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Ost-Westliche Wanderung

Ausgestattet mit Rucksack, Laptop, Karte und Kompass sind vier Leipziger Studierende aufgebrochen, einen Monat lang 1000 Kilometer quer durch Deutschland von Görlitz nach Aachen zu wandern. Im Gepäck vor allem die Frage: Wie nahe sind sich die Menschen in Ost und West nach 20 Jahren Wiedervereinigung?

Von Thomas Matsche | 01.09.2010
    Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war Katja Schmidt gerade mal drei Jahre alt. Für die Bachelorstudierende aus Magdeburg waren die politische Wende und die Wiedervereinigung keine einschneidenden Erlebnisse. Zum einen war sie zu jung, zum anderen lebte sie damals mit ihren Eltern in Bulgarien, die dort studierten. Die Ereignisse in der DDR waren auch für die Eltern weit weg. Eine Meldung in den Nachrichten - mehr nicht. Umso wichtiger ist es für Katja Schmidt, jetzt 20 Jahre später, nachzuforschen, was von der Wende geblieben ist. Im Projekt Einheitswandern startet sie heute mit einem weiteren ostdeutschen Kommilitonen in Aachen und wandert von dort aus 500 Kilometer durch die alten Bundesländer:

    "Ich habe vom Westen relativ wenig gesehen, auch nach der Wende, bin ja nicht so alt und habe die Wende nicht so bewusst miterlebt. Und dann hört man immer viel in den Geschichtsstunden, in den Geschichtsbüchern und das ist sehr viel Bürokratie, sehr viel Politik aber es sehr wenig persönliche Sachen und ich hoffe auf dieser Reise einfach Menschen zu treffen und mit Menschen zu reden, die auch im Westen, wo man das vielleicht nicht so auf dem Schirm hat, weil man immer denkt, gerade die Ostdeutschen hat die Wende sehr extrem geprägt, dass auch die Westdeutschen da sehr persönliche Erfahrungen damit verbinden und die würde ich gerne aufspüren."

    Für die heutige Generation der 20-Jährigen lassen sich kaum noch Unterschiede ausmachen, meint Katja Schmidt. Die Studierenden aus Ost und West teilten inzwischen ein ähnliches Weltbild und plagten sich mit den gleichen Sorgen rum. Beim Uniradio mephisto 97,6 arbeiten Ossis und Wessis ganz selbstverständlich miteinander. Bei den Eltern siehe das noch ein bisschen anders aus. Vor allem in Fragen der Kindererziehung gäbe es noch unterschiedliche Auffassungen. Und da hätte die Wiedervereinigung eigentlich anders ablaufen müssen, meint Katja Schmidt rückblickend:

    "Also ich glaube, das ist das, was man verpasst hat zur Wende. Also man hat ja sozusagen der DDR das System so drübergebügelt und hat gesagt: So wird's jetzt gemacht, es ist ja wenig, was man übernommen hat aus der Zeit. Und gerade wenn wir eben über solche Sachen sprechen wie Kindererziehung, Betreuung auch vor der Schule schon und während der Schulzeit, glaube ich, hätte man von der DDR viel lernen können."

    Für den Germanistik-Studierenden Jan Schilling aus dem fränkischen Georgensgmünd war die Wende ebenfalls nicht sehr bedeutend. Deutschland war eben etwas größer geworden. Im Westen lief ja alles so weiter wie bisher. Für viele ältere Westdeutsche war die Wende leider kein gesamtdeutsches Gemeinschaftserlebnis. Daraus entstanden sind bekannte Vorurteile, die sich noch bis heute hartnäckig halten, meint Jan Schilling.

    "Ich glaube schon, dass manche noch denken, Westdeutsche sind arrogant. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass sie 1989/90 hierher gekommen sind und dachten, sie wüssten jetzt alles besser. Und das kann schon sein und das ist jetzt auch eine Erfahrung, die ich jetzt bei Telefonaten gemacht habe. Dass Angestellte einer Stadt sagen: Da kamen dann irgendwelche Pensionäre zu uns und wollten uns zeigen, wie wir die Arbeit machen müssten, aber die wussten auch nichts von der Situation vor Ort. Und auf der anderen Seite für Westdeutsche, dieses Vorurteil: Na da ist ja nichts, das ist alles noch so altbacken, da hat sich seit 1990 nichts getan und das liegt zum großen Teil daran, dass die jungen Leute vor allem einfach nicht in den Osten fahren."

    Seine Tour geht im sächsischen Görlitz los. Gemeinsam mit einer Kollegin aus Bonn wandert er 500 Kilometer durch den Osten. Zum Beispiel will das Team das einstige Uranabbaugebiet Wismut im Erzgebirge besuchen und mit ehemaligen Bergarbeitern ins Gespräch kommen.

    Rund 23 Kilometer werden beide Teams jeden Tag zurücklegen. Die Wanderung wurde vorab gut organisiert. Die Studierenden werden kostenlos in Hotels oder Turnhallen übernachten. Für Essen können sie täglich 10 Euro ausgeben. Das Geld stammt von politischen Stiftungen. Viermal in der Woche werden die jungen Journalisten im Uniradio von ihren Erlebnissen berichten, Menschen treffen, die über ihre Eindrücke zur deutschen Einheit erzählen werden. Für alle ist es ein Experiment und Abenteuer. Wandertipps gab's vorher vom Alpenverein. Wenn alles gut läuft, werden sich die Teams genau auf der Mitte des Einheitswanderwegs wiedersehen. Am 3. Oktober im hessischen Heldra. Zur Einheitsparty an der ehemaligen Grenze.