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Ostukraine
Angeblich 40 Geiseln verschleppt

Während Russland Bedingungen für den Abzug seiner Truppen aus der Grenzregion stellt, berät das Parlament in Kiew über die Verfassungsreform. Zugleich gerät die Lage in der Ostukraine immer weiter außer Kontrolle. In Donezk wurden dutzende Demonstranten schwer verletzt.

Von Sabine Adler | 29.04.2014
    Russland will seine Truppen von der ukrainischen Grenze zurückziehen, sagte der russische Verteidigungsminister Sergej Shoigu im Telefonat mit seinem amerikanischen Amtskollegen Chuck Hagel zu, stellte jedoch eine Bedingung: Erst wenn die ukrainische Regierung beabsichtige, ihre Armee nicht mehr gegen das unbewaffnete Volk einzusetzen.

    Der Beginn der ukrainischen Anti-Terror-Operation war für Russland Grund, mit einem Manöver in unmittelbarer Nähe der Grenze zur Ukraine zu beginnen. Die Regierung in Kiew reagierte mit der Operation auf die Ermordung von zwei Geiseln und die sich ausweitende Besetzung von Regierungsgebäuden in Donezk, Lugansk und zehn weiteren Städten.

    Trotzdem gerät die Lage in der Ostukraine immer weiter außer Kontrolle. In Donezk sind gestern Abend über ein Dutzend pro-ukrainische Demonstranten attackiert und ernsthaft verletzt worden.
    "Der gestern angeschossene Bürgermeister von Charkiw, Gennadi Kernes, wurde heute zur medizinischen Behandlung nach Israel ausgeflogen", berichtete sein Chirurg Waleir Boika.
    Der ukrainische Geheimdienst geht davon aus, dass die Separatisten von Slawiansk deutlich mehr Personen festhalten, nämlich rund 40, als die sechs OSZE-Militärbeobachter und deren sechs Begleiter. Deren Freilassung ist weiter nicht in Sicht.
    Neue Machtverteilung
    Im Parlament wurde heute deutlich, dass das Verfassungsreferendum offenbar nicht zusammen mit der Präsidentschaftswahl stattfindet. Premierminister Arseni Jazieniuk kündigte heute an, dass die Arbeit an der Verfassung bis zur Präsidentschaftswahl Ende Mai beendet werden soll: Es gehe um eine neue Machtverteilung zwischen Präsident, Regierung, Parlament und Justiz.
    Der Verfassungsentwurf solle dann der Venedig-Kommission vorgelegt werden, also der Kommission des Europarates, das Staaten bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung berät. Was heißt, dass zur Präsidentschaftswahl kaum ein abstimmungsreifer Entwurf vorliegen dürfte.
    Für den Lemberger Vertreter im ukrainischen Städtetag, Vitali Sahaini, wäre eine Verschiebung des Verfassungsreferendums kein Zeichen von Schwäche der ukrainischen Regierung, sondern im Gegenteil, eines von Stärke:
    "Ich bin nicht sicher, dass es sich jetzt lohnt, ein Referendum durchzuführen, man sollte damit warten. Es heißt, dass der Osten die Föderalisierung möchte, aber das sind einzelne Vertreter, die unter Moskaus Einfluss stehen, aber doch nicht der ganze Osten. Dort gibt es doch nicht einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Die Regierung steht unter einem großen Druck, aber sie sollte das aushalten."
    Premier Jazeniuk schlug heute im Parlament vor, den künftigen Präsidenten zu entmachten, er solle nicht mehr das Recht haben, den Außen- und den Verteidigungsminister zu ernennen.
    Die OSZE in der Ukraine

    Im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind derzeit Militär- und zivile Beobachter in der Ukraine im Einsatz.

    Die OSZE beschloss am 21. März mit der Zustimmung aller 57 Mitgliedsstaaten - also auch Russlands - einen zivilen Beobachtereinsatz in der Ukraine. Diese Mission begann einige Tage später. Etwa 100 Beobachter sind vor allem im Osten und Südosten der Ukraine tätig, sechs weitere in der Hauptstadt Kiew.

    Parallel dazu sind Militärbeobachter auf bilateraler Basis in die Ukraine entsandt worden. Grundlage für den Einsatz ist das sogenannte Wiener Abkommen. Es wurde 1990 beschlossen und gilt in den 57 OSZE-Staaten vom Atlantik bis zum Ural. In ihm sind Mechanismen verankert, die das Risiko einer militärischen Konfrontation verringern und mehr Vertrauen zwischen den Mitgliedsländern schaffen sollen.

    Während Russland dem zivilen Einsatz zustimmen musste, war dies bei der Mission der militärischen Inspektoren nicht der Fall. Es sind Mitglieder dieser militärischen Mission, die seit Freitag, 25. April, von Separatisten festgehalten werden. Unter ihnen sind drei Bundeswehroffiziere und ihr Dolmetscher. Sie waren auf Einladung der Ukraine im Land und waren unbewaffnet. Deutschland führt den Einsatz, ein Oberst der Bundeswehr ist Chef der Inspektorengruppe.

    Die ersten Inspektoren wurden Anfang März in die Ukraine geschickt, als sich die Situation auf der Krim zuspitzte. Die damals 51 Offiziere aus 28 Staaten sollten eigentlich die Lage auf der Halbinsel überprüfen, wurden aber nicht dorthin durchgelassen. Mit der Eingliederung der Krim in das russische Staatsgebiet Ende März verlagerten die Inspektoren ihren Einsatz in den Osten und Süden der Ukraine. Die Bundeswehr entsandte mehrfach Offiziere in die Inspektorenteams.

    Die deutschen Beobachter, auch der Dolmetscher, stammen vom Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen. Dort gibt es 140 Militärbeobachter, die speziell für solche Einsätze ausgebildet sind.