Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Orthodoxie
"Hallo, wir haben Gebet"

Derzeit tagt das panorthodoxe Konzil auf Kreta, allerdings ohne Beteiligung der antiochenischen Kirche. In Deutschland ist die Zahl der antiochenisch-orthodoxen Christen durch Flüchtlinge aus Syrien gestiegen. Die Gemeinden haben ein Problem, das die katholische und evangelische Kirche gern hätten: Sie wachsen. In Essen wurde sogar eine neue Gemeinde gegründet.

Von Hildegard Sühling | 22.06.2016
    Der erste syrisch-orthodoxe Kirchentag in Deutschland wurde am Sonntag (17.05.15) in der Klosterkirche im nordrhein-westfaelischen Warburg mit einem Gottesdienst beendet. Der Abschlussgottesdienst wurde vom Oberhaupt der Kirche, Ignatius Aphrem II. Karim aus Damaskus, zelebriert. Die dreitaegige Zusammenkunft auf der Anlage des Warburger Klosters mit Gottesdiensten, Vortraegen und spirituellen Veranstaltungen hatte am Freitag begonnen. Die syrisch-orthodoxe Kirche zaehlt zu den aeltesten Kirchen weltweit. In Deutschland hat sie nach eigenen Angaben etwa 100.000 Glaeubige in rund 60 Gemeinden.
    Syrisch-orthodoxe Gemeindemitglieder beim Gottesdienst (imago / Friedrich Stark)
    Elias Esber ist seit 30 Jahren antiochenisch-orthodoxer Priester in der arabisch-sprachigen Gemeinde in Köln-Seeberg. Er hat, was viele katholische und evangelisch Pfarrer gern hätten: eine volle Kirche. Denn seine Gemeinde wächst. Christliche Flüchtlinge aus Syrien suchen die Nähe zur Kölner Gemeinde am Bistumssitz. Weil der Andrang so groß ist, hat Pfarrer Elias Esber beschlossen, eine neue Gemeinde zu gründen.
    "Wir wollten eine Gemeinde im Ruhrgebiet gründen. Da so viele Leute in Essen und der Umgebung wohnen und die können nicht alle nach Köln fahren haben wird das Angebot, dass wir hier einen Gottesdienst alle 4 Wochen feiern. Wir haben sehr großen Zuspruch bekommen. Wir haben 300-400 Leute zu jedem Gottesdienst hier. Die Kirche wird voll."
    Seit einem halben Jahr ist die neue Gemeinde in der katholischen Kirche St. Ludgerus in Essen-Rüttenscheid sonntagsnachmittags zu Gast. Es fanden sich schnell Sänger zu einem Chor zusammen. Denn ohne Chor, kein orthodoxer Gottesdienst. Ein kleiner Junge mit einer großen Kerze ist noch etwas unsicher in seiner Rolle als Messdiener. Der Altar ist links und rechts mit je einem Ikonenbild geschmückt. In der jungen Gemeinde gibt es Wichtigeres als liturgische Pracht, meint Priester Elias Esber. "Wir müssen schauen, wie wir sie unterstützen und das Wort Gottes an sie weitergeben. Und die betrachten diese Gemeinde als ein Stückchen Heimat, wenn sie alle 4 Wochen kommen sich treffen, die Gesänge hören, die Gottesdienste mitmachen. Da fühlen sie sich wieder zu Hause für 1,2,3 Stunden…Zum Glück haben wir große Hilfe von der katholischen Kirche hier. Die haben uns alles gegeben, was wir brauchten. Ein Dach über dem Kopf, ein Altar und eine wunderschöne Kirche. Wir haben Messgeräte bekommen, wir haben fast alles neu."
    Elias Esber hat den katholischen Pfarrer, Oliver Scherges bei einer katholisch-orthodoxen Trauung kennengelernt. Sie waren sich schnell einig, gemeinsam Flüchtlingshilfe zu leisten. Sie arbeiten gut zusammen, so Pfarrer Oliver Scherges von St. Luderus. Auch die bischöfliche Genehmigung, orthodoxe Gottesdienste in der katholischen Kirche feiern zu dürfen, ließ nicht lange auf sich warten.
    "Wir haben geguckt, was brauchen sie. Da stand im Vordergrund der Gottesdienst. Und manchmal Unterstützung im karikativen Bereich. Unsere Netzwerke, die haben wir geöffnet, damit sie Unterstützung bekommen."
    Die katholische Gemeinde musste sich nicht groß einschränken, denn sonntagsnachmittags war die Kirche meist ungenutzt.
    Oliver Scherges sagt: "Wir merken aber, dass unsere Kirche sich freut, dass sie genutzt wird auch von der syrischen Gemeinde und dass auch so langsam jetzt Kontakte entstehen. Als z.B. eine schwangere Frau eine Erstlingsausstattung brauchte da haben wir ganz viel gesammelt. Oder beim Gemeindefest, das wollen wir zusammen feiern."
    Louai Alhanon gehört der jungen Gemeinde an. Er ist antiochenisch-orthodoxer Christ aus Homs in Syrien. Seit 8 Monaten lebt er in Essen. Er hält den Kontakt zum Pfarrer und verständigt die Gemeinde, wann die Gottesdienste stattfinden.
    Louai Alhanon erzählt: "Ich schreibe mit facebook. Hallo wir haben Gebet in Essen und die Leute kommen. Sehr leicht. Kein Problem. Immer wir machen Kontakt mit Pfarrer, weil wir brauchen Pfarrer für machen die Gebet." "Die Leute kommen aus Bochum oder Duisburg oder Wattenscheid oder Essen. Für uns ist das sehr wichtig."
    Louai hilft im Flüchtlingsheim mit Übersetzungen und spielt mit den Jungs Fußball. Er wirkt kontaktfreudig und überaus gut gelaunt. Er muss stark sein. Nur zögernd erzählt er, dass er Frau und Kinder in Syrien zurückgelassen hat. "Ich habe eine Familie in Syrien, Homs", sagt er. "Eine Tochter 7 Jahre und ein Sohn drei Jahre. Vor die Familie kommt nach Deutschland wir müssen machen die Interview in Botschaft im Libanon. German Botschaft und dann die Visa kommt. Und vielleicht jetzt ich brauche 7 Monate und dann meine Familie kommt. Meine (Leben? - undeutlich) ist nicht zu viel comfortable aber ich muss lernen, ich muss arbeiten, ja!"
    Sein Leben sei nicht sehr angenehm, sagt er aber er hofft, bald seine Familie nach Deutschland holen zu können. Er wird von den ehrenamtlichen Betreuern Klaus und Dagmar Barkhofen unterstützt. Er hat ihnen von der neuen orthodoxen Gemeinde erzählt und sie wollten sich das einmal anschauen.
    "Louai hat uns heute mitgeschleppt sozusagen", sagt Dagmar Barkofen lachend. "Wir kennen uns aus dem Flüchtlingswohnheim und haben ihn mit begleitet und mit ihm zusammen auch eine Wohnung gesucht und gefunden hier in Essen. Heute sind wir sehr gespannt wie so ein Gottesdienst abläuft, den wir wahrscheinlich nicht verstehen werden, aber einfach mal schauen, was passiert."
    In der neuen Gemeinde herrscht eine besondere Stimmung. Es fehlt eine gewisse Unruhe, die bei orthodoxen Gottesdiensten durchaus üblich ist und durch Umhergehen, hinein und hinausgehen aus der Kirche entsteht. Diese Gemeinde wirkt ernst und ruhig, bis zur letzten Minuten kostet sie den Gottesdienst aus. Priester Elias Esber ist auch Flüchtlingsbeauftragter der orthodoxen Kirche in Deutschland. Über Gottesdienst und Gemeindegründung hinaus möchte er gerne mehr in die Flüchtlingshilfe eingebunden werden.
    Er sagt: "Es gibt so viele Entscheidungsgremien in NRW oder im Bund und wir werden bis jetzt – obwohl mehrmals habe ich mich oder die Bischofskonferenz angeboten zu helfen - aber wir werden bis jetzt ignoriert. Andere Organisationen werden aufgenommen, aber wir noch nicht. Und wir meinen wir können die Brücke sein zwischen Muslimen und Deutschen, weil wir die Mentalität verstehen, die Sprache verstehen. Wir sind mit denen groß geworden, zusammen gelebt und die können ein bisschen von unserer Erfahrung lernen. Und das - bis jetzt -funktioniert nicht."
    Die gemeinsamen Möglichkeiten werden noch nicht voll wahrgenommen. Was in den politischen Gremien fehlt, geschieht aber bereits vor Ort, in Essen-Rüttenscheid. Louai genießt Familienanschluss bei den Barkhofens und Herr Barkhofen kann schon "Ich heiße Klaus" auf Arabisch sagen:
    Klaus Barkhofen: "Ane ismet Sahit Klaus! Das habe ich von Louai gelernt. Wir tauschen uns da immer aus. Ich lern ihm Deutsch und er mir Arabisch."