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Ostsee-Pipeline
Druck auf Nord Stream 2 wächst

Gefälligkeitsgutachten, rein privatwirtschaftliche Interessen, Verstoß gegen das Pariser Klimaabkommen: Die geplante Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 sorgt seit langem für Schlagzeilen, und das obwohl noch kein einziger Kilometer genehmigt ist. Jetzt ist sogar von Korruption und politischer Einflussnahme die Rede.

Von Susanne Götze und Tatiana Kozyreva | 07.11.2017
    Protest auf Rügen gegen die Kompensations-Projekte im Zuge des Baus der "Nord Stream 2"
    Protest auf Rügen gegen die Kompensations-Projekte im Zuge des Baus der "Nord Stream 2" (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Tausende Rohre für die Gaspipeline Nord Stream 2 warten bereits im Hafen Mukran auf der Ostseeinsel Rügen darauf, endlich verlegt zu werden. Die Nord Stream 2 AG gehört allein dem russischen Energiekonzern Gazprom. Doch das Projekt einer zweiten 1.200 Kilometer langen Gasleitung durch die Ostsee hat ein Problem: Kein einziger Kilometer der Pipeline ist bisher genehmigt.
    Dafür ist in Deutschland das Bergamt von Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Doch die grüne Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock schimpft:
    "Es ist mehr als absurd, dass eines der größten Energieprojekte der Europäischen Union mit zentralen Auswirkungen auf den europäischen Energiebinnenmarkt in einer Regionalbehörde in Stralsund entschieden wird. Das liegt auch daran, dass die bisherige Bundesregierung immer wieder darauf verweist, dass das ein rein privatwirtschaftliches Projekt sei."
    Umweltverbände machen mobil
    Baerbock und die Grünen sitzen derzeit in den Koalitionssondierungen mit CDU/CSU und FDP für die neue Regierung. Alle sind sich einig: Sie wollen die Pipeline kritisch hinterfragen.

    Umweltverbände wie der WWF und der Nabu mobilisieren gegen das Projekt: Sein Bau gefährde Fischgründe und die Fortpflanzung der Schweinswale. Klimaökonomen wie Niklas Höhne vom NewClimate Institute warnen, die Pipeline widerspreche dem Pariser Klimaabkommen. Die fast zehn Milliarden Euro teure Gasleitung schreibe die Versorgung mit fossilen Energien für Jahrzehnte fest.
    Baerbock kritisiert außerdem:

    "Es ist sowieso schon fraglich, dass ein Konzern, der auf der Sanktionsliste der Europäischen Union steht, hier eine neue Pipeline bauen soll."
    Bergamt in Stralsund soll entmachtet werden
    Nord Stream 2 verstößt laut der EU-Kommission auch gegen das dritte EU-Energiepaket, das die Trennung von Netz und Betrieb vorschreibt. Die Kommission will das Bergamt in Stralsund entmachten und die Verhandlungen mit Nord Stream übernehmen.
    Das versucht das Unternehmen mit allen Mitteln zu verhindern. Insgesamt investierte die Nord Stream AG allein 2016 laut EU-Transparenzregister rund eine halbe Million Euro in das Lobbying in Brüssel. Der polnische EU-Abgeordnete und Lobbyexperte Jacek Saryusz-Wolski glaubt, bestimmte Europaparlamentarier ließen sich von Gazprom beeinflussen:
    "Sie nutzen dieselben Argumente. Das hört man in den Verhandlungen, Arbeitsgruppen und Ausschüssen und sieht man an der Stimmabgabe, insgesamt sind es vielleicht hundert."

    Sarkuysz-Wolski kann nicht beweisen, ob Gazprom sich dafür erkenntlich zeigt. Er kritisiert auch die engen Geschäftsbeziehungen von Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder zur russischen Energiewirtschaft.
    Allein schon den Wechsel von Schröder in den Aufsichtsrat der Nord Stream AG hält der polnische Abgeordnete für einen Fall von Korruption, der seiner Meinung nach in seinem Land juristische Folgen gehabt hätte.
    "Vor einigen Jahren ging es um Gazprom, und Schröder kam persönlich ins EU-Parlament, um mit Martin Schulz zu reden. Martin Schulz wiederum überzeugte die Sozialdemokraten entsprechend zu votieren – können Sie sich einen direkteren Einfluss vorstellen?"
    Der ehemalige CDU-Politiker Friedbert Pflüger organisierte laut Insidern im Namen der Nord Stream AG Essen für EU-Abgeordnete. Das bestreitet der heutige Unternehmer. Seine Firma Pflüger International habe nur einen Beratungsauftrag von Nord Stream 2 inne. Gleichzeitig ist Pflüger Direktor des European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) am Londoner King’s College. Das hat zwei Studien herausgegeben, die Nord Stream 2 ein gutes Zeugnis ausstellen.
    In Russland klagt derzeit Greenpeace gegen eine Entscheidung einer Lokalverwaltung in Leningrad. Denn auf der russischen Seite soll die Pipeline durch ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet führten, was kürzer und billiger wäre. Greenpeace konnte die von Nord Stream bezahlten Gutachten einsehen, sie seien eindeutig fehlerhaft.

    "Wir sind sehr sicher, dass Gazprom und Nord Stream die Entscheidung der Leningrader Behörde zu ihren Gunsten beeinflussten. Ich denke auch, dass bei der Entscheidung die russische Regierung eine wichtige Rolle gespielt hat."
    Mihail Kreindlin von Greenpeace Russland hat die Klage gegen die lokale Behörde am 27. Oktober 2017 verloren. Nun wollen die Umweltschützer vor den russischen Obersten Gerichtshof ziehen.
    US-Sanktionen gegen Russland bedrohen Projekt
    Auch die vom US-Kongress gegen Russland angekündigten Sanktionen bedrohen das Projekt. US-Präsident Donald Trump hat dieses Sanktionsgesetz jedoch nur widerwillig unterschrieben.
    Bei einer Anwendung wären auch die westeuropäischen Nord-Stream-2-Partner betroffen, darunter die deutsche Wintershall und der Stromkonzern Uniper. Die Nord Stream AG und ihre fünf europäischen Investoren schlossen in den vergangenen Monaten Verträge mit Agenturen, offenbar mit dem Ziel, Sanktionen gegen die Pipeline zu verhindern.
    Eine trägt den Namen McLarty. Deren Cheflobbyist Richard Burt diente unter US-Präsident Bush Senior als Unterhändler mit Russland und gilt als verantwortlich für Trumps russlandfreundliche Politik. Annalena Baerbock empört sich:

    "Wenn das stimmen sollte, kann man nur sagen, dass die ganzen Verstrickungen rund um dieses Projekt werden immer absurder."
    Rechtfertigungsversuche
    Auf Anfrage erklärten Wintershall, Uniper und das österreichische Energieunternehmen OMV, es gehe nur um allgemeine Beratung und politische Analysen. Zu Richard Burt und seinen Kontakten zu Trump wolle man sich nicht äußern.

    Der dänischen Investigativ-Journalist Jens Hovsgaard hat ein Buch über die Hintergründe zur Vorgänger-Pipeline Nord Stream 1 veröffentlicht. Danach soll die Geschäftsleitung der Nord Stream AG beim Bau ihrer ersten Ostseepipeline alte KGB-Verbindungen zu Putin aktiviert und Politiker und Wissenschaftler in Abhängigkeiten verstrickt haben. So habe ein Professor der Universität Gotland anfangs vor den Umweltfolgen der ersten Pipeline gewarnt, dies spielte aber später keine Rolle mehr.

    "Später spendete Nord Stream fünf Millionen schwedische Kronen für ein Forschungsprojekt des Professors über Eisenten."

    Die Recherche für den vorliegenden Beitrag wurde gefördert durch n-vestigate (n-vestigate.net).