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Oswald von Nell-Breuning
Kämpfer für eine sozialere Kirche

Vor 125 Jahren wurde Oswald von Nell-Breuning geboren. Der Theologe und Sozialwissenschaftler kämpfte für mehr Arbeitnehmerrechte in der katholischen Kirche und baute Brücken in alle Gesellschaftsschichten - bis ins hohe Alter von 101 Jahren.

Von Anna Gann | 08.03.2015
    Der Nestor der katholischen Soziallehre und Jesuitenpater, Oswald von Nell-Breuning, in einer zeitgenössischen Aufnahme.
    Der Nestor der katholischen Soziallehre und Jesuitenpater, Oswald von Nell-Breuning, in einer zeitgenössischen Aufnahme. (picture alliance / dpa)
    "Mein Lebensweg, den habe ich nicht geplant und den hat kein Oberer geplant, sondern ich kann nur sagen: Der liebe Gott hat mich halt so geschoben."
    Der Jesuitenpater und Sozialwissenschaftler Oswald von Nell-Breuning gilt als bedeutendster Vertreter der katholischen Soziallehre. Vehement trat er für eine Wirtschaftsordnung mit menschlichem Antlitz ein. Der CDU-Politiker und ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm schrieb über ihn:
    "Regierungen und Parteien haben sich bei ihm Rat geholt - nicht, weil er jedem immer Recht gegeben hat, sondern weil sich jedermann auf die Unbestechlichkeit seines Urteils verlassen konnte."
    Ein loyaler, aber unbeirrbarer Querdenker war der Ordensmann auch gegenüber seiner Kirche. Besonders, wenn er für die Sache der Arbeiter stritt und die Kirchenleitung vor die "Gretchenfrage" stellte.
    "Gretchen fragte Faust: Wie hältst du es mit der Religion? Und so frage ich die Kirche: Wie hältst du es mit den Gewerkschaften?"
    Das gespannte Verhältnis zwischen kirchlicher Hierarchie und Arbeiterschaft war Oswald von Nell-Breuning schon früh bewusst geworden. Er wurde am 8. März 1890 als erster Sohn einer alteingesessenen Trierer Adelsfamilie geboren. In seine Jugend fiel der sogenannte Gewerkschaftsstreit, in dem katholische Bischöfe scharf die Gründung christlicher Gewerkschaften verurteilten. Für Nell-Breuning eine empörende Missachtung der Anliegen katholischer Arbeiter. In seinem Werk "Der Mensch in der heutigen Wirtschaftsgesellschaft" von 1975 schrieb er:
    "[Es kommt] [...] ganz entscheidend darauf an, [...] das bestehende tiefe Misstrauen, die Kirche halte es mit den Reichen, mit den Mächtigen, mit den 'Kapitalisten', zu überwinden und [...] alle berechtigten Bestrebungen der Arbeiterbewegung zu unterstützen."
    Eine Zeit lang engagierte sich Nell-Breuning in der Arbeiterbildung, bevor er 1928 Professor für Moraltheologie, Kirchenrecht und Gesellschaftslehre an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt am Main wurde. Maßgeblich war er am Entwurf für das päpstliche Lehrschreiben "Quadragesimo Anno" beteiligt, das sich 1931 mit den brennenden sozialen Fragen befasste. Nach einem Publikationsverbot in der NS-Zeit wirkte er auf die Sozialgesetzgebung der frühen Bundesrepublik ein, unter anderem als Mitglied im Beirat des Wirtschaftsministeriums und durch zahlreiche Vorträge und Publikationen.
    "Ich habe mir meine Zuversicht nicht austreiben lassen"
    "Der Markt ist herzlos wie eine Maschine", schrieb er 1955. Und so galt seine Aufmerksamkeit stets den Schwachen in der Gesellschaft, denjenigen, die in der Marktwirtschaft zu kurz kommen. Friedhelm Hengsbach, der frühere Leiter des nach Oswald von Nell-Breuning benannten Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Hochschule St. Georgen:
    "Im Grunde ist er Grenzgänger gewesen zwischen Kirche und der Wirtschaft und den Gewerkschaften, und stand dann auch quer zu den Managern, zu den Regierungsparteien und stand natürlich auch quer zu der herrschenden kirchlichen Meinung."
    Vor allem auch zur Auffassung: "Katholisch sein heißt CDU/CSU wählen", die bis in die 1970er-Jahre hinein im westdeutschen Katholizismus verbreitet war. Denn Nell-Breuning begleitete nicht nur die Gewerkschaften wohlwollend-kritisch. Er setzte sich auch intensiv mit dem Marxismus und Sozialismus auseinander, suchte den Austausch mit der SPD und beeinflusste den Text ihres "Godesberger Programms". Damit zog er das Missfallen katholischer Würdenträger und Unionspolitiker auf sich. Er trug aber auch zu einer Öffnung des deutschen Katholizismus bei.
    "Wir Katholiken waren so in unseren eigenen Kreisen, in ein Ghetto eingesperrt, dass wir uns zurechtkonstruiert haben, was die anderen denken, statt uns mit den anderen zu unterhalten und von Ihnen zu erfahren, was sie denken."
    Den Dialog, ja die konstruktive Auseinandersetzung pflegte Oswald von Nell-Breuning bis ins hohe Alter. Er starb 101-jährig am 21. August 1991. Der unbequeme Brückenbauer hatte im Rückblick auf sein Leben einst bekannt:
    "Ich habe mir meine Zuversicht nicht austreiben lassen. Und das möchte ich den jungen Menschen ganz dringend ans Herz legen."