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Ostdeutschland sucht nach Mitteln gegen Ärztemangel

Angesichts des Ärztemangels in Ostdeutschland muss nach Ansicht der sächsischen Gesundheitsministerin Helma Orosz dringend gegengesteuert werden. Wichtig sei es, die ärztliche Grundversorgung durch Hausärzte zu garantieren. Maßnahmen wie Investitionszuschüsse für neue Praxen und die Anwerbung von Ärzten aus dem Ausland zeigten bereits erste Wirkung, betonte Orosz.

23.08.2005
    Wiese: Haben Sie noch einen Hausarzt, meine Damen und Herren, so einen richtigen alter Schule meine ich, der auch abends kommt, wenn der Bauch zwickt, am Wochenende oder am Feiertag? Dann können Sie sich glücklich schätzen, denn die Zunft der Hausärzte stirbt langsam, aber sicher in Deutschland aus. Das gleiche gilt für Landärzte und insbesondere in Ostdeutschland. Darauf will die kassenärztliche Bundesvereinigung heute aufmerksam machen wie überhaupt auf die Tatsache, dass in den neuen Bundesländern ein eklatanter Ärztemangel droht. – Am Telefon begrüße ich jetzt die Sozialministerin des Freistaats Sachsen, Helma Orosz (CDU). Schönen guten Morgen!

    Orosz: Guten Morgen!

    Wiese: Frau Orosz, wenn ich mich richtig informiert habe, ist der sächsische Kreis Oschatz derjenige mit dem größten Ärztemangel überhaupt. Wie sehen die Zahlen dort aus?

    Orosz: Ja. Wir haben, um das vielleicht noch mal vorwegzuschicken, natürlich im Moment noch eine ausreichende medizinische Versorgung in Sachsen, aber es ist in der Tat so, dass wir uns aufgrund der bekannten demographischen Entwicklung und der damit verbundenen Altersstruktur auch der Ärzte in den nächsten Jahren in eine Situation bringen, wenn wir nichts dagegen tun. Sie haben schon richtig erwähnt: wir haben doch in den letzten zwei Jahren im Rahmen einer konzertierten Aktion mit allen Leistungsträgern und natürlich auch den Kostenträgern uns hier in meinem Haus zusammengesetzt und haben gesagt, wir müssen uns konzeptionell etwas einfallen lassen, um die nächsten zehn Jahre, die echt bedenklich ausschauen, was die Zahlen betrifft, zu überstehen und uns mit einigen Gegenmaßnahmen gut vorzubereiten.

    In diesem Zusammenhang ist Torgau-Oschatz ein gutes Modellprojekt, weil dort zunächst einmal im Moment schon eine drohende Unterversorgung entsprechend formuliert worden ist und durch den Landesausschuss bestätigt worden ist. Es ist uns gelungen, dort ein Modell zu initiieren, was in den letzten Wochen und Monaten erste Erfolge zeigt.

    Wiese: Sie haben jetzt den Landkreis genannt, wo dieses Modell offensichtlich in die Gänge gekommen ist. Wie sieht es denn da aus? Wie ist die ärztliche Grundversorgung? Ist die noch gewährleistet, oder droht die dort schon nicht mehr vorhanden zu sein?

    Orosz: Es gibt eine klare Ausrichtung des Landesausschusses, die besagt, wenn die Versorgung im hausärztlichen Bereich unter 75 Prozent liegt, dann sprechen wir von einer drohenden Unterversorgung. Das sind eigentlich die Dachmarken, die natürlich bei allen Landkreisen bemessen werden, wenn wir entsprechende Maßnahmen einführen wollen. Derzeitig fällt unter diese Dachmarke lediglich – Gott sei Dank – der Landkreis Torgau-Oschatz, der aber doch in erheblichem Maße unter 75 Prozent lag, und hier mussten wir sofort eingreifen. Wir haben gemeinsam mit den genannten Verantwortungsträgern verschiedene Möglichkeiten ab Dezember vorigen Jahres hier offeriert, zum einen, dass es einen Investitionszuschuss für Neuzugänge gibt, die bereit sind, entweder in alte Praxen einzusteigen oder neue Praxen zu übernehmen.

    Wiese: In welcher Höhe?

    Orosz: Das sind einmal 60.000 für diejenigen, die eine alte Praxis übernehmen, und für die, die aus welchen Gründen auch immer eine neue Praxis in diesem Gebiet der Unterversorgung gründen wollen, haben wir 30.000 € angesetzt als so genanntes Investitionsdarlehen. Beim zweiten Fall kann darüber hinaus noch ein zinsloses Darlehen von 30.000 € ausgereicht werden.

    Wiese: Und wie ist die Resonanz?

    Orosz: Die Resonanz ist wie gesagt zunehmend besser, nachdem es etwas langsam angelaufen war, was glaube ich auch verständlich ist, weil man muss sich ja mit diesen Dingen, die natürlich für jeden auch persönliche Konsequenzen haben, auseinandersetzen. Inzwischen haben wir fünf neue Ärzte, die sich niedergelassen haben. Mit einem sechsten werden derzeit Gespräche geführt.

    Wiese: Frau Orosz, lassen Sie uns ein wenig auf die Gründe dieses Ärztemangels zu sprechen kommen. Woran liegt das denn? Die Zahl der Ärzte in Deutschland insgesamt steigt doch, wenn auch nur geringfügig.

    Orosz: Ja, das ist richtig. Dieser Trend zeigt sich in gewisser Weise auch in Sachsen, aber wir haben mehrere Dinge dabei zu berücksichtigen. Zum einen ist die Verteilung ein Problem. Wir haben auch in den genannten Planungsbereichen eine unterschiedliche Konzentration von Ärzten, die natürlich dazu führt, dass ein Gebiet innerhalb eines Planungsbereiches unterversorgt sein kann, obwohl der gesamte Planungsbereich ausreichend besetzt ist mit den entsprechenden Stellen im hausärztlichen Bereich. Zum anderen haben wir aber – und das ist eigentlich das größere Problem – kaum noch Neuzugänge, obwohl wir erhebliche Abgänge aufgrund der Altersstruktur vor allen Dingen im hausärztlichen Bereich haben. Das ist eigentlich das, wo wir in den nächsten Jahren, wenn sich nicht in Größenordnungen etwas ändert, womit nicht zu rechnen ist, uns über verschiedene Modelle Gedanken machen müssen, um dann die ärztliche Versorgung wirklich weiter in der Qualität wie bisher zu garantieren.

    Wiese: Wir haben jetzt über Hausärzte gesprochen, über Landärzte, die immer weniger werden, weil sie auch dann in den Ruhestand gehen und immer weniger Jüngere nachrücken. Probleme gibt es aber auch in der Krankenhausversorgung. Dort sind ebenfalls immer weniger Ärzte zu finden. Woran liegt das denn?

    Orosz: Im Krankenhausbereich ist es natürlich in gewisser Weise ähnlich, dass die Neuzugänge nicht in dem Maße nachkommen wie ältere Kollegen ausscheiden. Wir haben halt natürlich immer noch, wenn man Deutschland insgesamt betrachtet, das Problem, dass gerade für jüngere Ärzte auch eine Rolle spielt, welche Region ist für mich interessant, wo stimmt die Infrastruktur und am Ende natürlich auch wo komme ich mit einer besseren Vergütung klar. Sie wissen ja, dass es nach wie vor Unterschiede in der Vergütung der Ärzteschaft in Ost und West gibt. Berücksichtigen muss man dabei natürlich, dass die Belastung der Ärzte in Ostdeutschland aufgrund der eben genannten Probleme zumindest in einigen Gebieten erheblich höher ist wie bei den Damen und Herren der Ärzteschaft in den westlichen Ländern. Dann sagen sich natürlich die jungen Leute, wenn ich mir das heute noch aussuchen kann, dann gehe ich lieber dahin, wo ich A gut verdiene und B am Ende nicht so viel arbeiten muss.

    Wiese: Also höhere Arbeitsbelastung in Ostdeutschland bei niedrigerem Einkommen. Die jungen Ärzte und Ärztinnen gehen deshalb nach Westdeutschland. Viele gehen ja aber auch ins Ausland?

    Orosz: Das ist auch korrekt. Seit Jahren hält also dieser Trend an, dass sich junge Leute natürlich auch aus Gründen, dass sie sich in der Welt umschauen wollen, ins Ausland begeben. Aber auch dort finden wir Gründe, die wir im Moment hier bei uns beklagen müssen, nämlich bessere Vergütungsverhältnisse, aber auch bessere Arbeitsbedingungen. Wir haben ja immer wieder auch hier, wenn wir mit der Ärzteschaft im Gespräch sind und auch mit den entsprechenden Selbstverwaltungen, das Thema Bürokratie, was zunehmend beklagt wird und was die Arbeit der Ärzteschaft unheimlich beschwert.

    Wiese: Wenn deutsche Mediziner in den neuen Ländern nicht arbeiten wollen, Frau Orosz, dann vielleicht Ausländer. Wäre das eine Lösung?

    Orosz: Im Moment haben wir Gott sei Dank diesen Bereich von Personen bei uns hier in Sachsen sowohl im stationären Bereich als auch im niedergelassenen Bereich. Ich würde es nicht unbedingt als "die Lösung" bezeichnen, aber es ist natürlich klar, dass bei einem immer größer werdenden Europa auch ein Austausch von Personal in dieser Richtung stattfindet. Wir haben zumindest auch im stationären Bereich derzeitig dadurch nicht so ein großes Problem wie im niedergelassenen Bereich. Derzeitig fehlen im stationären Bereich zirka in Sachsen noch 200 Ärzte. Das ist eine Zahl, die überschaubar ist. Wir haben auch hier interessante Konstellationen in den letzten Monaten gemeinsam gefunden. Es gibt nämlich neuerdings eine Partnerschaft mit Österreich. Dort gibt es einen Überschuss an Ärzten, so dass ein großes Interesse von diesen Ärzten besteht, sich hier bei uns in Sachsen niederzulassen. Die beiden Landesärztekammern haben sich dazu verständigt. Wir sprechen hier derzeitig von 44 Interessenten. Es gibt schon über ein Dutzend Einstellungen in Krankenhäuser und einige wenige sind auch schon in eine Praxis gegangen.

    Wiese: Das war in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk die sächsische Sozialministerin Helma Orosz (CDU). Danke schön und auf Wiederhören!