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Ostukraine
Nur eine Imitation von Wahlen

Genau eine Woche nach der ordentlichen Parlamentswahl in der Ukraine halten die Separatisten im Osten des Landes ihre eigenen Wahlen ab. Vergangenen Sonntag hatten sie noch die Abstimmung im Rest der Ukraine boykottiert. Vielen jungen, angehenden Politikern aus der Ostukraine bleibt nur der Wegzug.

Von Johanna Herzing | 31.10.2014
    Ein Mann sitzt mit Unterlagen in einem Wahllokal zur Parlamentswahl in der Ukraine in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.
    Die Parlamentswahl in der Ukraine findet im Schatten des Bürgerkrieges im Osten des Landes statt. (picture alliance / dpa / Roman Pilipey)
    Alexej Ryabchyn hat es eilig. Die Parlamentswahlen liegen gerade erst ein paar Tage zurück, aber sein Leben ist nun ein vollkommen anderes.
    Mit 31 Jahren ist er zum ersten Mal in das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada gewählt worden. Er sei ein blutiger Anfänger, sagt er und lächelt. Ein wenig merkt man ihm die Aufregung an, aber nicht sehr. Alexej Ryabchyn hat Kommunikationswissenschaften studiert; er weiß, wie man Menschen überzeugt. Gerade hat er eine kurze Mittagspause, ansonsten überschlagen sich die Termine und Ereignisse. Die Koalitionsverhandlungen zwischen den proeuropäisch ausgerichteten Parteien laufen und seine Partei, die Vaterlandspartei von Julia Timoschenko, sitzt mit am Tisch. Wenn auch eher am Katzentisch; den vorläufigen Wahlergebnissen zufolge hat sie den Sprung über die Fünfprozenthürde nur knapp geschafft. Alexej Ryabchyn kümmert das wenig, seine Mission kann er auch so erfüllen:
    "Ich will vor allem die Interessen des ukrainischen Donbass vertreten. Beim Minsker Abkommen haben wir ja nur die Rebellen gesehen, die vorgegeben haben, für das ganze Donbass zu sprechen. Aber das ist nicht die einzige Stimme aus der Gegend, die gehört werden sollte!"
    Abstimmung keine wirkliche Wahl
    In Kiew lebt der junge Abgeordnete erst seit vier Monaten; eigentlich stammt er aus Donezk, aber dort wurde es, so sagt er, für ihn und seine Familie zu gefährlich. Trotzdem fährt er regelmäßig in den Osten, nicht nach Donezk, aber nach Mariupol, Slawjansk und in andere sogenannte "befreite Gebiete". Täglich telefoniert er mit Freunden in seiner Heimatstadt. Dort bereiten die neuen Machthaber gerade etwas vor, das sie "Parlaments- und Präsidentschaftswahlen" nennen. Wer eigentlich genau zur Wahl steht? Ryabchyn zuckt mit den Schultern:
    "Das ist eine Imitation von Wahlen. Die Rebellen versuchen eine Vielfalt von Parteien zu präsentieren, aber das wirkt nicht überzeugend. Trotzdem glaube ich, dass die Wahlen die Situation weiter anheizen werden, das widerspricht der Minsker Vereinbarung."
    Die sieht zwar mehr Autonomie, aber ausdrücklich keine Eigenstaatlichkeit für die Ostukraine und die beiden umkämpften Gebiete Luhansk und Donezk vor. Stattdessen soll es dort am 7. Dezember Kommunalwahlen geben; ein Vorhaben, das die Separatisten mit ihrer Abstimmung am Sonntag torpedieren. Russlands Außenminister Lawrow allerdings hat bereits angekündigt, die Wahlen am 2. November anerkennen zu wollen. Man begrüße den Schritt sogar. Alexej Ryabchyn ist davon nicht überrascht:
    "Diese Wahl ist eine weitere Eskalation, die von Putin ausgegangen ist. In der letzten Zeit sind eine Menge Waffen und schwere Ausrüstung in die Region gekommen. Meine Freunde haben viele Fahrzeugkolonnen mit schwerer Ausrüstung beobachtet, die eindeutig aus Russland kamen. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass sich die Lage auch militärisch weiter zuspitzt. Die Minsker Vereinbarung funktioniert nicht. Mich erinnert das alles sehr an Abchasien. Es ist dasselbe Muster."
    Imitation von Frieden
    Vorwürfe, die sich schwer überprüfen lassen, die allerdings immer wieder von ukrainischen Politikern erhoben werden. Ryabchyn liegt ganz auf einer Linie mit seiner Parteichefin Timoschenko. Auch sie kritisiert die Vereinbarung von Minsk; Das Gesetz über einen Sonderstatus für die Region bezeichnete sie gar als "Gesetz Putins". Auch Alexej Ryabchyn findet:
    "Alles was wir im Donbass haben, ist eine Imitation von Frieden. Vielleicht ist der Grad der Eskalation ein bisschen zurückgegangen, aber jeden Tag sterben da unsere Soldaten und auch Zivilisten. Das ist kein Waffenstillstand; das Minsker Abkommen hat keinen Frieden gebracht."
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko allerdings will offenbar an seinem bisherigen Kurs festhalten. Die Wahl vom vergangenen Wochenende habe ihn in seinem Friedensplan bestätigt. Für ihn gebe es keine militärische Lösung in der Ostukraine, so der Präsident. Trotzdem könnte der Ton in Zukunft rauer werden. Denn Poroschenkos Partei hat bei den Parlamentswahlen weit schlechter abgeschnitten als erwartet. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hingegen tritt in den Koalitionsverhandlungen überaus selbstbewusst auf. In Sachen Ostukraine gilt er ebenso wie Timoschenko als wenig kompromissbereit. Für den neuen Abgeordneten Alexej Ryabchyn allerdings wird das in absehbarer Zukunft wenig ändern: Was sich in seiner Heimatstadt Donezk tut, wird er lediglich aus der Ferne verfolgen können.