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Fußball in den USA
Kultur auf Stelzen

Die Vereinigten Staaten zeigen, wie schwer es ausgerechnet für Fußball sein kann, sich als Minderheitenprogramm gegen mächtige Konkurrenz wie Baseball, Football oder Basketball zu behaupten. Besonders, wenn man selbst vieles falsch und nur wenig richtig macht.

Von Jürgen Kalwa | 01.05.2017
    Freundschaftsspiel USA gegen Serbien im Januar 2017
    Freundschaftsspiel USA gegen Serbien im Januar 2017. Die Fußballkultur in den USA lebt hauptsächlich vom Import talentierter Spieler. (imago )
    Es gab weder großes Aufsehen noch große Schlagzeilen, als der amerikanische Fußball vor ein paar Jahren eine anspruchsvolle Idee zu Grabe trug. Nach gerade mal zehn Jahren musste die Ruhmeshalle geschlossen werden, mit der man die eigene Geschichte feiern wollte. Denn nichts lief nach Plan. Jack Huckel, einer der Organisatoren:
    "Wir haben ein Gebäude errichtet, dass wir uns nicht leisten konnten. Wir haben gehofft, dass genug Fans kommen und wir Spenden erhalten. Aber das Geld wurde knapp. Das konnten wir nicht überleben."
    So ging 2010 in Oneonta – einer kleinen Stadt auf halber Strecke zwischen New York und Buffalo in der National Soccer Hall of Fame das Licht aus.
    Die Episode? Symptomatisch für die Ausgangslage der populärsten Sportart der Welt in den USA. In einem Land, in dem sie nicht mal die vierte Geige spielt. Wo man sie "soccer” nennt und nicht "football”. Und wo schon manches Projekt scheiterte. Wie das Operettenprogramm der Pele-, Beckenbauer- und Cosmos-Jahre.
    Man kann es allerdings verstehen, sagt Juan Arango, langjähriger Fußballjournalist in Florida mit kolumbianischen Wurzeln:
    "Die Fußballgeschichte in den USA ist sehr konfus, sehr sporadisch, mit vielen Windungen, Zuckungen und Rückschlägen. Und mit einer riesigen Kluft zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen – den englischsprachigen und den lateinamerikanischen. Man sieht die Trennlinie bei den Podcasts. Im englischsprachigen Bereich reden sie über die amerikanische Profiliga Major League Soccer und die Premier League, aber nur selten über Spanien, über Barcelona und Real Madrid."
    Fußballkultur lebt vom Import
    Und schon gar nicht über den Fußball in Mexiko. Wen wundert es, dass es nur wenige Talente aus der fußballbegeisterten Welt spanischsprachiger Einwanderer bis in die Nationalmannschaft schaffen. In der Ära Klinsmann kamen vor allem Doppelstaatsbürger aus Deutschland zum Zuge. Wie Fabian Johnson, Timothy Chandler, John Brooks, Julian Green. Oder Amerikaner, die in der Bundesliga Fuß gefasst hatten, wie Bobby Wood oder Christian Pulisic.
    Eine Fußballkultur auf Stelzen, die hauptsächlich von hoffnungsfrohen Projektionen und vom Import lebt.
    Was erklärt, warum ein Podcast, gestartet 2010 von zwei in New York lebenden Engländern, so erfolgreich ist. "Men in Blazers” läuft inzwischen sogar im Kabelfernsehen. Seine Popularität passt in eine Landschaft, die permanent von fremden Einflüssen angereichert wird. Sei es durch Live-Übertragungen der Premier League, Fan-Gesänge und Accessoires oder die Bezeichnung der Klubs. Oder durch den Import alternder Stars wie Bastian Schweinsteiger.
    Das Ergebnis ist eine Fankultur, die von einer intensiven, fast nerdartigen Liebe zum Spiel geprägt ist. Hass auf die FIFA inklusive.
    Als "Men In Blazers”-Podcaster Roger Bennett die Justizministerin Loretta Lynch interviewte, begrüßte er sie ehrerbietig und gar nicht ironisch als die Frau, "die Sepp Blatter gestürzt hat”.
    Kaum kreativer Freiraum für junge Talente
    Auf das Fußballspiel in den USA hat so etwas keinen Einfluss. Das liegt an einem Verband, der es nicht versteht, aus dem riesigen Reservoir von Millionen junger Kicker eine vernünftige Leistungspyramide herauszuformen. Die Probleme liegen auf der Hand, sagt Juan Arango. Jugendfußball ist ein regelrechtes Geschäft, das sich nur besser verdienende Eltern leisten können. Und viel zu viele Trainer beharren aufs Bimsen von Kondition und Taktik, anstatt jungen Talenten kreativen Freiraum zu geben.
    Trotzdem können andere vom amerikanischen Fußball etwas lernen, sagt der Journalist – die Kunst der Vermarktung. Stichwort: digitale Kommunikation.
    "Von sozialen Medien hat keine Liga mehr profitiert als die Major League Soccer. Sie halten ihre Fans mit allen denkbaren Informationen auf dem aktuellen Stand. Und das funktioniert gut.”
    So gut, dass Liga-Chef Don Garber, vom erlernten Beruf her ein Marketing-Experte, neulich stolz verkündete:
    "Wir haben 2016 einen neuen Zuschauerrekord aufgestellt. 21.700 Fans pro Spiel. Damit liegen wir im internationalen Vergleich auf dem sechsten Platz."
    Es geht also nach oben.