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Ukraine-Konflikt
Beobachter sehen Parallelen zu Tschetschenien

Bis jetzt räumt Russland seine Beteiligung am Krieg in der Ostukraine offiziell nicht ein. Ein Phänomen der hybriden Kriegsführung, bei dem Kriege nicht erklärt werden. Das erinnert an den Tschetschenienkrieg. Auch damals verschwieg Moskau lange die Beteiligung russischer Soldaten. Beobachter ziehen Parallelen.

Von Gesine Dornblüth | 12.03.2015
    Trauerfeier für zwei Schüler, die am Mittwoch durch Artilleriefeuer getötet worden sein sollen.
    Trauerfeier für zwei Schüler, die in Donezk durch Artilleriefeuer getötet worden sein sollen: Gegenseitige Schuldzuweisungen bestimmmen den Konflikt. (dpa / picture-alliance / Mikhail Pochuyev)
    Alexander Tscherkassow von der Menschenrechtsorganisation Memorial beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Kriegen und Konflikten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Er war in Berg-Karabach, in Transnistrien, in Tschetschenien, 2008 in Georgien, jetzt auch in der Ostukraine. Insbesondere zwischen den Konflikten in Tschetschenien und im Donbass gäbe es viele Parallelen, meint Tscherkassow.
    "Kiew kopiert, was Moskau vor 15, 20 Jahren mit Tschetschenien gemacht hat. Die Separationsbewegungen mögen auf unterschiedliche Weise entstanden sein, aber das Verhalten der Staaten ähnelt sich sehr. Im Nordkaukasus gab es offiziell keinen Krieg. Es hieß stattdessen, es würden illegale bewaffnete Banden entwaffnet, im Rahmen von Antiterroroperationen; im Donbass ist es genauso. Warum? Ganz einfach. Der Staat will im Rahmen einer Polizeioperation handeln, denn dabei hat er mehr Rechte und weniger Verantwortung als in einem Krieg."
    Im Krieg nämlich gelte Kriegsrecht, und das schränke die Staaten ein, zum Beispiel bei dem Einsatz von Artillerie. Das wolle Kiew heute im Umgang mit dem Donbass ebenso wenig auf sich nehmen wie Moskau in den 90er-Jahren im Umgang mit Tschetschenien, meint Tscherkassow.
    Parallelen auch in Russlands Verhalten
    Russische Truppen in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, 23.11.2004
    Russische Truppen in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, 23.11.2004 (AP Archiv)
    Auch die russische Regierung wiederholt heute vieles von damals. So versuchte der Kreml lange zu vertuschen, dass russische Soldaten in Tschetschenien kämpften. Grigorij Jawlinskij von der Oppositionspartei Jabloko erinnert sich:
    "Damals drangen Unbekannte ohne Erkennungszeichen in Grozny ein, am 26. November 1994. Sie hießen damals Freiwillige oder Landsturm. In Wirklichkeit waren es verkleidete Offiziere ohne Ausweisdokumente. Sie gerieten in Gefangenschaft. Die Freischärler stellten ein Ultimatum: Sie sagten, wenn Russland zugibt, dass es sich bei den Männern um russische Soldaten handelt, kommen sie frei, andernfalls werden sie als Söldner erschossen. Der Verteidigungsminister Russlands, der Innenminister, der Leiter der Inlandsaufklärung - alle haben sich in den Folgetagen von diesen Leuten distanziert. Es ging um Dutzende Soldaten. Es hieß, das seien Freiwillige unbekannter Herkunft."
    Jawlinksij war damals junger Abgeordneter in der Staatsduma. Er reiste persönlich nach Grozny und verhandelte. Schließlich kamen die Soldaten frei.
    Ähnliche Personen und Material wie im Tschetschenienkrieg
    "Heute passiert etwas sehr Ähnliches. Wieder sterben unbekannte Leute, die auf merkwürdige Weise auf ukrainisches Gebiet geraten sind, und die angeblich keine Soldaten sind. Es beginnt alles wieder von vorn."
    Alexander Tscherkassow von Memorial weist auf personelle Parallelen hin. Im Donbass kämpften diverse Kommandeure, die schon im Tschetschenienkrieg hohe Positionen eingenommen hätten, wie zum Beispiel Igor Girkin, genannt Strelkow. Auch würden ähnliche Waffen eingesetzt, oder zumindest gäbe es entsprechende Vorwürfe. So behauptet Russland, das ukrainische Militär habe Donezk mit ballistischen Raketen vom Typ Totschka-U angegriffen.
    "Bekanntermaßen hat die russische Armee genau solche Raketen gegen zivile Ziele in Tschetschenien eingesetzt. Zum Beispiel am 21. Oktober 1999, als solche Raketen über dem Markt von Groznyj explodierten. Damals gab es mehr als hundert Tote und rund 300 Verletzte."
    Im Herbst verbreitete das russische Fernsehen Fotos angeblicher Massengräber in der Ostukraine. Es sollte sich um 400 zivile Opfer handeln, Bewohner des Donbass. Russlands Außenminister Lawrow sprach von einem Kriegsverbrechen. Tscherkassow:
    "Die Fotos wurden in Grozny gemacht, im Frühjahr 1995. Fotos aus Tschetschenien wurden als Beweise für angebliche Kriegsverbrechen der ukrainischen Armee benutzt."
    Für Tscherkassow steht fest:
    "Es gibt eine Kontinuität zwischen den Konflikten in Tschetschenien und in der Ukraine: Was die Rechtsauffassung betrifft, die handelnden Personen, die Informationspolitik und auch die Methoden. Denn damals wie heute haben wir es mit Menschen zu tun, die aus der Sowjetarmee hervorgegangen sind."