Donnerstag, 18. April 2024

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Ökonom Mayer zur Konjunktur
"Schwarze Null nicht bei der ersten Gelegenheit über Bord werfen"

Eine Rezession in Deutschland sei nicht sicher, aber man müsse damit rechnen, sagte der Ökonom Thomas Mayer im Dlf. Das sollte aber noch kein Grund sein, auf einen ausgeglichenen Haushalt zu verzichten. Das sei eine "sinnvolle Begrenzung staatlichen Aktivismusses".

Thomas Mayer im Gespräch Dirk-Oliver Heckmann | 13.09.2019
Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank
Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank (dpa/Karlheinz Schindler)
Dirk-Oliver Heckmann: Jahrelang haben die Deutschen von einer lang anhaltenden Hochkonjunktur profitiert. Doch damit könnte jetzt bald Schluss sein. Im zweiten Quartal ist die Wirtschaft bereits geringfügig geschrumpft. Die Wachstumsprognosen werden nach und nach alle nach unten korrigiert. Auch der Ifo-Geschäftsklima-Index, der die Erwartungen der Unternehmen misst, zeigt nachhaltig nach unten. Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung warnt ganz aktuell vor einer Rezession und Politiker und Wirtschaftsforscher streiten darum, ob ein Festhalten an der schwarzen Null in dieser Lage sinnvoll ist. Die EZB, die Europäische Zentralbank, lockerte derweil gestern ein weiteres Mal ihre Geldpolitik.
Wir können jetzt darüber sprechen mit Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Instituts. Das ist eine Denkfabrik der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch AG. Er ist ehemals Chefvolkswirt der Deutschen Bank. – Schönen guten Morgen, Herr Mayer!
Thomas Mayer: Guten Morgen, Herr Heckmann!
"Eine Rezession ist nicht sicher, aber man muss damit rechnen"
Heckmann: Herr Mayer, starten wir mit einer Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Allensbach gestern vorgelegt hat namens "Generation Mitte". Trotz niedriger Arbeitslosigkeit und obwohl die meisten den langen Aufschwung auch persönlich finanziell spüren, herrscht unter den 30- bis 69-Jährigen große Verunsicherung. 41 Prozent der Befragten glauben, dass die deutsche Wirtschaft zurückfällt. Nur knapp ein Viertel glaubt, dass sie ihre starke Position verteidigen kann. – Haben sie recht?
Mayer: Das sollte einen nicht wundern. Schauen Sie auf die Finanzmärkte. Dort sind die Aktien deutscher Unternehmen unter Druck. Die Zinsstruktur-Kurse – das ist der Abstand zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinsen – ist sehr flach, was ein Rezessionsindikator üblicherweise ist. Überall spürt man eigentlich, dass dieser Aufschwung, der uns jetzt so lange begleitet hat, in Schwierigkeiten steckt. Eine Rezession ist nicht sicher, aber man muss damit rechnen.
Heckmann: Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, habe ich gerade schon erwähnt, warnt ganz aktuell vor einer Rezession. Sogar das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft empfiehlt eine Abkehr von der schwarzen Null. Doch Union und SPD halten daran fest. Ist das fatal?
Mayer: Nein, ich denke nicht, dass das fatal ist. Man hat sich aus guten Gründen einen strukturell ausgeglichenen Haushalt verordnet. Das heißt, man hat gesagt, über den Konjunkturzyklus wollen wir, dass der Haushalt ausgeglichen ist. Das erlaubt durchaus in Rezessionen mäßige fiskalische Defizite, die man dann wieder korrigieren kann im Aufschwung, wenn man leichte Überschüsse erzielt. Ich glaube, das ist eine sinnvolle Begrenzung staatlichen Aktivismusses, und da sollte man jetzt nicht bei einer anstehenden Abschwächung oder Rezession davon abgehen. Das steht im Grundgesetz, da gab es gute Gründe, dass es reinkam. Man sollte nicht bei der ersten Gelegenheit das wieder über Bord werfen.
"EZB merkt, dass sie am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen ist"
Heckmann: Auch wenn EZB-Chef Draghi gestern die Bundesregierung indirekt dazu aufgerufen hat, mehr zu investieren?
Mayer: Auch dann. Ich glaube, dass die EZB jetzt merkt, dass sie am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen ist. Ich denke sogar, dass die Maßnahmen, die die EZB beschlossen hat, eher schaden als nützen. Niedrige Zinsen machen den Pensionsfonds Probleme. Die müssen jetzt Lücken, die dadurch entstehen, Deckungslücken, die dadurch entstehen, stopfen. Die Unternehmen müssen Gewinne dort hineinlegen. Sparer, die sich vor dem Aktienmarkt in Deutschland immer scheuen, sehen jetzt, dass sie noch mehr sparen müssen, um ihre Anlageziele zu erreichen. Ich glaube, unterm Strich hat die EZB erkannt, dass sie nicht weiterkommt, und sie ruft jetzt etwas hilflos nach den Fiskalpolitikern, was zu tun.
Heckmann: Aber andererseits ist es ja auch die Aufgabe der Europäischen Zentralbank, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Denken Sie, dass diese Maßnahmen, die da gestern ergriffen worden sind – Sie haben sie erwähnt, die Strafzinsen für geparktes Kapital, dann auch der milliardenschwere Ankauf von Anleihen, dass der wieder aufgenommen wird -, dass damit ein Beitrag geleistet werden kann?
Mayer: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der EZB ist, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Ich sage wie andere auch, Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht. Die Aufgabe der EZB ist es, gutes Geld zu emittieren. Sie hat sich aber ein sehr fragwürdiges Ziel gesetzt, nämlich eine Inflationsrate zu erreichen, die nahe bei, aber knapp unter null ist. Dieses Ziel erreicht sie seit Jahren nicht und wirkt jetzt zunehmend hilfloser. Man muss sich auch fragen, ist es denn Preisstabilität, wenn die Preise um 1,9 Prozent im Durchschnitt steigen, und vor allem, wenn die Vermögenspreise durch die Decke gehen? Denken Sie an die Hauspreise in Ballungsräumen. Ich glaube, die EZB hat sich vergaloppiert mit ihrem Ziel und sie kann dieses Ziel nicht erreichen, und Herr Draghi wirkte gestern meines Erachtens recht hilflos.
"Wachstum ist durchaus möglich bei milder Deflation"
Heckmann: Sie sprechen von der Zielgabe der EZB, die Inflation auf zwei Prozent anzupeilen?
Mayer: Richtig! Die EZB hat sich dieses Ziel selbst gesetzt. Es steht nicht im Maastricht-Vertrag, steht nicht in ihren Statuten. Und jetzt kommt sie damit nicht mehr zurecht.
Heckmann: Worauf gründet die EZB diese zwei Prozent Marke überhaupt?
Mayer: Das wurde in der Vergangenheit damit begründet, dass man einen Abstand haben möchte zur Null-Linie, weil man fürchtet, wenn die Inflation unter null fällt, dass die Bürger dann das Geld horten, dass das die Wirtschaftsentwicklung bedroht, dass es zu Deflation, Depression kommt. Das ist meines Erachtens auch eine Fehleinschätzung, die aus den Erfahrungen der USA aus den 30er-Jahren stammt. Eine milde Deflation ist noch nicht unbedingt tödlich. Das zeigt die historische Entwicklung im 19. Jahrhundert, als die Preise sanken, weil der technische Fortschritt sich verbreitete. Das zeigt aber auch die Entwicklung in Japan, wo Wachstum durchaus möglich ist bei milder Deflation. Ich glaube, die EZB hat sich dort mit ihrem Ziel vergaloppiert. Sie kann das Ziel nicht erreichen in einer Welt, in der Abwärtsdruck auf die Preise kommt durch Globalisierung, durch technischen Fortschritt, und jetzt steht sie eigentlich am Ende ihrer Politik.
Heckmann: Herr Mayer, die designierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat bereits angekündigt, dass sie diese lockere Geldpolitik von Draghi fortsetzen und womöglich auch ausweiten werde. Kritiker sprechen ja schon länger von einer Enteignung der Sparer. Sie auch?
Mayer: Ja, in der Tat! Ich meine, was wir sehen ist, dass die Sparer durch die Niedrigzinsen enorm belastet werden. Dagegen werden die Schuldner entlastet. Das ist auch teilweise Ziel dieser Politik, denn wir haben seit der Finanzkrise weitere hohe Schuldentürme aufgebaut und diese Schuldentürme sind langfristig nicht tragbar. Diese Schuldentürme müssen rückgebaut werden. Dazu soll es zu einem Transfer kommen von den Sparern zu den Schuldnern. Diesen Transfer will man erreichen durch höhere Inflation, negative Realzinsen. Die Inflation steigt nicht, also muss man jetzt die Nominalzinsen nach unten drücken, unter die Null-Linie, um dieses Ziel zu erreichen.
"Wasser auf die Mühlen der Populisten"
Heckmann: Herr Mayer, wir haben bei den letzten Landtagswahlen im Osten der Republik Rekordergebnisse für die AfD gesehen. Dabei befinden wir uns ja noch in einer ganz guten konjunkturellen Lage. Was hieße das für die politische Stabilität aus Ihrer Sicht, wenn die Wirtschaftslage sich erheblich eintrübt, wie es ja absehbar ist?
Mayer: Ich fürchte, dass diese Politik, die wir in den letzten Jahren verfolgt haben, auch dazu beigetragen hat, die politischen Ränder zu stärken. Wir sehen das ganz deutlich in Italien, wo die Wirtschaft seit zehn Jahren nicht mehr wächst, die Populisten inzwischen die politische Mehrheit haben, und ich kann mir durchaus vorstellen, wenn die Negativzins-Politik, die die EZB jetzt forciert, wenn die bei den Bürgern ankommt, wenn jeder auf seinem Bankkonto Negativzinsen bezahlen muss, wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt, weil die Autoindustrie abschmiert, die Banken liegen schon am Boden, die Pharmaindustrie strauchelt - ich glaube, dass das wieder Wasser auf die Mühlen der Populisten sein wird.
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