Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

"Osmodrama" - Berlins Festival für Geruchskunst
Smellodies und Synosmien

Als Jules Vernes der Geruchskunst wurde der in Berlin lebende Künstler Wolfgang Georgsdorf einmal von der "Zeit" bezeichnet. Georgsdorf entwickelte und realisierte eine Maschine, mit der sich Geschichten anhand von Gerüchen erzählen lassen sollen.

Von Jürgen Stratmann | 15.07.2016
    Bild zeigt den Erfinder des Smellers, Wolfgang Georgsdorf
    Der Geruchskünstler Wolfgang Georgsdorf (Foto: privat)
    Spannung, Lärm und Hektik in der sonst dämmrig sakral-besinnlichen Neo-Romanik der kleinen Backsteinkirche in der Berliner Auguststraße, zentral gelegen Ecke Oranienburger Straße, unweit des ehemaligen Kunsthauses "Tacheles".
    "Es ist eine sehr sorgfältige Vorbereitungsarbeit zu leisten - und deshalb ist der Druck auf uns groß, wir ha´m nicht mehr viel Zeit", so Duftorgelerfinder Wolfgang Georgsdorf. Und ob es dann ….
    " ... so funktioniert, wie wir das berechnet haben, wir haben keinen Windkanal und keine Proberäume, wir müssen es alles berechnen, und am Tag X muss es dann so funktionieren wie wir uns das vorgestellt haben."
    Denn etwas wie das "Osmodrama"-Festival? habe es so noch nicht gegeben. Georgsdorf:
    "Wir betreten einen Kontinent - das, was ich mache, ist ja nicht Geruchskunst, wie man sie sich bisher vorstellen musste, dass da Geruchsquellen in einem Ausstellungsraum positioniert sind oder Löcher in der Wand, in die man hineinriecht, sondern ich mache konzertante Situationen, in denen wir da sitzen, wie das Publikum in einem Konzert, oder in einem Kinofilm, im kollektiven Erleben von erzählenden Geruchssequenzen."
    Eine 9-wöchige Veranstaltungsreihe soll es werden.
    "Da wäre jetzt die Frage: was will man denn eigentlich mit Geruch?", erklärt Georgsdorf.
    Antwort: Düfte in der Kunst wirken direkt auf das Unterbewusstsein, denn:
    "… bei den Gerüchen sind es ja Moleküle, die zu Gefühlen werden, in dem Moment, in dem wir sie einatmen!"
    Mit Gerüchen Geschichten erzählen, heißt konkret:
    "Wir werden Musik und Geruch haben, wir werden Film und Geruch haben. Edgar Reiz, der Regisseur von "Die andere Heimat", hat uns den Film zur Synchronisation mit Gerüchen zur Verfügung gestellt."
    Präzise gesteuerte Geruchswelten
    Wobei; neu ist das Konzept "Geruchsfilm" sicher nicht, aber:
    "Was man bisher als Geruchskino kannte, war entweder ein Fiasko oder ist auf der Gimmick-Ebene steckengeblieben: Rubbelkarten, die am Boden verstreut lagen und alle ihre freigerubbelten Gerüche freigegeben haben, dass man nach kürzester Zeit einem pestilenten Fiasko von im Raum gebliebenen Gerüchen ausgesetzt war.
    Wir haben eine Technologie entwickelt, um Gerüche so präzise in den Raum einzuströmen und den Raum verlassen zu machen, dass wir keine Vermischungen haben, d.h., Sie nehmen einen Geruch wahr, und im nächsten Atemzug ist der schon wieder weg und Sie nehmen den nächsten wahr!"
    Besagte Technologie ist der "Smeller", die "Geruchsorgel 2.0", die rein optisch überhaupt nicht digital-hochtechnologisch aussieht: der wuchtige Apparat wirkt eher wie ein riesiger Schiffsmotor, bestehend aus blauen, handelsüblichen Plastik-Abwasserrohren, die alle in einer Art Auspuff enden:
    "Ein ein Meter Durchmesser Kreis, der aus 64 Einmündungen von Geruchsquellkammern besteht - Das 'Hauchmaul' - oder auch zärtlich 'Daisy', wie wir sie auch nennen, weil sie an ein Gänseblümchen erinnert."
    Der Film wird um die Geruchsdimension erweitert
    Das Containergroße Hauchmaul-Gebläse steht im Eingangsbereich, Bühne und Leinwand sind vorn im Altarraum - heißt:
    "Wir werden dann die Gerüche von hinten wahrnehmen und den Film vorne sehen! Wir werden in einer leichten Brise sitzen, ungefähr so viel wie der Fahrtwind eines Fußgängers!"
    Kirchenraum und "Smeller" werden später allerdings verdeckt sein: für gleichmäßigen Fahrtwind braucht es einen geschlossenen Windkanal, sprich: ein weißes Zelt aus Fallschirmseide wird ins Kirchenschiff gespannt, darüber, oben im Kreuzgewölbe:
    "Werden 3 große Rotorblätter eingebaut, computergesteuert, das wird die Luft aus dem Zelt raus saugen - das treibt die Gerüche durch und nach vorne und weg raus in das Treppenhaus dieser Kirche!"
    Smellodies und der Geruch von Pferden
    Wie gesagt: alles berechnet, nicht erprobt! Und ob das wirklich szenensynchron beispielsweise zu Reiz´ Heimatfilm funktioniert? Denkbar:
    "Es kommt ein Pferd ins Bild - die in der letzten Reihe bekommen den Geruch des Pferdes unter Umständen noch kurz bevor das Pferd auftaucht - und die in der ersten Reihe, bei einer kurzen Szene, könnten unter Umständen diesen Geruch erst bekommen, nachdem das Pferd schon wieder aus dem Bild raus ist! Das kann passieren!"
    Zum Osmodrama-Festival-Auftakt gibt es heute die Ur-Aufführung der musikalisch-olfaktorischen Improvisation "Autocomplete". Georgsdorf spricht da von:
    "Smellodies, Synosmien, wie wir das nennen, wenn wir entsprechend den Symphonien mit Gerüchen komponieren."
    Stichwort: Symphonie - hört man die Duftorgel auch?
    "Man hört etwas! Es hat eine jede Kirchenorgel Eigengeräusche, man erinnert sich an das Quietschen oder an das Fauchen oder Röcheln des Balgs, aber wenn wir auf einem Schiff sitzen und wohin fahren, dann haben wir auch ein Eigengeräusch, das uns die Lust an der Reise nicht verderben kann, und dieser "Smeller" ist ein Zeitraumschiff, und wir fahren da in andere Zeiten unserer eigenen Erinnerungen, und wir fahren da in andere Kulturräume - und hinter den Augen entstehen die Bilder, wenn wir damit reisen."