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Organspender aus dem Stall
Zu Besuch bei Schweinen

Versuche, Tierorgane in Menschen zu verpflanzen, verliefen bislang ohne Erfolg. Doch genetisch veränderte Schweinezellen und neue Formen der Verpackung könnten eine neue Stufe der Organtransplantation einläuten - mit Start im Schweinestall.

Von Michael Lange | 01.04.2018
Ein Hausschwein
Schweine sind Menschen genetisch sehr ähnlich. Sie könnten Ersatzorgane liefern, wenn Forscher es schaffen, die Immun-Abstoßung wirksam zu umgehen.. (imago / blickwinkel)
2017 sinkt die Zahl der Organspender in Deutschland auf ein historisches Tief. Rund jeden dritten Tag stirbt ein Patient auf der Warteliste, weil Organe fehlen.
"Es gibt zu wenig Spender. In Deutschland ist es besonders krass. Ich glaube, jetzt muss man sich überlegen, ob es zur humanen Herztransplantation von Mensch zu Mensch Alternativen gibt."
Wie wäre es, wenn Tiere die dringend gebrauchten Organe liefern? Vielleicht Schweine? Warum nicht, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden?
"Wenn man sagt: Schweineorgane, Schweineorgane, und die Nase rümpft: Das sind ja unsaubere Tiere. Wir stammen von den Schweinen ab. Und die haben Herzen, die sind ähnlich. Haben aber Bausteine, die natürlich ein bisschen anders sind. Und das ist die Herausforderung, das hinzukriegen."
Nach vielen Rückschlägen geht es wieder voran. Die Schweine sind bereit.
"Willkommen auf dem Bauernhof", begrüßt mich Eckhard Wolf am Moorversuchsgut bei Oberschleißheim, einige Kilometer nördlich von München. Ich möchte hier besonders wertvolle Schweine kennen lernen. Wissenschaftler haben sie gentechnisch verändert – als Versuchstiere für die Xenotransplantation. Die Verpflanzung von Tierorganen in den Menschen.
"Diese Anlage ist insofern etwas besonders als die Tiere hier unter besonders hygienisch hoch stehenden Bedingungen gehalten werden können."
Eckhard Wolf lehrt Molekulare Tierzucht und Biotechnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität. Vor zwanzig Jahren wurde er bekannt, als er mit Klonkalb Uschi den ersten Klon aus Deutschland vorstellte.
Hygienevorschriften im High-Tech-Stall
Gemeinsam gehen wir zu einem niedrigen, modernen Stallgebäude. Ob wir hineingehen sollen? Ist das wirklich nötig? - will er wissen. Denn ganz so einfach ist es nicht. Aber ich lasse nicht locker. Also los!
"Wir ziehen unsere Schuhe und Socken aus, desinfizieren Hände und Füße. Dann legen wir im Vorraum die Kleidung komplett ab, duschen uns, inklusive Haarwäsche. Und ziehen uns dann die vorbereiteten Kleidungsstücke für den Innenraum des Stalls an. Dann können wir hineingehen."
Alles ausziehen und ab unter die Dusche. Die Hygienevorschriften im High-Tech-Stall sind strenger als im Krankenhaus.
Schon 1905 verpflanzte ein französischer Chirurg Teile einer Kaninchenniere in ein nierenkrankes Kind. Von der Organabstoßung wusste man nichts. Das Kind starb nach zwei Wochen. Ähnlich tragisch verliefen spätere Versuche mit Organen von Ziegen, Schafen, Schweinen und Affen. Zuletzt 1984 erhielt ein zwei Wochen altes Baby in Kalifornien das Herz eines Pavians. Baby Fae. Auch dieses schwer kranke Kind starb 20 Tage nach der Operation.
Ich frage mich: Werden die gentechnisch veränderten Schweine Organe liefern, mit denen Menschen überleben? Der Aufwand, der betrieben wird, ist jedenfalls beträchtlich.
"So, ich bin fertig." Geschafft, nach etwa fünf Minuten. In blauer Stallkluft geht es in den Operationsbereich. Alles ist blitzblank. Kein Schwein zu sehen.
"Die Tiere werden im Nebenraum, das ist ein Vorbereitungsraum, schlafen gelegt. Dann legt man sie auf eine Plane. Die wird dann im Kran eingehängt. So kann man ohne jeden Stress für die Tiere sie schlafenderweise herübertransportieren in den Operationsraum."
Ein Spezialkran für die 150 Kilo-Kolosse schwebt über dem Operationstisch. In diesen Räumen führen Tierärzte künstliche Befruchtungen durch. Unter Betäubung. Sie entnehmen den Schweinen Eizellen oder verpflanzen gentechnisch veränderte Embryonen in die Gebärmutter der Schweine.
Ein ganzes Forscherleben
Aber natürlich will ich nicht nur leere Operationssäle sehen, sondern Schweine. Und die warten hinter der nächsten Tür.
"Unsere Ferkel sitzen gerne unter Rotlicht, weil es da schön warm ist. Die sind jetzt genau eine Woche alt. Und wir haben hier eine Einrichtung, mit der wir die Ferkel unter bestimmten Bedingungen mutterlos aufziehen können. Das heißt: Wir haben keine Verluste, wenn die Mutter zum Beispiel keine Milch gibt."
Munter tollen die kleinen Ferkel umher. Versorgt werden sie über eine Milchpumpe.
Ferkel mit Mutter
Versuchstiere für die Xenotransplantation: Ferkel mit Mutter (Deutschlandradio / Michael Lange)
"Was man da hört, ist das Grunzen. Die sind satt, denen geht es gut. Es ist auch warm."
Wir sind jetzt in einem langen Gang. Man kann durch Fenster von außen in die einzelnen Räume hineinschauen.
"Man merkt: Hier riecht es deutlich stärker nach Schwein. Und wir können eben ohne die Tiere zu stören von außen in die Stallungen hineinschauen. Es sind hier auch Kameras installiert, so dass wir in der Nacht die Tiere vom Computer aus beobachten können."
Die Schweine sollen möglichst wenig gestört werden. In den "Abferkelabteilen" kommen die Ferkelchen auf die Welt.
"Wir gehen hier leise herein, um die Muttersauen nicht zu stören. Die sind hier mit ihren Ferkeln. Die sind jetzt etwa drei oder vier Wochen alt."
Die schwere Muttersau will sehen, wer da kommt. Aber ihre Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt durch ein Metallgestell, damit sie ihre fünf kostbaren, genveränderten Ferkel nicht gefährdet. Unser Besuch sorgt für Unruhe im Stall.
Seit über 30 Jahren versuchen Wissenschaftler, Schweine mit Gentechnik so zu verändern, dass sie als Organspender für Menschen in Frage kommen. Damals haben sie sich Vieles einfacher vorgestellt. Eckhard Wolf hat sein ganzes Forscherleben daran gearbeitet. Jetzt sind die Erfolge sichtbar, und das Ziel - die Transplantation von Schweineorganen in Menschen – scheint in Reichweite.
"Wir haben in der Regel Eber, bei denen eines der beiden Chromosomen verändert ist. Und wenn wir die verpaaren mit ganz normalen Schweinen, dann sind nach Mendel 50 Prozent der Nachkommen genetisch verändert. Die anderen sind nicht genetisch verändert und können als Kontrollen fungieren in Experimenten."
"Der hier arbeitet schon am Schließmechanismus." - "Den wird er nicht aufbekommen. Aber das sind durchaus sehr stattliche Tiere."
Eckhard Wolf führt mich durch weitere Ställe. Stolz erklärt er den Spezialboden, klauenfreundlich und hygienisch einwandfrei, ohne Stroh. Und das hochmoderne Fütterungssystem. Es ist noch viel Platz in dem großen Stallgebäude.
"Mit den Ferkeln sind es vielleicht 120 im Moment. Die Gesamtkapazität kann bis zu tausend gehen. Dann wäre aber alles komplett voll. Wir gehen von einer maximalen Belegungsdichte von 650 bis 700 Tieren aus."
Chirurgen üben bereits
Die ersten Tiere kamen aus einem krankheitsfreien Zuchtbetrieb. Die nächste Generation gelangte schon als Embryonen in den Stall. Alles, damit sich keine Krankheitserreger verbreiten. Viren lauern überall. Wenn die Organe ins Krankenhaus kommen, müssen sie absolut virusfrei sein.
Der Stall ist die eine Seite der Xenotransplantation. Von hier sollen die Schweineorgane kommen. Die andere Seite ist die Klinik. Hier warten mögliche Organempfänger und Chirurgen, die bereits üben.
Wie eine riesige Gesundheitsfabrik steht das Universitätsklinikum Großhadern am Stadtrand von München. Besucher strömen durch die kilometerlange Besucherstraße im Innern des Gebäudes, vorbei an Geschäften und kleinen Cafés.
Zum Glück weiß ich, wo ich hin muss. Nach unten. Aufzuggruppe H, vorbei an der Patientenstraße in die Versorgungsstraße. Und dann Richtung "Orthopädische Werkstatt Streifeneder."
Ich habe Zweifel. Hier sieht es eher aus wie in einem Keller. Aber dann finde ich das Büro von Bruno Reichart. Der emeritierte Professor ist einer der profiliertesten Herztransplanteure Deutschlands. Er arbeitete als Nachfolger des Transplantationspioniers Christiaan Barnard in Kapstadt und führte die erste Herzlungentransplantation Deutschlands durch. Heute befasst sich Bruno Reichart mit Xenotransplantation.
"Die Versuche im Labor mache ich selber. Also ich transplantiere. Der liebe Gott hat mir bislang eine gute Gesundheit gegeben. Ich zittere nicht. Und sehen kann ich mit Lupenbrillen, die man sowieso braucht, hervorragend. Und so mach ich das noch."
Bruno Reichart verpflanzt Schweineherzen in Paviane. Dabei sein darf ich nicht. Aber der 75-Jährige erzählt so engagiert, als stünde er im Operationssaal.
"Wenn man sieht, dass im Labor diese Schweineherzen, die modifiziert sind. Man näht sie ein in aller Ruhe. Die sind unheimlich gut perfundiert und preserviert. Wenn wir das bei Menschen auch so machen würden, das wär schön. Und dann geht die Klemme auf, und die Herzen werden rosig. Und sie zucken ein bisschen. Und sie zucken immer mehr, und dann schlagen sie. Und das passiert immer wieder. Immer wieder. Mit anderen Worten: Es ist da! Die xenogene Herztransplantation ist da."
Ein Schweineherz in einen Pavian hinein zu transplantieren sei nicht einfacher als eine Transplantation in einen Menschen, versichert Bruno Reichart. Eher noch schwieriger.
"Sie müssen verstehen: Das sind ja wilde Tiere. Dem können Sie nicht sagen: Nun sei mal ruhig und brav. Wenn der aufwacht, dann ist der chrrr. Dann ist der in seinem Käfig drin, und der ist wild. Die Drainage muss man rausmachen und alles, was den verbindet. Machen Sie mal eine Herztransplantation und ziehen Sie dann alle Drainagen raus. Das macht sonst keiner. Aber das müssen Sie im Labor hinkriegen, und es muss funktionieren."
Tarnung durch Gentechnik
Ursache für die Misserfolge war in der Vergangenheit stets die Organabstoßung. Und so entstand in den 1980er-Jahren die Idee, die Organe so zu verändern, dass sie nicht als fremd erkannt werden. Durch Gentechnik sollen die Schweineorgane gewissermaßen getarnt werden, so dass das menschliche Immunsystem sie nicht erkennt. Gespannt beobachtet Bruno Reichart seit Jahren die Fortschritte der Tierzüchter. Wenn es nach ihm geht, ist die Zeit reif für klinische Studien am Menschen. Die Versuche mit Pavianen stimmen ihn optimistisch.
"Wir haben die Anspannung und wollen jetzt eine Serie machen von zehn Tieren, von denen sechs lange Zeit überleben sollen. Es ist eine Riesenanspannung jedes Mal. Ich sage es auch meinem Team: Es muss funktionieren."
Ferkel unter Rotlicht
Ferkel unter Rotlicht (Deutschlandradio / Michael Lange)
2017 meldete ein Team aus den USA einen Erfolg bei Tierversuchen. Auch die Transplanteure aus Bethesda in Maryland verpflanzten genetisch veränderte Schweineherzen aus München in Paviane. Aber es handelte es sich nicht um eine richtige Herztransplantation.
"Man muss verstehen, dass es ein immunologisches Modell war. Diese Herzen waren im Bauchraum. Sie waren nur an den Kreislauf angeschlossen und haben dort geschlagen. Das ist wie ein Motor im Auto, der im Leerlauf läuft, aber das Auto nicht bewegt."
Als nächstes muss das Schweineherz die Funktion des Pavian-Herzens übernehmen und das Blut durch den Körper des Affen pumpen. Drei Monate hat ein Versuchstier in München diesen schweren Eingriff bereits überlebt. Jetzt heißt es abwarten. Und das ist für Bruno Reichart kaum zu ertragen.
"Der Stand ist, dass wir das immer wieder wiederholen müssen, Langzeiterfolge haben müssen. Das ist der Druck, der auf mir ist, der auf meinem Team ist. Denn irgendwann hoffen wir, dass wir in zwei oder drei Jahren damit anfangen können, uns dann anzumelden bei den Behörden, so dass man die ersten Eingriffe am Menschen machen kann."
Entscheidend wird die Qualität der Schweineorgane sein. Die Genmanipulationen führen Eckhard Wolf und sein Team in einem Laborgebäude durch. Auf dem Moorversuchsgut, nicht weit vom Schweinestall entfernt.
"Wir befinden uns jetzt in unserem molekularbiologischen Labor. Wir müssen die Spenderschweine für die Xenotransplantation ja genetisch verändern, so dass die Organe für die Transplantation auf Primaten und später auch auf den Menschen nicht abgestoßen werden."
Mit Manipulationen gegen die Abstoßung
Zwei genetische Veränderungen tarnen die Schweinezellen. Sie sorgen dafür, dass die Oberfläche der Schweinezellen vom Immunsystem nicht mehr als fremd erkannt wird. Das verhindert eine starke sofortige Abstoßung. Zusätzlich haben die Forscher in den letzten Jahren noch eine dritte Manipulation vorgenommen. Damit beeinflussen sie die Blutgerinnung.
"Der Komplex aus Thrombin und Thromomodulin aktiviert das sogenannte Protein C, und das verhindert eine ungewollte Blutgerinnung." - "Nutzen Sie hier auch die Genschere Crispr/Cas, die so viel von sich reden lässt?" - "Man braucht das nicht unbedingt, aber es erleichtert die Arbeit ganz erheblich, weil damit die genetischen Modifikationen sehr viel einfacher, schneller und präziser durchzuführen sind."
Abstoßungsreaktion und Blutgerinnung sind nicht die einzigen Risiken, die von Schweineorganen ausgehen. Im Erbmaterial der Tiere befinden sich Viren, die sich im Laufe der Evolution dort festgesetzt haben. Manche Wissenschaftler befürchten, dass diese schlafenden Viren bei der Transplantation wieder aktiv werden. Um das zu verhindern, haben US-Forscher von der Harvard Medical School 62 schlafende Viren aus Schweinezellen herausgeschnitten – mit Hilfe der neuen Genschere Crispr/Cas 9. Eckhard Wolf glaubt nicht, dass diese umfangreiche Genmanipulation notwendig ist. Bei bisherigen Transplantationsversuchen mit Schweineorganen in Affen waren Virus-Gene nie ein Problem. Wir gehen nach nebenan ins Zelllabor.
"Der nächste Schritt, wenn also das entsprechende Genkonstrukt hergestellt worden ist, ist, dass man dieses Genkonstrukt in bestimmte Zellen einbringt, die für den Kerntransfer geeignet sind." - "Und wo sind jetzt die Zellen?" - "Die Zellen befinden sich in diesen Brutschränken. Dort werden sie bei 37 Grad gehalten in einer Gasatmosphäre, die die Zellen mögen. Die Luft ist mit Wasser gesättigt. Und hier sehen wir die sterilen Werkbänke. Unter denen werden die Zellen letztlich manipuliert. Es wird das Medium gewechselt und so weiter, um zu verhindern, dass die infiziert werden beispielsweise."
Dann folgt der dritte Schritt: Das Klonen, der Kerntransfer. Ganz vorsichtig spritzen die Forscher unter dem Mikroskop einen Zellkern aus der genmanipulierten Zellkultur in eine Schweine-Eizelle. Ähnlich wie beim Klonschaf Dolly. Noch immer ist die Effizienz beim Klonen vergleichsweise gering. In nur fünf Prozent aller Versuche kommt ein gesundes Ferkel zur Welt.
Mich interessiert der entscheidende Schritt der Xenotransplantation: Der Schritt zum Menschen – in die Klinik. Und der steht tatsächlich bevor. Allerdings noch nicht bei der Herztransplantation, sondern bei so genannten Inselzellen. Das sind insulinproduzierende Zellen der Bauchspeicheldrüse. In wenigen Einzelfällen erhalten Diabetiker heute Inselzellen von verstorbenen Organspendern. Schon bald könnten die Inselzellen von Schweinen stammen.
Im Foyer der Medizinischen Klinik 3 an der Universitätsklinik in Dresden. Morgens füllt sich der Wartebereich in der Eingangshalle. Einige der Patienten leiden unter der Stoffwechselstörung Diabetes Typ 1. Die Patienten können das Hormon Insulin nicht mehr bilden und müssen es spritzen, um ihren Zuckerhaushalt in Gang zu halten.
Mit fremden Inselzellen gegen Diabetes
Das Auf und Ab des Zuckerspiegels ist manchmal lebensbedrohlich, belastet viele Organe und schädigt sie. Kerstin Merkel kennt das. Sie ist Mitte 50 und leidet seit über 40 Jahren an Diabetes Typ 1.
"Wenn der Zucker hoch- und runtergeht, dann macht man vieles durch. Dann ist man schwach und legt sich hin. Und das passiert mir eigentlich gar nicht mehr."
Kerstin Merkel hat vor einigen Jahren fremde Inselzellen von einem verstorbenen Spender erhalten. Weltweit wurde diese Behandlung bereits bei über tausend Patienten durchgeführt. Die Uniklinik Dresden ist der einzige Ort in Deutschland, wo das möglich ist.
"Man hat immer gehofft und gewartet. Aber es kann natürlich auch lange dauern. Bei mir war es reichlich anderthalb Jahre. Da war ich auf Arbeit. Das war am 30. Oktober 2010. Da wurde mir gesagt, dass Zellen für mich da sind. Da haben wir uns alle auf Arbeit riesig gefreut und uns alle umarmt. Und am ersten November war es dann so weit. Da sollte ich früh in die Klinik kommen. Da wurde nochmal alles untersucht, vorbereitet, und dann wurden ein paarmal die Zellen überprüft, und abends gegen 22 Uhr war es dann so weit."
Von der guten Nachricht bis zur Transplantation dauerte es gerade einmal zwei Tage. In dieser Zeit wurden die Inselzellen des Spenders in einem speziellen Reinraumlabor der Dresdener Klinik gereinigt und untersucht. Dann ging alles ganz schnell.
"Nach zwei Tagen wurde dann gesagt, dass die Zellen anfangen zu arbeiten. Und das war super."
Kerstin Merkel hat jetzt eine stabile Grundversorgung mit Insulin. Kürzlich war sie mit ihrem Mann und ihren Zellen sogar unterwegs in den USA. Mit der Harley über die Route 66.
"Ich glaube, ich habe sehr, sehr gute Zellen."
Die Transplantation von Inselzellen kommt heute nur für eine kleine Gruppe von Diabetes Typ 1-Patienten in Frage. Sie soll solchen Patienten helfen, die trotz regelmäßiger Kontrolle ihren Zuckerstoffwechsel mit Insulinspritzen nicht in den Griff bekommen. Das ist gefährlich, weil sie manchmal lebensbedrohliche Unterzuckerungen nicht spüren.
Zu hoher Zucker wiederum führt zu Organschäden. Wenn etwa die Nieren stark geschädigt wurden, kann eine Transplantation der ganzen Bauchspeicheldrüse notwendig sein. Manchmal in Kombination mit einer Nierentransplantation. Die Verpflanzung von Inselzellen ist verglichen damit mit weniger Belastungen und Risiken verbunden.
Eckhard Wolf lehnt an einem Schweinestall mit Ferkeln und Mutter.
Eckhard Wolf bei den Schweinen (Deutschlandradio / Michael Lange)
"Wir sind jetzt im Operationsbereich. Ganz in Grün. Und Sie kommen gerade aus einer Operation heraus." - "Genau. Wir hatten eine Patientin mit Lebermetastasen. Also Absiedlungen eines Dickdarmkrebses in der Leber. Die einzige Chance zur Heilung ist, dass man die Leber partiell entfernt, und das haben wir gerade durchgeführt. Das ging gut. Die Patientin hat eine gute Chance."
Inselzell-Transplantation relativ einfach
Vier weitere grün gekleidete Personen stehen noch rund um die Patientin. Bei einer Inselzell-Transplantation sind es noch mehr, erklärt Chirurg Jürgen Weitz: das Chirurgie-Team und das Internistenteam, das die Zellen vorbereitet hat.
"Technisch ist die Inselzell-Transplantation für den Chirurgen – wenn man weiß wie es geht – relativ einfach. Ist nicht zur vergleichen mit der Gesamttransplantation einer Bauchspeicheldrüse. Da muss man die Blutgefäße und die Bauchspeicheldrüse selber chirurgisch anschließen. Wir nennen das Anastomosieren, also eine Nahtverbindung schaffen. Das ist bei der Inselzell-Transplantation nicht so. Da werden die Inselzellen von unseren schlauen Internisten herausgelöst aus der Bauchspeicheldrüse. Das ist dann letztendlich wie eine Infusion, aber eben in die Pfortader. Ein bisschen tricky, aber nicht besonders schwierig." - "Muss es da manchmal auch schnell gehen? Es ist ja eine Spende, die relativ kurzfristig eintreffen kann. Oder ist es gut planbar?" - "Also eine Verstorbenen-Spende ist leider nie planbar. Dann muss das Team sehr schnell bereitstehen, und zwar an jedem Tag im Jahr. Deswegen ist das nur in Zentren machbar. Da geht es nicht um Sekunden, aber es muss zeitnah erfolgen, weil natürlich das Gewebe durchblutet ist und langsam an Lebenskraft verliert. Das kann man sich ja vorstellen. Und deswegen ist das Ganze schon zeitkritisch."
Die verpflanzten Inselzellen liefern eine Art Grundversorgung mit Insulin. So verhindern sie gefährliche Unterzuckerungen. Das heißt aber nicht, dass die Patienten kein Insulin mehr spritzen müssen.
Die bisherigen Erfahrungen sind gut, versichern mir die Dresdener Ärzte. Aber Inselzellen für die Transplantation sind knapp. Und zwar noch knapper als Organe. Warum, das lasse ich mir von der Leiterin des Inselzell-Programms Barbara Ludwig erklären. Die Oberärztin ist Spezialistin für Diabetologie und Endokrinologie am Universitätsklinikum Dresden.
"Die Bauspeicheldrüse als gesamtes Organ für die Organtransplantation steht immer an erster Stelle. Und nur Organe, die für die vaskularisierte, also die Gesamtorgantransplantation, nicht zur Verfügung stehen, bzw. nicht geeignet sind, die können dann im Nachgang für die Inselzell-Transplantation verwendet werden."
Wer fremde Inselzellen erhält, muss genau wie andere Transplantationspatienten sein Immunsystem mit Medikamenten kontrollieren. Sonst würden die neuen Zellen angegriffen und abgestoßen.
Um auf die starken Medikamente zu verzichten und um in Zukunft auch Tierzellen verpflanzen zu können, wollen die Dresdner Ärzte die Inselzellen abschotten oder – wie sie sagen – verkapseln. Eine kleine, runde Dose – nicht größer als eine Dose für Hautcreme – liegt auf dem Tisch vor Barbara Ludwig.
Ohne Immunsuppression
"Das ist ein so genannter Bioreaktor. So wird er bezeichnet. Das ist letztlich nichts anderes als ein System zur Verkapselung von Inselzellen, aus der Bauchspeicheldrüse isoliert. Und das Konzept dahinter ist, dass wir Inseln in so einen abgegrenzten Bereich einbringen und damit eine Immunbarriere schaffen, so dass das Immunsystem des Empfängers nicht mit den Spenderzellen in Kontakt kommt und wir damit keinerlei Abstoßungsreaktionen zu befürchten haben." - "Also die Inseln, die Inselzellen, die leben da drinnen, produzieren dort Insulin. Das gelangt auch nach draußen. Nährstoffe, Botenstoffe, alles gelangt durch die Membran herein und heraus. Was kommt denn nicht durch die Membran durch?" - "Ganz spezifisch kommen Zellen des Immunsystems nicht durch diese Membran durch. Und damit haben wir tatsächlich eine suffiziente Immunbarriere und können zum einen Zellen von anderen Menschen transplantieren, ohne Immunsuppression zu verwenden, oder aber auch eben Schweinezellen verwenden, die vom Organismus als solche nicht erkannt werden und somit auch nicht angegriffen und abgetötet würden."
Die Zellen sind gut vor dem Immunsystem versteckt. Eine gentechnische Veränderung von Schweinezellen ist deshalb nicht notwendig.
Die runde Dose wurde von einer Biotechnologie-Firma in Israel entwickelt. Chirugen pflanzen sie in den Bauchraum ein. Die Zellen darin sind in einer gelartigen Substanz fixiert.
Die runde Dose enthält außerdem einen Sauerstofftank, der sich von außen befüllen lässt. Dazu dienen zwei Anhängsel. Der Chirurg befestigt sie unter der Bauchdecke. Mit einer Spritze lässt sich dann Sauerstoff hineingeben, und der gelangt über kurze Leitungen in den Bioreaktor. Bald könnte er medizinisch eingesetzt werden. Darüber spreche ich mit dem Leiter der Klinik und der Abteilung für Innere Medizin, Professor Stefan Bornstein.
"Wir hatten diese Zellen mit menschlichen Zellen auch schon mal bei einem Patienten eingesetzt mit großen Erfolg."
Als nächstes wollen die Dresdener Ärzte eine klinische Studie mit Schweinezellen beantragen. Dann könnten erstmals tierische Zellen – abgeschirmt im Bioreaktor – einen Menschen mit Insulin versorgen. Im Tierversuch bei Affen hat das bereits funktioniert, über ein halbes Jahr lang.
"Wir haben zunächst gesehen, dass das System sicher ist. Wir sehen keine Antikörperproduktion. Wir sehen keinen Transfer von irgendwelchen Viren. Soweit wir das jetzt einschätzen können, bestehen hier keine Probleme, keine Gefahren. Wir sehen, dass mit der Insulinproduktion in dieser Kammer die Blutzuckerspiegel sich deutlich verbessert haben, dass auch eine gewisse Produktion von Insulin nachweisbar ist. Das Ziel ist zunächst nicht, den Insulinbedarf dieser Tiere oder später der Patienten vollständig zu ersetzen, sondern eine gewisse Basisproduktion an Insulin zu gewährleisten, damit die Patienten diese Unterzuckerung, die Regulation, wieder spüren. Mit einer Optimierung der Kammer erwarten wir dann natürlich auch, dass wir den Insulinbedarf vollständig abdecken können."
Pionierarbeit bei der Verkapselung
Die Dresdener Ärzte sind nicht die einzigen, die versuchen, fremde Zellen im Körper abzuschirmen. Pionierarbeit bei der Verkapselung von Inselzellen hat eine Biotechnologiefirma in Neuseeland geleistet. Sie verkapselte Inselzellen in eine Gelhülle, allerdings ohne umgebenden Bioreaktor. Das Prinzip wurde mehrere Jahre in klinischen Studien getestet. Die Firma erwartet bald die Ergebnisse der Phase drei – und hofft auf eine Zulassung durch die zuständige Behörde in den USA.
Stefan Bornstein ist von dem Konzept nicht überzeugt: "Aus unserer Sicht ist das, wenn man die Zellen einfach in den Bauchraum hinein gibt, nicht zielführend. Die Zellen sterben dort leichter ab. Es fehlt die Sauerstoffzufuhr. Die Ergebnisse, die wir bisher gesehen haben, sind auf Sicherheit geprüft, aber zeigen noch keine klinisch vielversprechenden Ergebnisse, wie wir das für unsere Patienten erhoffen würden."
Verschiedene Ideen und Systeme kämpfen um ihren Platz in der Medizin. Ich habe gelernt: Wenn es um Tierzellen für schwerkranke Menschen geht, ist nichts einfach.
Die Forschung der letzten Jahrzehnte brachte immer neue Hindernisse zu Tage – und hat sie dann Schritt für Schritt überwunden oder umgangen. Große Durchbrüche brauchen Zeit. Sicherheit geht vor. Und dennoch: Die Spezialisten sind optimistisch. Ob die Patienten bald Hilfe erwarten können? Es wäre ihnen zu wünschen.
Organspender aus dem Stall: Ein Besuch bei Schweinen
Von Michael Lange
Ton und Technik: Wolfgang Mertens
Regie: Anna Panknin
Redaktion: Christiane Knoll
Produktion: Deutschlandfunk 2018