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Orientalische Längsflöte
Der Klang der Sufis

Kein Musikinstrument ist so sehr mit dem Islam verbunden wird wie die Ney. Vor allem die Sufis, die islamischen Mystiker, haben viel zur Popularität dieser Längsflöte beigetragen. Und sie findet Eingang in die Popkultur.

Von Hüseyin Topel | 03.08.2018
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    Der Ney-Künstler Murat Çakmaz und sein orientalisches Blasinstrument. (Deutschlandradio/Hüseyin Topel)
    Die Geschichte der Ney geht in eine Zeit zurück, in der es den Islam noch nicht gab, sagt der Ney-Künstler Murat Çakmaz.
    "Die Ney ist ein uraltes Blasinstrument. Wenn wir auf den Ursprung der Ney schauen: Diese Flöte ist im Orient schon vor rund 4.000 Jahren gespielt worden. Sie war schon bei den Sumerern im Einsatz. Einige Exemplare aus dieser Zeit sind in Museen überliefert. Also, auch als es noch keinen Islam gab, wurde die Ney schon eingesetzt – und zwar überwiegend bei religiösen Ritualen."
    Eine Ney zu spielen ist nicht einfach. Viele Interessierte geben auf, wenn sie auch nach wochenlangem Üben keinen einzigen Ton aus ihr heraus bekommen.
    "Ja, die Ney ist schon eine Herausforderung. Jedes Instrument zu meistern, ist eine Herausforderung, aber die Ney ist besonders schwierig. Es kann sehr lange dauern, bis man einen ersten Ton erzeugt. Und diese ersten Töne dann zu angenehmen Klängen zu entwickeln, dazu bedarf es großer Geduld."
    Die weinende Flöte
    Der Klang der Ney kommt dem Klang der menschlichen Stimme nahe. Als würde jemand klagen oder weinen – so kann die Ney klingen. Seit Jahrhunderten wird die Geschichte erzählt, dass dies an der Art der Herstellung liege. Murat Çakmaz über die weinende Flöte:
    "Eine Ney wird aus einem Rohrstock hergestellt. Die Rohrstöcke müssen abgeschnitten werden. Das Schneiden der Rohrstöcke – das führt zu dieser klagenden Stimme einer Ney. Die Flöte beschwert sich, aus ihrem natürlichen Umfeld herausgerissen zu werden. So will es die Legende."
    Bis heute ist dieses orientalische Musik-Instrument in der islamischen Welt wichtig. Das war nicht immer so. Erst im 13. Jahrhundert wurde die Ney zu dem Symbol der islamisch-spirituellen Kunst. Das begann mit herausragenden anatolischen Denkern wie den großen Religionsphilosophen und Sufi-Lehrmeistern Mewlana Dschalaleddin Rumi, Haci Bektaş Veli und dem Lyriker Yunus Emre.
    "Erst nach dem 12. Jahrhundert, als sich auf anatolischem Territorium der Sufismus entfaltete, hat die Ney eine neue Bedeutung erlangt. Es gibt dazu einen schönen Spruch: "Sufismus ist ohne die Ney undenkbar – und die Ney ist ohne den Sufismus undenkbar." Die Ney klingt sehr emotional, sie hat einen meditativen Effekt – das hat die Ney für religiöse Rituale so bedeutsam gemacht."
    Ney erzeugt eine respektvolle, religiöse Haltung
    Die Flöte hilft dem Spieler, eine religiöse Haltung einzunehmen. Murat Çakmaz sagt, dass er durch seine Ney beeinflusst werde:
    "Wenn ich die Ney in die Hand nehme, dann ist das mit religiösen Gefühlen verbunden. Auch wenn ich persönlich die Religion nicht so streng auslebe, nehme ich dennoch eine respektvolle, ernste Haltung ein, sobald ich meine Ney spiele. Bei meinen Auftritten achte ich darauf, dass die Menschen diese Ernsthaftigkeit der Ney spüren."
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    Die Ney (Deutschlandradio/Hüseyin Topel)
    Murat Çakmaz ist ein moderner Mann mit einem tätowierten Unterarm und einem Ohrring am linken Ohr. Sein Aussehen sorge schon mal für Irritation, so Çakmaz:
    "Bei meinen Auftritten erlebe ich sehr oft, dass es in der türkischen Bevölkerung bezüglich der Ney ein striktes Schwarz-Weiß-Denken gibt. Da gibt es viele Vorurteile. Mit Ney-Spielern werden bestimmte Bilder und Menschentypen assoziiert. Die Leute erwarten eher einen alten Mann mit einem langen, weißen Bart - und eben keinen jungen Mann wie mich."
    Populär in Film- und Musikindustrie
    Die Ney wird seit einigen Jahren vermehrt auch in Spielfilmen und arabischer Popmusik eingesetzt. In eher konservativen Kreisen führt das zu heftiger Kritik, was Murat Çakmaz aber unbegründet findet.
    "Ich sehe es nicht so streng, wenn die Ney auch ungewöhnlich eingesetzt wird. Ich finde es gut, wenn man so die Ney international bekannt macht. Während die europäische Flöte oder die südamerikanische Panflöte weltweit bekannt sind, bleibt die Ney bislang auf den Orient beschränkt. Dabei hat dieses Instrument technisch betrachtet Möglichkeiten, an die viele andere Instrumente nicht ran kommen. Deshalb ist es gut, wenn die Ney auf verschiedene Weise eingesetzt wird. Gerade in der Jazz-Musik, oder in der Pop-Musik ist das eine gute Sache. Die Ney sollte aber nicht lächerlich gemacht werden. Man muss die spirituelle Tiefe dieses orientalischen Instruments stets im Auge behalten. Und dem historischen Ursprung der Ney muss entsprechend Respekt gezollt werden."
    Für Murat Çakmaz ist es eine Aufgabe der Künstler, die Ney zu einem international bekannten Instrument zu machen. Das funktioniere aber nur, wenn Ney-Künstler weltoffen sind und wenn sie sich auf andere Kulturen einlassen.
    "Es gibt Künstler, die die Ney nur in religiösen Ritualen und Zeremonien eingesetzt sehen wollen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Vielzahl an Künstlern, die sich mit ihrer Ney einer Jazz-Gruppe anschließen. Auch im andalusischen Flamenco oder in jüdischer Klezmer-Musik wird die Ney manchmal eingesetzt. Ich persönlich engagiere mich in so einem Projekt. Dabei spiele ich mit meiner Ney jüdische Musik – und jüdische Künstler spielen muslimische Stücke."
    Dieser Beitrag wurde erstmalig am 5.4.2016 ausgestrahlt.