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Oskar Pastior gestorben

Der deutsch-rumänische Lyriker Oskar Pastior ist tot. Der 78 Jahre alte Literat starb wenige Tage, bevor er den diesjährigen Georg-Büchner-Preis erhalten sollte. Literaturkritiker Denis Scheck würdigte die Fähigkeit des Verstorbenen, das Regelgerüst der Sprache zu erweitern und damit neue Bedeutungsebenen zu erschließen.

Moderation: Elke Durak | 05.10.2006
    Elke Durak: Der 78 Jahre alte deutsch-rumänische Lyriker Oskar Pastior ist gestorben, das hat die Polizei in Frankfurt am Main eben gegenüber dem Deutschlandfunk bestätigt. Pastior hatte den Georg-Büchner-Preis für dieses Jahr bekommen und sollte ihn im Oktober entgegennehmen bei der Herbsttagung der Akademie in Darmstadt. Das kann er nun leider nicht mehr tun. Ich möchte über diesen großartigen Lyriker gleich mit unserem Kollegen Denis Scheck in Frankfurt am Main sprechen, zunächst aber hören wir Pastior selbst, "Die Frage nach dem Gedicht" stellt er:

    "Die Frage nach dem Gedicht an sich, das Gedicht gibt es nicht. Es gibt immer nur dies Gedicht, das Dich gerade liest. Aber weil Du in diesem Gedicht, siehe oben, sagen kannst, das Gedicht gibt es nicht, und es gibt immer nur dies Gedicht, das Dich gerade liest, kann auch das Gedicht, das Du nicht liest, Dich lesen, und es dies Gedicht hier nur immer nicht geben. Beide, Du und Du, lesen das und dies, duze beide, denn sie lesen Dich, auch wenn es Dich nicht nur hier gibt."

    In Frankfurt am Main also erreiche ich meinen Kollegen Denis Scheck. Also Oskar Pastior war das, war das ein typischer Pastior, "Die Frage nach dem Gedicht"?

    Denis Scheck: Unbedingt, Frau Durak. Diese Stimme, die wir gehört haben von Oskar Pastior, diese Stimme werden wir in der deutschen Literatur sehr vermissen. Er stirbt ja wenige Tage, bevor er diesen Büchner-Preis, den renommiertesten aller Literaturpreise in Deutschland, erhalten sollte, sicherlich die Krönung dieses Lebenswerkes. Oskar Pastior stammt aus Rumänien und ist durch die Erfahrung dreier Totalitarismen geprägt, also erst der Nazizeit als Vertreter der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien, dann kam er '45 für fünf Jahre zum Wiederaufbau der Sowjetunion in die Sowjetunion, wurde dort als Zwangsarbeiter eingesetzt, und unmittelbar danach, '49, als er nach Rumänien zurückkam, noch mal drei Jahre in den Militärdienst.

    Seine Lyrik war immer ein Versuch, diesen totalitären Systemen zu entfliehen, indem er auch den Totalitarismen der Sprache entfloh, indem er den Regeln, die unser Sprechen bestimmen, eigene Regeln, sozusagen aus Freiheit geborene Regeln entgegensetzte. Die Pointe an dem Ganzen ist, nie hat er diese Regeln stärker wahrgenommen als Rundfunkredakteur. Er war ja acht Jahre lang im deutschsprachigen rumänischen Staatsrundfunk Redakteur und hat gemerkt, in dieser verordneten Sprachdiktatur kann ich meine Freiheit nicht entfalten als Lyriker. Deshalb ist seine Lyrik eigentlich nur aus dem Hintergrund zu verstehen, wenn man weiß, dass er diese, ja, Sprachfertigbauteile auf jeden Fall vermeiden wollte.

    Durak: Und vielleicht hätte er, der Lyriker und auch Rundfunkmann, seinen Spaß gehabt an unserer Lyrik, die wir ja seit geraumer Zeit hier im Deutschlandfunk ins Programm streuen. Er wird als methodischer Magier der Sprache auch beschrieben. Können Sie uns das näher erklären?

    Scheck: Na ja, bei Lyrik ist es ja immer sehr schwer. Also auf den ersten Blick, beim ersten Hören, ist sehr vieles von dem, was Oskar Pastior machte, hermetisch, also nicht auf den ersten Blick verständlich, weil er alte Formen, Villanellen, Sestinen beispielsweise reaktivierte, neue Formen wie dem Sonettburger etwa erfand, aber wenn es man es biografisch liest, dass hier jemand das werden wollte, was sehr viele avancierte Autoren heute beklagen, nämlich dem Gerüst, dem Regelgerüst der Sprache, die überhaupt Erfahrung totalitär bestimmt, unser Redenüberfang entfliehen wollte und dadurch an die Stelle etwas Eigenes setzen wollte, dann plötzlich, so ging es mir jedenfalls bei der Lektüre, werden diese Gedichte wie das lyrische Werk von Oskar Pastior enorm einfach, anregend und vor allem von großer Komik lesbar. Das ist dann eine Bereicherung, eine wirkliche Erweiterung unseres sprachlichen Ausdrucksvermögens, und daran hat Oskar Pastior so konsequent wie eigentlich fast keiner immer weitergearbeitet.

    Seine Bücher muss man sehen als Spielwiesen, das sind neue Projekte, neue Regeln, die sich Oskar Pastior gab und die er selbst sehr überzeugend erfüllte. Man hat das gelesen als Fortsetzung der Dadabewegung beispielsweise. Pastior hat damit sehr früh Aufmerksamkeit erregt. Sie erschließen sich sehr viel besser, die Gedichte von Oskar Pastior, wenn man, wie wir jetzt gerade im Deutschlandfunk, wenn man ein Gedicht davon hört, man brauchte die Stimme dazu, wenn man dann aber eigenständig weiter liest, dann entdeckt man ja ein neues Land, ein unentdecktes Land, das sehr reich ist, voll von sehr drolligen, sehr komischen, manchmal auch anrührenden Bemerkungen, und es setzt ein Befreiungsprozess beim Leser auch ein, das er merkt, ich kann mich von den Regeln, die mir vorgegeben werden, von der Sprache, die mir in der Schule eingebläut wird, emanzipieren. Insofern, für mich haben die Bücher von Oskar Pastior quasi immer so eine unsichtbare Banderole, auf der steht in großen Lettern: FREIHEIT!

    Durak: Wir werden weiter lesen, weiter hören von Oskar Pastior. Dankeschön, Denis Scheck, für diese Informationen. Oskar Pastior ist, wie uns die Polizei hier im Deutschlandfunk eben bestätigt hat, heute, gestern Abend, in der Nacht gestorben.