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Orthodoxe Kirchen
Kiewer Patriarchat gegen Moskauer Patriarchat

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine stellt auch die unterschiedlichen orthodoxen Kirchen des Landes vor eine Belastungsprobe. Die Gemeinden in der Ukraine gelten bis heute als das religiöse Zentrum der russisch geprägten Orthodoxie.

Von Michael Hollenbach | 19.03.2014
    Die Ukraine ist das russisch-orthodoxe Kernland schlechthin. Denn hier, in Kiew, liegen die Wurzeln der russisch-orthodoxen Kirche. Heinz Ohme ist Professor für Ostkirchenkunde an der Berliner Humboldt-Universität:
    "Kiew ist ja die Wiege der gesamtrussischen Orthodoxie, das bezweifelt niemand. Das heißt: Das Moskauer Patriarchat betrachtet Kiew und die gesamte orthodoxe Geschichte der Ukraine als den Wurzelboden der eigenen Kirchengeschichte, und das schlägt sich darin nieder, dass sich das Moskauer Patriarchat unmittelbar verantwortlich fühlt für die orthodoxen Gemeinden in der Ukraine."
    Die Gemeinden in der Ukraine sind bis heute das religiöse Kernland der russisch geprägten Orthodoxie:
    "Die Ukraine ist auch schon zu sowjetischen Zeiten die am intensivsten religiös bestimmte Region der alten Sowjetunion gewesen. Das heißt, auch schon unter den extrem schwierigen religiösen Verhältnissen zu Sowjetzeiten sind die meisten Gemeinden des Moskauer Patriarchates in der Ukraine gewesen."
    Doch nach der staatlichen Verselbstständigung der Ukraine 1991 verlor das Moskauer Patriarchat den Zugriff auf viele ukrainische Gemeinden. Während dem Moskauer Patriarchat mit 12.000 Gemeinden heute rund die Hälfte aller Kirchengemeinden zuzurechnen ist, gehören zur orthodoxen ukrainischen Kirche Kiewer Patriarchat rund 4500 Gemeinden; allerdings: Was die Zahl der Gläubigen betrifft, dürften beide Kirchen gleich groß sein. Der sogenannten autokephalen ukrainisch-orthodoxen Kirche, die bis 1991 vor allem im Exil existierte, gehören 1200 Gemeinden an; und zu der mit Rom unierten, ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche zählen 4500 Gemeinden. Diese Gemeinden liegen im Westen der Ukraine, im früheren Galizien.
    Die Kiewer orthodoxe ukrainische Kirche wird geleitet von dem 85-jährigen Patriarchen Filaret Denyssenko:
    "Er hat sich getrennt vom Moskauer Patriarchat und eine eigene Kirche gegründet, die im Rahmen der Nationenbildung der Ukraine, der Verselbstständigung, der Entwicklung eines eigenen Nationalbewusstseins gegenüber Moskau eine große Rolle gespielt hat und explosionsartig gewachsen ist, sodass das in den 90er-Jahren die größte Herausforderung an das Moskauer Patriarchat gewesen ist. Der größte Verlierer der Situation seit 1991 ist das Moskauer Patriarchat gewesen."
    Filaret wurde vom Moskauer Patriarchen exkommuniziert, und auch von den übrigen orthodoxen Kirchen wird das Kiewer Patriarchat bislang nicht anerkannt. Erst vor zehn Tagen bekräftigten die in Istanbul versammelten orthodoxen Kirchenführer die Forderung, dass die Gemeinden des Kiewer Patriarchats "in den Schoß der Heiligen Kirche" zurückkehren müssten.
    Politik instrumentalisiert Religion
    Vor allem in den 90er-Jahre kam es zu Konflikten zwischen den einzelnen Kirchen auf ukrainischem Gebiet - besonders um die Eigentumsfragen der Gotteshäuser wurde heftig gestritten. Und in den vergangenen Jahren - so Heinz Ohme - wurden die verschiedenen Kirchen immer wieder von der Politik instrumentalisiert:
    "Die Politik in der Ukraine hat jeweils verschiedene Gruppierungen gefördert, um die eigenen politischen Interessen auch durchzusetzen. Das heißt, Janukowitsch, der letzte Präsident, hat sehr stark die zum Moskauer Patriarchat gehörende Orthodoxie gefördert, während der Vorgänger Juschtschenko, der eine stark nationalistische Politik betrieben hat mit stark antirussischen Akzenten, der hat dieses Kiewer Patriarchat gefördert."
    In den vergangenen Jahren seien aber die verschiedenen Kirchen stärker aufeinander zugegangen.
    "Das Bemerkenswerte ist, dass auch die zum Moskauer Patriarchat gehörenden Gemeinden keineswegs mehr einen monolithischen Block darstellen, sondern hier hat sich sehr viel getan. Und es gibt auch bei ihrem langjährigen Leiter, dem Metropoliten Wolodimir, da gibt es ein neues Bewusstsein dafür, so was wie eine gesamt-ukrainisch, orthodoxe Kirche zu konstituieren. Die gehen sehr stark aufeinander zu."
    So haben sich im September vergangenen Jahres alle Kirchen in der Ukraine für das Assoziierungsabkommen mit der EU ausgesprochen. Und während beispielsweise der Moskauer Erzpriester Wsewolod Tschaplin, zuständig für die Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, sich sogar für ein Eingreifen Putins in der Ukraine aussprach, sind die Töne in der Ukraine selbst wesentlich differenzierter, sagt der Berliner Theologe Heinz Ohme:
    "Ich habe den Eindruck, dass eine neue Freiheit auch eingekehrt ist, eine bemerkenswerte Selbstständigkeit. Es hat jetzt Bischöfe des Moskauer Patriarchats gegeben in der Ukraine, die sich gegen die Anerkennung der Krim ausgesprochen haben - öffentlich. Es hat sogar einen Bischof gegeben, der sogar an Putin einen öffentlichen Brief geschrieben hat und ihn aufgefordert hat, die Finger von der Ukraine zu lassen."
    Wiedervereinigung statt Separatismus
    Sowohl der Kiewer Patriarch Filaret als auch der Moskauer Kyrill I. fordern eine Wiedervereinigung ihrer Kirchen als Zeichen gegen den Separatismus. Allerdings ist die entscheidende Frage, zu welchen Bedingungen eine solche Vereinigung geschehen soll. Heinz Ohme skizziert die Moskauer Position:
    "Einheit gibt es nur, wenn ihr alle unter die Oberhoheit des Moskauer Patriarchates zurückkehrt, dann könnte das Moskauer Patriarchat in die Autokephalie, in die Selbstständigkeit entlassen. Aber ich glaube, dieser Weg wird nicht gelingen, weil das Selbstbewusstsein der ukrainisch-orthodoxen Christen, die sich selbst als die Wiege der russischen Orthodoxie verstehen, so stark ist, dass sie sich nicht unter die Oberhoheit Moskaus zurückbegeben werden."
    Und so kann der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eher dazu führen, dass sich auch die orthodoxen Kirchen wieder weiter voneinander entfernen.