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Ostsee
Bangen vor einer Eiszeit mit Russland

An der deutschen Ostseeküste sorgen die Sanktionen der EU gegen Russland für gemischte Gefühle. Unternehmer fürchten ausbleibende Aufträge, Politiker wollen ein Zeichen gegen die russische Ukraine-Politik setzen. Ein echter Handelskrieg würde die Region hart treffen.

Von Almuth Knigge | 07.08.2014
    Der Mecklenburger gilt gemeinhin nicht als Plaudertasche. Aber wenn es um das Thema Russland geht, ist der mecklenburgische Unternehmer dieser Tage besonders zugeknöpft. Handel mit Russland in Zeiten von Ukraine-Krise und EU-Sanktionen ist derzeit nicht gut für das Image. Und so stößt ein hochrangiges deutsch-russisches Wirtschaftstreffen, der für den 1. Oktober angesetzte Russlandtag in Warnemünde, auf scharfe Kritik. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Schweriner Landtag, Jürgen Suhr, wird nicht müde, seine Forderung nach einem Stopp der Veranstaltung zu erneuern, gern auch aus dem Urlaub, vom Strand von Bornholm aus.
    "Das halte ich für dringend erforderlich, wenn das nicht geschieht, wenn der Russlandtag durchgeführt wird, dann ist das ein Bruch der Linie, auf der wir uns derzeit bewegen - in Europa und in Deutschland."
    Suhr bezeichnet die Absicht der Landesregierung, den Russlandtag durchzuziehen, als "geopolitischen Alleingang", schließlich bemühten sich Diplomaten der EU seit Wochen und Monaten intensiv darum, den Konflikt zu entschärfen. Den Vorwurf weist der Regierungssprecher Andreas Timm natürlich vehement von sich.
    "Russland ist einer unserer wichtigsten Handelspartner - man kann das vielleicht an zwei Zahlen vergleichen, Russland ist der elftwichtigste Handelspartner Deutschlands – für Mecklenburg-Vorpommern ist es der Viertwichtigste."
    Stimmt, sagen die Linken, die meinen, eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts sei eben mit dem Russlandtag möglich. Helmut Holter, Fraktionschef bei den Linken:
    "Wir wollen die kriegerischen Auseinandersetzungen beendet wissen, wir wollen aber die gute wirtschaftliche Zusammenarbeit fortsetzen – beides muss möglich sein."
    Eine alte Wertediskussion bricht auf über den Primat der Politik – Wirtschaft oder Menschenrecht.
    "Die Wirtschaft ist einer der Träger in den letzten Jahren gewesen der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland."
    Prof. Andreas Steininger ist Mitveranstalter des Russlandtages und Chef des Ostinstitutes in Wismar. Jurist, Ingenieur und Energieexperte. Nach dem Ende des Warschauer Paktes, sagt er:
    "Über die Wirtschaft ist sehr viel gelaufen, und wenn man die Gespräche nicht ganz abreißen lassen möchte, ist es wichtig, dass die wirtschaftlichen Kontakte aufrecht erhalten und befördert werden."
    In vielen Firmen des Landes steckt ein Stück Russland
    In vielen Firmen des Landes steckt ein Stück Russland. Die Nordic Werften sind in russischer Hand – erst im Mai kaufte der russische Unternehmer Vitali Yussufov die insolvente Volkswerft in Stralsund dazu. Drei Viertel der mecklenburgischen Werften gehören jetzt ihm. Er ist einer der größten Arbeitgeber in der Industrie – und der Laden brummt. Zur Zeit baut das Unternehmen zwei eisbrechende Rettungs- und Bergungsschiffe im Wert von 150 Millionen Euro für das russische Transportministerium.
    Die Nordstream-Pipeline durch die Ostsee endet in Lubmin bei Greifswald. Im Fährhafen Sassnitz auf Rügen können Waggons mit russischer Breitspur abgefertigt werden, und nur dort. Ein wichtiges Thema ist außerdem der Kreuzfahrttourismus: St. Petersburg ist einer der wichtigsten Anziehungspunkte in der Ostsee für Gäste aus den USA oder aus Großbritannien - meist mit Stopp in Rostock. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Parteifreund von Ministerpräsident Erwin Sellering, weiß um die alten Handelsbeziehungen des Nordostens mit Russland, er weiß auch um die prekäre Lage der Werften:
    "Aber wenn Sie jetzt die Menschen in der Ostukraine fragen würden im Bürgerkrieg, was sie von Europa erwarten, dann würden die nicht sagen, denkt mal an eure wirtschaftlichen Fragen, sondern denkt mal an unser Leben."
    Die rot-schwarze Landesregierung will erst noch beobachten, wie es weitergeht. Aber was wäre, wenn das Volk entscheiden würde, was sagt der Mecklenburger – im Schatten der großen Werfthalle vom Nordic Yards - auf dem Parkplatz eines Wismarer Baumarktes?
    "Der Mecklenburger sagt beibehalten."
    "Was soll er sagen, ich bin dafür."
    Spekulationen über russische Reaktionen
    "Die können ja nun nicht alle wirtschaftlichen Aktivitäten einstellen."
    "Auf jeden Fall, hundertpro."
    "Die haben hier ja auch schon viele Werke aufgebaut so wie das Holzwerk da haben viele junge Leute ja auch Arbeit gefunden – gut was er da macht in der Ukraine ist alles Blödsinn, aber irgendwie müssen sie sich ja auch mal wieder einigen."
    "Ich würde sie nicht verprellen – immerhin sind wir im Zentrum, und wenn was kommt, wir sind die, die am Arsch sind, nicht Amerika, wir kriegen die ersten Auswirkungen zu spüren."
    "September, Oktober, wenn die Heizperiode anfängt – dann wird der Russe sowieso am Gashahn drehen – das kommt – werden wir sehen."
    Aber bei aller Aufregung an der Küste haben die Protagonisten eins nicht bedacht. Helmut Holter, der Fraktionschef der Linken, kennt sich aus mit der russischen Seele.
    "Russland und die Russen sind für Überraschungen immer gut – und die könnten ad hoc entscheiden: 'Ihr könnt uns mal – jetzt kommen wir nicht.'"
    So kann es auch gehen.

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