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Orgelbau heute
Knopfdruck und Registerzug

Zweieinhalb Monate lang montierten die Orgelbauer Woehl in Köln-Mülheim rund 1.800 Pfeifen und stimmten jede einzeln. Das digitale Instrument des Organisten Cameron Carpenter dagegen wird an einem Tag zusammengesteckt und programmiert. Zwei komplett verschiedene Welten wie es scheint. Und doch gibt es Berührungspunkte.

Am Mikrofon: Bettina Mittelstraß | 16.01.2018
    Die Orgel in der evangelischen Kirche in Köln-Mülheim
    Pfeifen der Orgel in der evangelischen Friedenskirche in Köln-Mülheim, von innen heraus fotografiert. (Christoph Spering)
    Für ihn sei es "die schnellste Orgel der Welt", verkündet der Dirigent und Kirchenmusiker Christoph Spering stolz in der evangelischen Friedenskirche in Köln-Mülheim.
    "Obwohl das keine Kategorie ist. Aber Gerald Woehl und seine Werkstatt haben normalerweise Lieferzeiten von dreieinhalb Jahren, und diese Orgel ist innerhalb von, also der Vertragsabschluss war im Februar, ist also in sieben Monaten gebaut worden, das geht eigentlich gar nicht. Die ganze Orgel ist eine sogenannte mechanische Orgel, das heißt die Verbindungen von den Tasten zu den Pfeifen wird alles mechanisch gemacht, Handarbeit auf höchstem Niveau. Aber die Schaltung - Sie sehen vielleicht da am Spieltisch so eine Lampe leuchten - die Schaltung der Register, also der einzelnen Pfeifenreihen, die ist elektrisch."
    Gerald Woehl baut seit über 50 Jahren Orgeln. Er gilt ein bisschen als Querkopf in der deutschen Orgelbauer-Landschaft aus 400 handwerklichen Betrieben - eine Landschaft, die im Dezember 2017 in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde zusammen mit rund 50.000 betriebenen Orgeln. Gerald Woehl ist darin einer, der sich nicht beirren lässt. Einer der in neue Orgeln einbaut, was er will - und was er will, meint all das, was ihrem Klang nützt.
    Gerald Woehl: "Ja, also durch Elektronik kann man natürlich sehr viel machen und weil wir, weil die Orgel auch eine große technische Entwicklung durchgemacht hat, kann man wieder alte Techniken aufgreifen, sie neu entwicklen, weil man heute andre Möglichkeiten hat. Und da sind wir eigentlich also relativ frei."
    Mechanisch und elektrisch. Tradition mit Moderne. Fortschritt plus Rückgriff. Altes - aber anders. Neu belebt. Solche Formulierungen kommen gut an bei der Kirchengemeinde in Köln Mülheim, der Eigentümerin der Orgel. Denn ihr schwindet die Jugend zum Überleben. In Gottesdiensten und bei Orgelkonzerten überwiegen im Publikum die grauen Haare. Gern würde sich die Gemeinde verjüngen.
    Cameron Carpenter dagegen, der Punk unter den Organisten, zieht besonders junge Menschen in seine Konzerte. Und er spaltet die Gemeinschaft der Orgel-Fans, weil er eine gigantische digitale Orgel designed hat, mit der er seit 2014 um die Welt tourt. Ein Spieltisch mit fünf Manualen, über 50 Lautsprecher und drei Supercomputer sind die "International Touring Organ". Pfeifen sucht man hier vergeblich. Aber er spielt seine Orgel in weltweit berühmten Konzertsälen oft genau vor den großen Prospekt-Pfeifen einer traditionell gefertigten Orgel.
    Der Organist Cameron Carpenter spielt auf seiner International Touring Organ
    Der Organist Cameron Carpenter (Gavin Evans, Sony Music Entertainment)
    Carpenter will das Konzept der Orgel in eine Zeit technologischen Fortschritts und neuer Hörgewohnheiten hinüberretten.
    "Dass eine Orgel über hunderte von Jahren halten muss, ist für mich eine überkommene Idee", kritisiert Cameron Carpenter. "Was ist denn die Anforderung? In einer sich verändernden musikalischen Gesellschaft sollte eine Orgel für ihre Anpassungsfähigkeit wertgeschätzt werden, nicht für ihre Unveränderlichkeit."
    Claudius Woehl, Sohn von Gerald Woehl, blickt interessiert aber skeptisch auf Carpenters "International Touring Organ": "Ich weiß nicht, ob die Digitalorgel das Zukunftsinstrument ist, was ich irgendwann bauen werde. Ich würde nicht ausschließen, dass ich mich da mal ran wage da in diese Richtung zu schauen, weil: nur durch die Diversität kann man wachsen. Und wenn man sich von Dingen abgrenzt, schränkt man sich selber damit ein. Ich hab kein Problem damit, mal eine Digitalorgel zu bauen. Es ist glaube ich nicht die Richtung, in die ich gehen möchte, weil ich einfach auch diese Materie Holz so mag. Oder eben auch diese ganzen Dinge, die in einer Orgel drin sind. Das ist schon was Besonderes."