafia, seit vielen Jahren auch hierzulande. Erinnern wir uns an den Mordanschlag in Duisburg im Sommer 2007, bei dem sechs Menschen vor einem Lokal regelrecht hingerichtet wurden. Internet-Kriminalität, Cyber-Kriminalität, das ist jetzt hinzugekommen. Auch das wissen die Behörden schon länger, auch die Medien berichten immer wieder darüber. Aber dass wir inzwischen über Milliardenschäden reden, dass die reingewaschenen Gewinne der Mafia um über 60 Prozent gestiegen sind, dass Mafiosi gerade Deutschland zunehmend als Raum für ihre Machenschaften und Geschäfte nutzen, weil hier die Chance, gefasst zu werden, entdeckt zu werden, offenbar geringer ist als in anderen Ländern. „Täuscht euch nicht, wir sind fast überall", gibt ein geständiger Mafiosi zu Protokoll. Am Telefon ist nun Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD). Guten Morgen.
    Reinhold Gall: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Gall, wie nervös sind Sie inzwischen, wenn Sie zu Ihrem Lieblings-Italiener gehen?
    Gall: Ich muss ehrlicherweise zugeben, ich gehe nicht so sehr oft zum Italiener. Das hat aber andere Gründe.
    Müller: Hat nichts mit der Mafia zu tun?
    Gall: Nein, das hat nichts mit der Mafia zu tun, sondern mit meiner Vorliebe für andere Speisen.
    Müller: Sagen Sie uns noch schnell welche, damit wir weitermachen können.
    Gall: Ich bin in meiner schwäbischen Heimat verwurzelt und auch diesem Essen deshalb zugetan.
    "Keine neue Entwicklung"
    Müller: Gut! Kommen wir zurück zur Mafia. Sie sind seit drei Jahren Innenminister, fast auf den Tag genau. Was haben Sie seitdem erfahren, was Sie vorher nicht für möglich gehalten haben?
    Gall: Ich will mal ausdrücklich darauf hinweisen, dass das, was wir gerade diskutieren, keine neue Entwicklung ist, sondern dieses Thema und dieses Themenfeld gerät gegenwärtig wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, nachdem andere Entwicklungen, beispielsweise extremistische Entwicklungen, NSU-Morde oder salafistische extremistische Entwicklungen, ein bisschen zurückgegangen sind bei der öffentlichen Wahrnehmung, und wir legen auch großen Wert darauf, selber mit diesem Thema öffentlich umzugehen, weil wir einerseits sensibilisieren wollen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, sich mit diesem Thema auch auseinanderzusetzen, und weil wir auch Druck auf die Betroffenen ausüben wollen. Das heißt, die Personenzahl beispielsweise, die wir diesen Gruppierungen zurechnen, die sind in den zurückliegenden Jahren nicht gestiegen, die sind etwa gleich geblieben. Gleichwohl gibt es Grund, sich ernsthaft mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen.
    Müller: Das heißt, Sie sind, seitdem Sie noch mehr Kenntnisse haben, seitdem Sie noch mehr Informationen zur Verfügung haben, nicht über diese Dimension überrascht worden?
    Gall: Nein, da bin ich nicht überrascht worden. Was mir aber in der Tat und den Ermittlungsbehörden zunehmend Probleme macht, dass wir hinter die Strukturen schwerer schauen können, weil es heutzutage mit den Möglichkeiten beispielsweise auch des Internets möglich ist, legale Geschäfte und illegale Geschäfte miteinander zu verquicken, dass es nicht damit getan ist, dass wir beispielsweise einzelne Täter ermitteln, was uns ja durchaus gelingt, sondern dass es darauf ankommt, dass wir auch die dahinterstehenden Strukturen ermitteln und aufklären, und das ist zunehmend schwieriger geworden.
    Müller: Was sind die Strukturen, wie funktionieren die?
    Gall: Die funktionieren beispielsweise - ich hatte es angedeutet - durch die Vermischung legaler und illegaler Geschäfte, und die Produktpalette, will ich es mal nennen, die ist da richtig breit, von Gaststättenbetrieben über Autohandel, Steuerabgabenbetrug, Produktpiraterie, Baubranche, illegale Beschäftigung bis dann hin zu komplizierten Wirtschaftstransaktionen. Daran sieht man, wie vielfältig es geworden ist, die Handlungsoptionen, die Handlungsmöglichkeiten, und damit aber auch, wie kompliziert Polizeiarbeit und Ermittlungsarbeit sich darstellt.
    "Relativ kompliziert, Geld zu waschen"
    Müller: Geldwäsche ist ja seit 30, 40 Jahren in der Diskussion. Weltweit ist Geldwäsche ein Thema, auch international ja häufig bekämpft, allerdings ohne großen Erfolg offenbar auch bei uns. Wie kann es sein, dass diese Geldwäsche bei uns beispielsweise in Zusammenhang mit Autoverkäufen, mit Baugewerbe, mit Briefkastenfirmen immer noch so einfach läuft, ohne dass dagegen effektiv vorgegangen werden kann?
    Gall: So ganz einfach läuft es ja nicht, sondern es sind schon relativ komplizierte Vorgänge, Geld zu waschen. Das ist überhaupt keine Frage. Aber gerade dies macht ja dann auch Ermittlungen relativ schwierig. In unserem Rechtssystem ist es ja so, dass wir den vermeintlichen Tätern auch Schuld nachweisen müssen. Das ist im Übrigen, finde ich, auch ein gutes Rechtssystem. Denn wäre es umgekehrt, weil dieser Vorwurf ja gelegentlich kommt, Beweislastumkehr, dann würden ja Menschen, die aus irgendwelchen Gründen einmal verdächtigt werden, weil es entsprechende Hinweise gibt, immer auch in der Pflicht stehen, ihre Unschuld nachzuweisen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass unser Rechtssystem insgesamt ein gutes ist und wir halt gefordert sind, mit den Möglichkeiten, die wir haben, das heißt den personellen Ressourcen wie mit den technischen Ressourcen - das will ich da ausdrücklich auch erwähnen -, hinter diese Strukturen zu schauen. Da sind wir auf Unterstützung auch aus der Bevölkerung angewiesen. Deshalb machen wir ja dieses Thema auch öffentlich, beispielsweise durch Plakate, durch Veranstaltungen sensibilisieren wir die Menschen für dieses Thema, geben die Möglichkeit, beispielsweise sich auch anonym an das Landeskriminalamt zu wenden, durchaus auch erfolgreich. Solche Hinweise gehen ein, die werden geprüft und es wird dann geschaut, ob es hieraus Ermittlungsansätze gibt.
    Müller: Aber es sind doch gerade auch Ihre Beamten, das heißt die Polizisten, die Einheiten, die sich darum kümmern, die auch beklagen, dass zu wenig Personal da ist, dass zu wenig technische Möglichkeiten bestehen. Stimmt das?
    Gall: Nein. Über Personalmangel wird bei uns nicht geklagt, denn wir haben in unseren Strukturen in Baden-Württemberg dafür gesorgt, dass sich um dieses Themenfeld, das heißt Organisierte Kriminalität und Bandenkriminalität, nicht nur das Landeskriminalamt kümmert, sondern dass wir in unseren flächendeckend im Land verteilten zwölf Präsidien auch entsprechende Inspektionen haben, die sich mit Organisierter Kriminalität auseinandersetzen. Was die Ermittler teilweise beklagen, sind die technischen Möglichkeiten, die sie haben, denn es ist in der Tat wahr, viele der Aktivitäten verlagern sich in das Internet, Stichworte WhatsApp, Skype, die als Kommunikationswege auch benutzt werden, und da fehlt einfach aufgrund beispielsweise der Möglichkeit, auf Verbindungsdaten zuzugreifen, häufig die Möglichkeit, den einzig vorhandenen Ermittlungsansatz zu nutzen. Da haben die Ermittlungsbehörden jedenfalls recht. Aber wie gesagt, personell sind wir durch die Bündelung der Fachkompetenz, die wir haben, und das Spezialwissen, das vorhanden ist, denke ich, durchaus in der Lage, dieser Entwicklung entgegenzutreten.
    Für Vorratsdatenspeicherung
    Müller: Wir reden mit Ihnen ja über Baden-Württemberg. In anderen Bundesländern sieht das zum Teil jedenfalls nach Aussagen der Polizei auch anders aus. Stuttgart, Ravensburg, Singen, wer gut verdient, Regionen, die gut verdienen, die prosperieren, ziehen die Mafia an, heißt es. Wenn wir jetzt auf diese technischen Dinge kommen - und da räumen Sie ja ein, Herr Gall, da gibt es Probleme, da gibt es Klagen -, wie kann das sein, dass in der Bundesrepublik zu wenig technische Möglichkeiten bei den Sicherheitsbehörden vorhanden sind?
    Gall: Die technischen Möglichkeiten hätten wir, aber die rechtlichen Voraussetzungen haben wir nicht - Stichwort beispielsweise Verbindungsdatenspeicherung.
    Müller: Also Vorratsdatenspeicherung?
    Gall: Ich nenne es gerne Verbindungsdatenspeicherung, aber wir reden über dasselbe, völlig klar. Diese Möglichkeit, beispielsweise retrograd auf solche Gesprächsverbindungen zuzugreifen, wäre häufig ein Ermittlungsansatz. Der steht uns aber aus rechtlichen Möglichkeiten nicht zur Verfügung.
    Müller: Wir können, um das zu neutralisieren, uns vielleicht ja auf Anti-Mafia-Bekämpfungsspeicherdaten einigen. Brauchen wir die, um das Problem in den Griff zu bekommen?
    Gall: Diese Auffassung habe ich schon immer vertreten, und es gibt ja Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Ich bin aber nach wie vor der Auffassung und werde da auch aus der Justiz bestätigt, auch diese Urteile haben nicht als Ergebnis gebracht, dass Verbindungsdatenspeicherung nicht zulässig ist, sondern wir müssen die rechtlichen vernünftigen Voraussetzungen dafür schaffen, und dafür werbe ich.
    Müller: Im Bundesrat beispielsweise mit einer Initiative?
    Gall: Beispielsweise indem ich dieses Thema ständig präsent halte und Diskussionsprozesse anstoße, damit sich nicht nur die Politik mit diesem Thema auseinandersetzt, sondern auch die Menschen im Lande, denn um deren Sicherheit geht es.
    Müller: Und das größere Problem ist Ihre eigene Partei?
    Gall: Nein, das ist nicht das größte Problem. Wir haben angesichts der Diskussion um NSA, was mit diesem Thema aber gar nichts zu tun hat, aber es wird einfach überlagert, auch in der Bevölkerung Vorbehalte, weil ihnen nicht immer klar zu machen ist - und die Materie ist auch durchaus komplex -, dass der Staat mit der Möglichkeit, auf Verbindungsdaten zurückzugreifen, was völlig anderes im Sinne hat, als beispielsweise der amerikanische oder der britische Geheimdienst.
    Vorratsdatenspeicherung nicht missbräuchlich verwenden
    Müller: Aber Sie sagen ganz klar, Herr Gall, wir brauchen Überwachungs-Software, wir brauchen auch Trojaner, um Geheim-Codes zu entschlüsseln, um auf diese Speicherdaten zu kommen?
    Gall: Ja, aber selbstverständlich immer unter ganz engen Voraussetzungen, die unserem Rechtsstaat und unserer freiheitlichen Gesellschaft auch gerecht werden. Das heißt, nach einer sorgfältigen Abwägung, wenn es darum geht, in Freiheitsrechte und Bürgerrechte der Menschen einzugreifen, aber andererseits wir auch gefordert sind, Sicherheit zu gewährleisten. Diesen Abwägungs- und Diskussionsprozess, den hätte ich gerne wirklich geführt, ausdiskutiert und dann entschieden.
    Müller: Das steht ja nun auch in der amerikanischen Verfassung und in den Grundsätzen. NSA hat das etwas anders gemacht. Wer kann das in Deutschland kontrollieren, wenn Sie loslegen?
    Gall: Wir haben parlamentarische Kontrollorgane. Wir haben Datenschützer in unserem Land, die richtig gute Arbeit leisten, wie ich jedenfalls finde. Und wenn wir die rechtlichen Rahmenbedingungen sauber abstecken, das heißt, unter welchen Voraussetzungen, bei welchen Straftaten, mit welchen Löschungsfristen, mit welchen Sicherheitsmaßnahmen, dann, glaube ich, kann in unserem Rechtsstaat dies auch so gewährleistet werden, dass es nicht missbräuchlich verwendet werden kann.
    Müller: Herr Gall, jetzt politisch realistisch nach vorne geblickt: Wird sich da in den kommenden Jahren etwas ändern, Vorratsdatenspeicherung? Wird sie kommen?
    Gall: Ich jedenfalls gehe davon aus, dass man nach sachlicher Erörterung dort zu Lösungen kommen kann.
    Müller: Noch ein anderes Stichwort hatte ich mir notiert, da wollten wir noch drüber reden. Wir haben über die italienische Mafia geredet. Jetzt sagen alle, das ist viel, viel zu kurz. Es gibt auch noch eine Russenmafia. Selbst das ist zu kurz definiert, weil diese Mafiastrukturen natürlich aus vielen Ländern rekrutiert werden, in Osteuropa beispielsweise auch. Da geht es weniger um Geldwäsche, solche Dinge, sondern Wohnungseinbrüche, Autodiebstahl, Raubüberfälle. Mit weniger Technologie wird dort agiert. Ist man da in der Lage, entsprechend effektiv gegen vorzugehen?
    Gall: Ja, Sie haben recht. Wir haben, denke ich, so hat das Gespräch begonnen, überwiegend über italienische Mafiaorganisationen gesprochen. Es gibt andere auch, das ist wahr. Es gibt das Thema Bandenkriminalität in der unterschiedlichsten Form. Das heißt, in der ganzen Bandbreite haben wir uns diesem Thema zu stellen. Aber ich denke, wir sind gut aufgestellt, wenn Sie gerade unser Bundesland nehmen. Das ist mir wichtig zu sagen. Wir haben nach wie vor mit Bayern gemeinsam die geringste Kriminalitätsbelastung in ganz Deutschland. Das zeigt offensichtlich, dass die Sicherheitsbehörden im Süden Deutschlands durchaus in der Lage sind, sich mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, auch aktiv zu sein, Erfolge zu tätigen, und in diesem Sinne werden wir uns weiter wie gesagt auf die ganze Bandbreite der Kriminalität beschränken und nicht nur einzelne Segmente entsprechend bearbeiten, weil sie zufälligerweise oder aus welchen Gründen auch immer gerade im Fokus der Öffentlichkeit sind.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD). Danke für das Gespräch.
    Gall: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.