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Ort des Schreckens

Niemand wusste damals, wo die politischen Gefangenen des ungarischen Volksaufstands eingesperrt waren. Heute kennt man die Adresse: ein zweistöckiges Haus in der Andrássy-Straße, genannt "Terrorhaza", Terror-Haus. Das Gebäude war nacheinander die Zentrale der Geheimpolizei zweier Terror-Regime in Ungarn: der Nazis und der Kommunisten. Seit einigen Jahren ist es ein Museum.

Von Robert Baag | 23.10.2006
    "Es ist ein Ort, wo sehr viele Gräueltaten begangen wurden, es ist ein Ort, der Angst und Unterdrückung für ein ganzes Volk bedeutet hat."

    Maria Schmidt zeigt auf die Wand im so genannten GULag-Raum im zweiten Stock des "Terrorhaza", des berüchtigten "Terrorhauses" im Zentrum von Budapest. Schmidt ist die Leiterin dieses gleichnamigen Museums.

    Eintöniges Rattern dahinrollender Eisenbahn-Waggons füllt den Raum. Schwarzweiß-Fotografien von verhärmten, abgezehrten Gesichtern, Alte, Junge, Männer, Frauen, die aus vergitterten Güterwagen-Luken blicken, ziehen in ihren beklemmenden Bann: Es sind ungarische politische Gefangene, die Richtung Osten rollen, in die Lager der Sowjetunion.

    Hauptquartier und Folterkeller zunächst der ungarischen "Pfeilkreuzler"-Nazis wird dieses äußerlich imposante, Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Haus an der Andrassy ut, mit Beginn der sowjetischen Okkupation 1944/45 von der ungarischen kommunistischen Geheimpolizei übernommen. Der Stalinismus und sein totalitäres Unterdrückungssystem hat in den vierziger und fünfziger Jahren auch Ungarn fest in seinem Griff: Willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung - und: Todesurteile.

    Während der Fahrstuhl sich in fast zeitlupenhaftem Tempo zu den unterirdischen Verließen absenkt, erzählt aus dem Off die Stimme eines Zeitzeugen - er musste die Richtstätte saubermachen -, wie damals die Exekutionen abliefen, nach ewig gleichem Ritual.

    Die Hinrichtungen, so sagt er, erfolgten stets im Morgengrauen. Ein Treppchen mit zwei Stufen. Der Gefangene musste sich mit dem Rücken zum Galgen hinstellen, der Henker legte ihm den Strick um den Hals, prüfte ein wenig den Zug, der Assistent fesselte die Beine des Delinquenten. Dann rief der Henker irgend so etwas wie: "Happ!" - Der Assistent stieß das Treppchen weg und der Henker zog mit voller Kraft am Seil. Ein Arzt trat hinzu - und teilte am Ende nüchtern mit: "Genosse Staatsanwalt! Ich melde, der klinische Tod ist eingetreten!"

    "Einfach unglaublich, diese Zellen da unten!" Der 20-jährige US-Student Daniel Clark aus Wichita Falls in Texas holt nachhaltig schockiert tief Luft. Er habe schon andere Gedenkstätten aus kommunistischer Zeit gesehen, aber das hier... wie man hier die Menschen gefoltert habe...

    Ein paar Räume weiter: Monoton fallen Namen von Ungarn, eine endlose Reihe, so scheint es. Aus unsichtbaren Lautsprechern, von links, von rechts, mal von hinten, mal von der Seite, mal von vorn.

    "Vergeltung", heißt diese Station und gemeint ist die Rache des kommunistischen Kádár-Regimes nach dem Ende des Ungarn-Aufstands vom Oktober/November 1956, der sich jetzt zum fünfzigsten Mal jährt. Sechs symbolische Galgen in einem blutrot illuminierten, an der Decke bogenförmigen Kellergewölbe aus unverputzten Backsteinen sollen an die 229 hingerichteten "Märtyrer der Revolution" erinnern, wie sie im offiziellen Sprachgebrauch genannt werden. Der jüngste von ihnen war der Berufsschüler Peter Mansfeld, der - gerade mal 18 Jahre alt - noch drei Jahre nach dem Aufstand erhängt wurde - 1959:

    "Das was hier gezeigt wird", so der belgische Student Sebastien Poitou, "darf nie vergessen werden." Dieses Museum sei sehr wichtig, es sei gut konzipiert und interessant präsentiert.

    Und genau diesen Eindruck wünscht sich Maria Schmidt bei ihren Besuchern, inzwischen mehr als zwei Millionen Menschen, seit das "Terrorhazo" vor über viereinhalb Jahren seine Pforte als Museum geöffnet hat:

    "Wir wollten die Besucher mit emotionellen Mitteln auch erreichen. Wir wollten ihr Herz ergreifen und auch - nachdem sie das Haus verlassen -, dass sie fröhlich und glücklich sind, dass wir heute in einem freien Land leben können und dass das nicht selbstverständlich ist. Dafür sind viele gestorben."