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Ost-Ausschuss der Wirtschaft
"Wir drängen auf eine politische Lösung"

Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, pocht weiter auf eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts. Lindner sagte im Deutschlandfunk, man müsse die politischen Folgen möglicher Wirtschaftssanktionen gegen Russland bedenken. Die deutsche Wirtschaft trage zur sozialen Stabilisierung des Landes bei.

23.07.2014
    Fahnen von Russland, Ukraine, Frankreich, Deutschland, Europa
    Welche Folgen hätten weitere Sanktionen für die deutsche Wirtschaft? (dpa/picture-alliance/Soeren Stache)
    Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, signalisierte, die deutsche Wirtschaft werde eine mögliche Entscheidung der Politik für Wirtschaftssanktionen gegen Russland anerkennen. Er warnte allerdings vor möglichen Gegenaktionen, die Russland bei Strafmaßnahmen ergreifen könnte. "Das wird uns bewusst sein müssen, wenn wir fragen, wie kommen wir aus Sanktionen wieder raus."
    "Ein frommer Wunsch, den wir nicht erfüllen werden"
    Lindner sagte im Deutschlandfunk, der Ost-Ausschuss sei aufgefordert worden, den strategischen Rückzug der deutschen Wirtschaft aus Russland zu organisieren. Das sei für eine Organisation, die seit mehr als 60 Jahren dort das Geschäft entwickelt habe, "ein frommer Wunsch, den wir nicht erfüllen werden". Es gehe nicht darum, Russland und die anderen Staaten Osteuropas zu schwächen, sondern zu modernisieren, so Lindner.
    Etwaige Vorwürfe, die Bundesregierung habe Wirtschaftssanktionen bisher bewusst vermieden, um deutsche Wirtschaftsinteressen in Russland nicht zu gefährden, wies Lindner zurück. "Die Bundesregierung handelt selbstverantwortlich und nicht am Gängelband der Wirtschaft." Wichtig sei weiter die Beendigung des Konflikts, ein Ende des Schießens und Blutvergießens.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Viel ist nicht herausgekommen beim Außenministertreffen der EU gestern in Brüssel. Viele hatten erwartet, dass die Europäer nach dem Flugzeugabsturz in der Ostukraine härtere Sanktionen gegen Russland beschließen. Am Ende wurde aber wieder einmal nur damit gedroht. Meine Kollegin Bettina Klein hat gestern am späten Abend mit Rainer Lindner gesprochen, Geschäftsführer beim Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft. Ihre erste Frage, ob das Maß nun voll sei und weitere Sanktionen angebracht?
    Rainer Lindner: Wir sagen ganz eindeutig und wenden uns hier auch an Russland, dass jetzt sehr dringend und entschlossener als bisher Russland konstruktive Schritte zur Beendigung des Konflikts durch die Separatisten unternommen werden müssen. Man muss dort auf die Separatisten einwirken, deren Handeln einschränken und natürlich auch konstruktiv mitwirken bei der Aufklärung dieser Tragödie. Das ist ein Maß, was jetzt erreicht wurde in diesem Konflikt, wo alle Seiten dieses mahnende Achtungszeichen zur Kenntnis nehmen müssen.
    Im Übrigen haben wir vor vielen Monaten, lange vor den Entwicklungen auf dem Maidan, auch davor gewarnt, die Ukraine vor ein Entweder/Oder in ihren Entscheidungen zu stellen. Wir haben in der Tat, wie Sie richtig sagen, gewarnt, Sanktionen gegenüber Russland zu unternehmen, die auf uns wie auch auf die Ukraine zurückwirken werden. Insofern: Wir streben und drängen auf eine politische Lösung. Das haben auch alle Beteiligten bisher auch aus der Bundesregierung so gesehen.
    Bettina Klein: Aber, Herr Lindner, die Appelle, die Sie gerade noch einmal vorgetragen haben, die werden ja geäußert, ebenfalls seit Monaten, ohne dass es zu erkennbaren Ergebnissen aus westlicher Sicht zumindest führt. Das heißt, die Frage, welchen Hebel man jetzt ansetzen kann, stellt sich natürlich, und dann noch mal die Frage: Ist es auch aus Ihrer Sicht jetzt geboten, über eine Verschärfung von Sanktionen wirklich nachzudenken und die in die Wege zu leiten, nachdem sie ja so oft angekündigt wurden?
    Es geht um die Beendigung des Konflikts
    Lindner: Wenn die Politik diesen Schritt zu gehen beabsichtigt, dann wird sie das tun, und wir werden uns daran messen lassen, was wir immer gesagt haben, nämlich diese Entscheidung anzuerkennen. Ich glaube, dass jetzt auch deutlich geworden ist, auch was Präsident Putin heute gegenüber dem Sicherheitsrat gesagt hat, dass Russland bei einem Sanktionsregime entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen werde. Das wird uns natürlich auch bewusst sein müssen, wenn wir fragen, wie kommen wir dann aus Sanktionen wieder heraus. Das ist ja immer die Frage, die man bei solchen Sanktionen Anfangs stellen sollte.
    Klein: Genau! Es wird möglicherweise auch Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft geben. Aber die Folgen für die russische Wirtschaft, wenn wir das richtig verstanden haben, werden erheblich größer sein. Der frühere Ministerpräsident Kassianow hat etwa betont, wenn es zu Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor kommt – und das ist ja eine der Ideen, die jetzt im Raum stehen -, dann würde die russische Wirtschaft nach seinen Worten in sechs Wochen zusammenbrechen. Das klingt nach einem ziemlich starken Hebel, den man hier auf europäischer Seite in der Hand hat mit blick auf Russland.
    Lindner: Wissen Sie, wenn man darauf setzt, dass Russland zusammenbricht, wenn das das Ziel ist, dann müssen wir uns natürlich fragen, was passiert politisch dann in diesem Land. Welche Kräfte kommen dann womöglich ans Ruder, die uns alles andere als recht sein können. Das muss man natürlich auch mit einbeziehen in solchen Szenarien. Wir haben in diesen Tagen vor allem große Sorge um die Mitarbeiter – und das wäre vor allem für uns wichtig, jetzt auch darüber zu sprechen – in der Ukraine, die in den betroffenen Gebieten leben, die Zivilisten, die im Moment von diesen Kriegshandlungen bedroht sind. Für uns geht es in diesen Tagen ehrlich gesagt um die Beendigung des Konflikts, um die Beendigung des Schießens, des Blutvergießens. Ob man dann darüber hinaus zu politischen Sanktionen kommt, das muss die Politik entscheiden und wird sie entscheiden.
    Russland muss in Ost-Ukraine eingreifen
    Klein: Aber genau das ist doch das Ziel bei der Verhängung von Sanktionen, Russland auch dazu zu drängen, stärker als bisher auf die Beendigung des Konfliktes einzuwirken.
    Lindner: Das ist auch unser Wunsch und das wird auch von uns sehr stark unterstützt und wir haben das auch heute erst noch mal in mehreren Medien gesagt, dass jetzt Russland am Zug ist, seine Möglichkeiten zu nutzen, auf die Separatisten einzuwirken und dieses Blutvergießen zu beenden.
    Klein: Die Außenminister haben immer wieder schärfere Sanktionen angekündigt und möglicherweise wird es zu einer dritten Stufe ja jetzt kommen. Herr Lindner, dass dies eine Gratwanderung sein mag, das ist ja verständlich. Auf der anderen Seite sagen Strategen für internationale Sicherheit, seit Monaten verweisen sie darauf, dass Deutschland auch deshalb eine relativ moderate Politik gegenüber Moskau fährt, um deutsche Wirtschaftsinteressen in Russland nicht zu gefährden, und das kommt im Ausland, auch außerhalb Europas, nicht gut an. Das bringt Sie nicht zum Umdenken?
    Lindner: Wissen Sie, die Bundesregierung handelt hier selbstverantwortlich und nicht etwa am Gängelband der Wirtschaft. Das ist ein Vorwurf, den ich, glaube ich, für die Bundesregierung nicht so stehen lassen kann. Da gibt es viele Gründe, warum die Bundesregierung – übrigens auch andere Staaten: Ich hatte Frankreich erwähnt, ich könnte Italien nennen, ich könnte andere Staaten nennen, die mit erheblichen Verbindungen nach Russland derzeit auch aufwarten – eine andere Position einnimmt als andere. Dass wir stärkere Interessen haben als die Vereinigten Staaten, liegt auf der Hand. Die deutsche Wirtschaft macht ein Mehrfaches des amerikanischen Wirtschaftshandels mit Russland. Das wird nicht verwundern, dass wir hier eine stärkere Position haben.
    Ich betone aber noch einmal: Das ist keine Position, die sich im Wesentlichen auf Profite und Gewinne richtet, natürlich auch, aber eben auch auf die Stabilisierung einer Gesellschaft wie Russland, die, wenn sie jetzt geschwächt wird oder gar, wie Sie vorhin gesagt haben, zerbrechen soll, dann wird das womöglich andere politische Konsequenzen haben und insgesamt teurer für uns sein als bisher.
    Heuer: Rainer Lindner, Geschäftsführer beim Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft, im Gespräch mit meiner Kollegin Bettina Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.