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Oskar Niedermayer
"Es geht um das Überleben als Volkspartei"

Ob der neue SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auch noch in zwei Monaten gute Umfragewerte haben wird, stehe "auf tönernen Füßen", sagte der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer im DLF. Schulz' europapolitisches Engagement könne dabei möglicherweise eine Bürde werden.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Christiane Kaess | 25.01.2017
    Porträtaufnahme von Oskar Niedermayer im November 2015
    Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer (dpa / Julian Stratenschulte)
    Christiane Kaess: Vor der Sendung habe ich mit dem Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer gesprochen. Gabriel hat gesagt, wenn wir 2017 nicht gut abschneiden, dann geht 2021 erst recht nichts. Ich habe Oskar Niedermayer gefragt, ob es bei der SPD tatsächlich ums Überleben geht.
    Oskar Niedermayer: Na ja, vielleicht nicht ums Überleben, aber ums Überleben als Volkspartei. Das denke ich schon. Wenn sie da bleibt, wo sie momentan in den Umfragen ist, dann ist dieses Überleben dann doch gefährdet.
    "Seine guten Umfragewerte stehen noch auf tönernen Füßen"
    Kaess: Und um wieviel besser sind die Chancen der SPD mit Martin Schulz, gegen Angela Merkel anzutreten?
    Niedermayer: Ja, das ist jetzt noch nicht wirklich auszumachen, weil das große Problem ist, dass Schulz ja über 20 Jahre Europapolitiker war und man eigentlich noch überhaupt nicht weiß, wo er in den ganz wichtigen innenpolitischen Fragen, zum Beispiel Sicherheitspolitik, Flüchtlingsfragen und so weiter steht. Das heißt, die Leute kennen ihn noch nicht gut genug. Deswegen stehen auch seine guten Umfragewerte meiner Ansicht nach noch auf tönernen Füßen und man muss erst mal zwei, drei Monate abwarten, wenn er sich in die Niederungen der Innenpolitik begeben hat und auch des parteipolitischen Wahlkampfes. Wenn dann die Werte noch so gut sind wie jetzt, dann kann man sagen, er hat zumindest eine deutlich größere Chance als Gabriel.
    "Es ist ein Neuanfang signalisiert"
    Kaess: Aber würden Sie sagen, die Tatsache, dass Schulz quasi Newcomer auf bundespolitischer Ebene ist, dass das eher ein Vor- oder ein Nachteil ist?
    Niedermayer: Das kann beides sein. Ein Vorteil in dem Sinne, es ist jetzt ein Neuanfang signalisiert und dass die Partei jetzt natürlich auch einen Ruck bekommt und sagt, jetzt müssen wir uns hinter Schulz stellen und müssen das gemeinsam schaffen. Andererseits ist sein europapolitisches Engagement möglicherweise auch eine Bürde, weil die Deutschen ja nicht unbedingt in der neueren Zeit so sehr europaenthusiastisch sind. Vor allen Dingen wird ihn die AfD natürlich angreifen, weil er die Krise durch mehr Europa, mehr Integration lösen will. Er muss sehr schnell das Image des Europapolitikers ablegen und muss tatsächlich Innenpolitiker werden.
    Kaess: Kann er sich nicht anders herum als glühender Europäer genau als Gegenstück zu den Rechtspopulisten entwickeln?
    Niedermayer: Ja, das kann er schon. Nur ein Teil der eigenen Wählerschaft der SPD sieht es eben anders und deswegen muss er sich profilieren im innenpolitischen Bereich. Er muss sich profilieren als jemand - und das ist er ja auch -, der den Markenkern der SPD wieder nach vorne bringt, nämlich die soziale Gerechtigkeit.
    Kaess: Was glauben Sie denn, Herr Niedermayer, warum schneidet Martin Schulz denn in den Umfragen bisher besser ab als Sigmar Gabriel?
    Niedermayer: Ich glaube, dass das viel damit zu tun hat, dass viele Leute Gabriel nicht für geeignet halten, Kanzlerkandidat der SPD zu werden, und wenn dann eine Alternative da ist, von dem sie zumindest noch nicht viel Negatives gehört haben, dann ist er ihnen lieber als ein Kandidat, von dem sie nicht so sehr viel halten. Und dass Gabriels Werte schlecht sind, das weiß man ja schon seit langem.
    "Rot-Rot-Grün als Machtperspektive"
    Kaess: Jetzt ist heute Abend schon viel darüber spekuliert worden, ob diese Entscheidung auch eine Aussage über Koalitionsmöglichkeiten nach der Wahl sein könnte. Ist sie das?
    Niedermayer: Die SPD hat ja nur eine realistische Machtperspektive, den Kanzler selbst zu stellen, und das ist Rot-Rot-Grün. Und soweit ich Schulz kenne, steht er eigentlich nicht für diese Alternative. Er ist kein Freund einer Koalition mit der Linkspartei. Und jetzt bin ich mal gespannt, wie er sich in dieser Frage dann profilieren will.
    Kaess: Wie scharf wird er angreifen, denn das ist jetzt auch immer wieder diskutiert worden? Er muss im Wahlkampf nicht aus der Kabinettsdisziplin heraus handeln. Er kommt von außen. Welche Möglichkeiten gibt ihm das?
    Niedermayer: Ja, das ist vollkommen richtig. Er ist nicht eingebunden wie Gabriel, der es ja bleibt, wenn er jetzt Außenminister wird. Deswegen kann er viel freier aufspielen und kann Frau Merkel auch stärker attackieren. Das wird er auch tun, das muss er auch tun, denn die SPD muss sich zumindest in Gestalt ihres Kanzlerkandidaten jetzt natürlich dann im Wahlkampf auch von der Union absetzen, muss den Leuten kommunizieren, warum man jetzt sie wählen soll, obwohl sie ja in der Großen Koalition die ganze Zeit mit der Union waren.
    Kaess: Noch kurz zu der Entscheidung von Sigmar Gabriel. Hätten Sie ihm zugetraut, sich so zurückzunehmen? Das wirkt ja etwas selbstlos im Moment.
    Niedermayer: Ja, es wirkt einerseits selbstlos. Andererseits weiß er natürlich um seine Werte und er weiß auch darum, dass es für ihn sehr, sehr viel schwieriger geworden wäre. Zudem glaube ich ihm auch, dass persönliche Gründe auch mit eine Rolle gespielt haben, die Geburt seines zweiten Kindes, die bevorsteht, und dass dies ihm doch vor Augen geführt hat, dass es auch ein Leben außerhalb der Politik gibt.
    Kaess: Die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer. Danke schön dafür.
    Niedermayer: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.