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Orthopädie und Unfallchirurgie
Deutschland hat Knie

In Deutschland verletzten sich immer mehr Menschen durch Stürze oder beim Sport am Knie. Als ob das nicht schon schmerzhaft genug wäre: Selbst bei optimaler Versorgung kann eine solche Verletzung später oft zu einer Arthrose führen. Und noch eine Erkenntnis haben die Orthopäden: Das weibliche Knie ist für Verletzungen deutlich anfälliger als das männliche.

Von Christina Sartori | 25.10.2016
    Ein Physiotherapeut behandelt Knieprobleme einer jungen Patientin.
    Ein Physiotherapeut behandelt Knieprobleme einer jungen Patientin. (picture-alliance / dpa-ZB / Hans Wiedl)
    Man muss sich Sorgen machen um das weibliche Knie. Das ergibt eine veröffentlichte Studie des Berufsverbandes der Orthopädie und Unfallchirurgie und der AOK Baden-Württemberg, für die die Daten von 3,8 Millionen Versicherten ausgewertet wurden. Dr. Johannes Flechtenmacher, Präsident dieses Berufsverbandes, beschreibt die Ergebnisse genauer:
    "Da zeigt sich eben, dass zwischenzeitlich die Verletzungsrate des Kniegelenks bei Frauen deutlich zunimmt und das ist für uns ein Appell Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, um grad die Kniegelenksbandverletzungsrate eben wieder zu senken."
    Hohes Arthrose-Risiko
    Zwar verletzen sich Männer insgesamt häufiger an den Kniebändern, als Frauen. Doch der starke Anstieg der Knieverletzungen besorgt den Orthopäden. Denn in den meisten Fällen hat eine Kniegelenksbandverletzung später unangenehme Folgen.
    "Auch wenn die Kreuzbandverletzung optimal behandelt wird und auch die Ergebnisse gut sind, bekommt diese Person trotzdem in 80% der Fälle – und das ist eine sehr hohe Zahl – innerhalb von zehn Jahren eine Arthrose im Kniegelenk."
    Noch ist man sich nicht sicher, was diesen Anstieg der Verletzungen verursacht - doch es gibt einen starken Verdacht, sagt Johannes Flechtenmacher:
    "Was wir sehen ist, dass die Verletzungsrate vor allem in den Wintermonaten ansteigt, sodass wir glauben, dass das vor allem mit dem Skifahren zu tun hat."
    Skifahr-Training als Vorbeugung
    Immer mehr Menschen, die Ski-fahren, aber auch immer mehr Menschen, die schnell und riskant die Abhänge herunter brettern – das könnte die Zunahme der Verletzungen erklären. Helfen könnte hier ein spezielles Training, meint der Orthopäde:
    "Es gibt spezielle Gymnastikprogramme – wir sprechen vom sogenannten propriozeptiven Training. Wir haben Studien aus den skandinavischen Ländern, die zeigen, dass man dadurch die Verletzungsrate deutlich reduzieren kann."
    Doch auch ohne Unfall bereitet das weibliche Knie mehr Probleme, als sein männliches Pendant. Dr. Manfred Neubert, Präsident des diesjährigen deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie, nennt ein Beispiel:
    "Da sind ein paar interessante neuere Erkenntnisse gewonnen worden. Z.B. dass auch die degenerativen Gelenkerkrankungen, also die Arthrose-Rate, speziell am Kniegelenk bei Frauen deutlich höher ist, als bei Männern.
    Schuld daran sind wohl mehrere Faktoren, vermutet Manfred Neubert:
    "Zum Teil anatomische Unterschiede, die sind nachgewiesen beim Kniegelenk: Das Gleitlager der Kniescheibe ist schmaler bei Frauen usw. Und es gibt auch Hinweise auf eine gewisse hormonelle Ursache."
    Künstliche Kniegelenke für Frauen
    Im Knorpel und in anderen Teilen des Kniegelenks befinden sich Hormonrezeptoren. Deshalb versuchte man, diese Rezeptoren zu beeinflussen, um den Knorpelabbau zu stoppen. Aber ohne Erfolg, berichtet der Orthopäde:
    "Man hat also versucht, bei Frauen eine Hormonersatztherapie, wie man sie ja früher bei der Osteoporose gemacht hat, zu machen, um die Arthrose zu verhindern. Das ist nicht gelungen."
    In manchen Fällen hilft bei einer Kniegelenksarthrose nur noch ein neues künstliches Kniegelenk. Auch hier schneiden Frauen schlechter ab als Männer:
    "Und zwar in Bezug auf die Funktion. Die Beweglichkeit der neuen Kniegelenke ist bei Frauen schlechter, und auch auf die Schmerzen, also die postoperativen Schmerzen. Frauen brauchen mehr Schmerzmedikamente, die Schmerzen halten länger an."
    Daran hat auch die Entwicklung eines Kniegelenks speziell für Frauen nichts geändert. Dementsprechend besteht hier ein großer Forschungsbedarf, stellt Manfred Neubert fest. Für beide Geschlechter gelte aber: Patienten dürfen nicht zu große Erwartungen an ein künstliches Kniegelenk haben. Das sollten Ärzte bei der Aufklärung über den Eingriff beachten, appelliert Neubert.
    "Man muss auch sagen: Ein neues Kniegelenk ist eine Krücke. Das wird die Situation verbessern, aber es wird nicht alle Probleme aus der Welt schaffen. Da tun wir uns selber und auch den Patienten einen großen Gefallen, wenn wir die Erwartungshaltung auf ein realistisches Niveau bringen."