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Otto Fricke: Rösler wird unterschätzt

Auch wenn der FDP-Mitgliederentscheid zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm einen Anti-Euro-Kurs ergibt, werde sich Philipp Rösler an der Spitze der FDP halten können, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Otto Fricke. Der Drucke laste dann eher auf den Bundestagsabgeordneten.

Otto Fricke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 16.12.2011
    Tobias Armbrüster: Bei der FDP hat man in den vergangenen Tagen leicht den Eindruck gehabt, die Partei stolpere von einer Krise in die nächste. Am Mittwoch hat eins der großen politischen Talente die Parteiführung verlassen - der Generalsekretär Christian Lindner -, heute stellt die FDP nun in Berlin das Ergebnis ihrer Mitgliederbefragung vor. Bei dieser Befragung ist so viel schiefgelaufen, dass viele Politiker das ganze schon jetzt vor Veröffentlichung der Zahlen für ein Desaster halten. Wohin steuert die FDP also? Oder steuert sie überhaupt noch irgendwo hin? Darüber kann ich jetzt mit Otto Fricke sprechen. Er ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Fricke.

    Otto Fricke: Einen schönen adventlichen guten Morgen aus Berlin.

    Armbrüster: Herr Fricke, ist das ein Tag, an dem man als FDP-Politiker morgens früh gerne aufsteht?

    Fricke: So komisch das klingen mag, Herr Armbrüster, ja! Weil man auch jetzt weiß, das ist der Tag, an dem das, was wir in den letzten Wochen und Monaten an parteiinnerer Diskussion über das Thema Euro, ESM und so weiter hatten, zu einer Klärung kommt, und all die Dinge, die man dadurch leider in den Hintergrund gedrängt hat, jetzt endlich wieder in den Vordergrund kommen können, wenn man denn dann auch am heutigen Tage - danach werden Sie sicherlich ja gleich auch fragen - dann klare Positionen hat und auch die klaren Konsequenzen zieht.

    Armbrüster: Welche Konsequenzen müssen das sein heute?

    Fricke: Zu sagen, das ist unser Kurs. Das, was die Mehrheit beschlossen hat - unabhängig jetzt von der Frage, ob das Quorum erreicht wird oder nicht -, ist für uns eine wesentliche Position. Und vor allen Dingen, dass man dafür sorgt - das ist, glaube ich, im Moment für ein FDP-Mitglied das wichtigste -, zu sehen, dass diejenigen, die nicht in der Mehrheit sind, aber Teil der Familie sind, und dass es jetzt darum geht, diejenigen zusammenzuführen und wie weit man dieses berücksichtigen kann. Denn ich kann nicht, wenn ein Ergebnis - das wird nicht 95:5 in die eine oder andere Richtung gehen -, kann ich nicht einfach sagen, die anderen lagen falsch, das war's und gut ist. Sondern man muss gucken, wie man das hinbekommt, dass man die kritischen Fragen, die man hat, die vernünftigen Fragen, die man bekommen hat, dann auch beantwortet.

    Armbrüster: Kann sich Philipp Rösler im Amt halten, egal wie das Ergebnis ausgeht?

    Fricke: Er kann es! Es hängt mit seinem Willen zusammen. Da, glaube ich, unterschätzt man ihn auch sehr. Es wird darum gehen, wenn ein Ergebnis da ist, wie es in der Demokratie sich gehört: Bis zum Ergebnis wird diskutiert, wird versucht, gerungen um die besten Lösungen, wird argumentiert, gesehen, was es gibt, und danach nimmt man das Ergebnis und versucht es, so gut wie es irgend geht umzusetzen. Und das ist die Aufgabe von Führung. Das ist die, die Philipp Rösler zeigen muss, zeigen kann und, ich glaube, auch zeigen wird.

    Armbrüster: Haben Sie, Herr Fricke, heute Morgen schon irgendwelche Hinweise, wie das Ergebnis aussehen könnte?

    Fricke: Nein! Und das ist auch das, was mich jetzt in den letzten zwei, drei Tagen am meisten geärgert hat. Es handelt sich um einen demokratischen Vorgang mit all den Schwierigkeiten: um ein Briefwahlverfahren, mit eidesstattlichen Versicherungen, damit eben der Demokratie Genüge getan wird und nicht irgendjemand irgendeinen Zettel abgeben kann, und selbst die Auszählung, da haben wir in der Partei dafür gesorgt, dass das, was wir bisher haben, Stück für Stück in kleinen Zählgruppen gemacht wird und nicht sozusagen schon gesammelt wird mit Zwischenständen, wie es manche Zeitungen berichtet haben. Und selbst die Dinge, die heute noch zum Mitgliederentscheid, heute Morgen in Bonn, wo ausgezählt wird, mit Tagesstempel der Frist eingehen, selbst die werden noch berücksichtigt. Von daher kann es kein Ergebnis geben und darf es auch kein Ergebnis geben und kann auch noch nicht die Frage, ob das Quorum erreicht wird, beantwortet werden. Da wird viel reingetan, da wird viel Druck auch ausgeübt, da wird viel an Verschwörungstheorien gebracht. Da muss man eine gewisse, und jetzt sage ich bewusst: liberale Gelassenheit haben, sonst funktioniert es nicht - bei alledem, was sicherlich an Unruhe im Moment da ist.

    Armbrüster: Aber, Herr Fricke, die Frage, die sich heute Morgen ja alle stellen, ist: Wenn diese Befragung ergibt, dass sich eine Mehrheit der Befragten gegen den Euro-Rettungsmechanismus ausspricht, kann sich Philipp Rösler dann mit so einer Anti-Euro-Haltung an der FDP-Basis, kann sich Philipp Rösler dann noch an der Spitze der Partei halten?

    Fricke: Er kann es, aber der eigentliche Druck geht ja dann Richtung Bundestagsfraktion. Und ich kann als Bundestagsabgeordneter bei all den Entscheidungen, die wir nicht nur zu diesem Thema treffen, immer wieder nur sagen: Wir werden uns dann als Abgeordnete das Ergebnis, die Gewichtung des Ergebnisses angucken müssen. Wir werden aber - und das haben viele noch gar nicht richtig berücksichtigt - doch auch erst überhaupt mal angucken, was bekommen wir überhaupt für eine ESM-Vorlage. Ja, die FDP ist bei dem Thema Europa - und da ist sie in der Tradition, so wie Sie es in der Anmoderation angesprochen haben, von Hans-Dietrich Genscher - eine Partei, die für Europa ist, die dafür steht. Aber sie ist sicherlich diejenige, die am kritischsten auch in einer starken Selbstbefragung, was andere leider nicht getan haben, sagt, nicht unter jeder Bedingung. Und dieses müssen wir eben genau sehen: Was werden die Bedingungen sein, wie wird der ESM, wie wird die Gesetzesvorlage aussehen? Da muss der Bundesvorsitzende dann verhandeln und da wird die Fraktion dann auch abwägen müssen. Ich schaue mir alles auch immer an, bevor ich entscheide, und ich werde als Abgeordneter - ich weiß das von meinen Kolleginnen und Kollegen - alle Abwägungen so treffen, dass ich auch das, was im Mitgliederentscheid rausgekommen ist, dabei berücksichtigen werde, und dann, so wie es auch Frank Schäffler als Initiator getan hat, nach meinem Gewissen und nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden.

    Armbrüster: Sie schließen also nicht aus, dass sich die FDP im Bundestag eine etwas Euro-kritischere Haltung zueigen macht?

    Fricke: Nein, wir haben ja schon eine etwas Euro-kritischere Haltung. Wenn ich sehe, was wir in den Debatten an Vorwürfen auf Seiten der Linken, Grünen und SPD bekommen, dann ist das ja immer wieder: Ihr solltet doch lieber einer Vergemeinschaftung der Schulden zustimmen, ihr solltet doch die Eurobonds machen. Gut: Zwischendurch sagen andere wieder, ihr solltet es nicht machen. Ja, da ist die FDP kritisch! Aber nicht im Sinne von kritisch, wir wollen kein Europa, sondern im Sinne von, wir wollen ein Europa, wo die Regeln stimmen, wo Deutschland seine Aufgabe auch wahrnimmt, als Stärkster zu helfen. Aber nicht einfach nach dem Motto, wir helfen und ob ihr dann Reformen macht, ob ihr euch an Haushaltsregeln haltet, das ist uns relativ egal. Nein, da ist es da. Aber das ist eben, finde ich, auch wichtig, in der Politik zu sagen, wohin man will, aber dass man dabei auch sagt, welches die Mittel sind. Und da gehört die Diskussion, die wir in der Partei haben, zu. Nur nachdem wir das Ergebnis haben, muss dann das auch klar sein. Das ist die Aufgabe, die Philipp Rösler als Führungsperson dann auch wahrnehmen wird, und ich glaube, das ist der Punkt, um den es in den nächsten Tagen auch gehen wird.

    Armbrüster: Aber wir können dann zumindest mal festhalten, dass die FDP-Fraktion im Bundestag sozusagen das Ergebnis nicht einfach so übergehen wird, mit dem Hinweis darauf, wir sind alles unabhängige Mandatsträger, nur unserem Gewissen unterworfen?

    Fricke: Also, wenn man sieht, was wir alle, auch ich, viele andere auch, in vielen Diskussionen mitbekommen haben, dann ist es doch klar: Keiner umgeht das, was er in Diskussionen mit Parteifreunden mitbekommen hat. Aber die ganze Frage um den ESM, um die Stabilisierung des Euro, die Fragen, die wir da zu lösen haben, sind sehr komplex. Da muss man alles abwägen, und da gehört dann ein Ergebnis dann auch zu. Ich warne immer davor, wir tun das ja gerne in unserer Gesellschaft heute, zu sagen, schwarz-weiß, Licht an, Licht aus und dann ist die Lösung da. Da gehe ich mal davon aus, dass meine 92 Kollegen das so wie bisher mit Sorgfalt machen und dann entscheiden. Das, glaube ich, gehört zu einem Parlamentarier auch dazu.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns, Herr Fricke, kurz über die Befragung an sich reden. Wir lesen heute Morgen in einigen Tageszeitungen, dass rein zahlenmäßig das Quorum von 21.500 Stimmen so gerade eben erreicht wurde, dass aber mehrere tausend Stimmen nicht gültig sind, weil eine Erklärung zur Mitgliedschaft fehlt, eine Formsache also. Wie sollte die Partei mit diesen Stimmen umgehen?

    Fricke: Also erstens: Das ist eine typische Ente. Wie können Zeitungen wissen, dass das Quorum erreicht wird oder nicht, wenn heute noch mit der Post - ich meine, es sei denn, die Zeitungen sind bei der Post - Stimmen eingehen? Zweitens: Ja, es gibt an der Stelle ungültige Stimmen. Das hatte was damit zu tun, dass wie bei der Briefwahl ich ja nicht einfach nur den Zettel mit den Wahldingen abgeben kann, sondern ja die Stelle, die den Zettel annimmt, erkennen muss, hat hier jemand, der das auch darf, mitgestimmt. Dazu gibt es diese eidesstattliche Versicherung. Dann ist bei einigen es so gewesen, dass sie diese nicht mit reingelegt haben, um ein Beispiel zu geben, und denen ist dann, damit wir auch da noch die Möglichkeit haben, die Möglichkeit gegeben worden, zu sagen, okay, ihr könnt sogar noch mal nachträglich abstimmen, ein zweites Mal, wir schicken euch das zu, wenn ihr das wollt. Davon haben einige auch Gebrauch gemacht. Und all das ist natürlich kein einfaches Verfahren, aber die Demokratie gebietet, dass es ein nachvollziehbares gerechtes Verfahren ist, bei dem jede Stimme eben dann auch gleich zählt und kein Dritter die Möglichkeit hat, das Ergebnis zu verfälschen.

    Armbrüster: Das lässt aber trotzdem einige Fragen offen. Da war eben zum einen dieses etwas verwirrende Wahlverfahren mit den beiden Unterlagen, die auch an zwei sehr unterschiedlichen Stellen in der verschickten Mitgliederzeitung lagen.

    Fricke: Na ja, es war derselbe Umschlag der gleichen Mitgliederzeitung.

    Armbrüster: Außerdem dann am Wochenende die voreilige Erklärung von Philipp Rösler, diese Initiative sei bereits gescheitert. Viele Leute fragen sich da, wieso kann die FDP eine solche Befragung nicht ordentlich organisieren?

    Fricke: Also ich glaube schon, dass sie ordentlich organisiert ist. Ich muss aber auch eines deutlich sagen - das soll nicht als Entschuldigung klingen, sondern als Erläuterung: Es ist ein Verfahren, wo - Sie haben es in der Anmoderation auch gesagt - auf der FDP enormer Druck lastet und wo viele auch immer das Gefühl haben, hoffentlich geht das alles gut und hoffentlich alles richtig. Wenn da menschliche Fehler passieren, dann gehört das im Leben dazu. In der Sache ist das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden. Nur noch mal: Ich kann ja ein demokratisches Verfahren nicht so machen, dass ich einfach sage, stimmt einfach irgendwie mal ab, schickt mal irgendeinen Zettel, oder schreibt mal irgendeinen Brief, sondern so, wie wir es übrigens bei Wahlen zum Bundestag und zu Parlamenten immer machen: Ich muss es in einem ordentlichen Verfahren machen. Dazu gehört eben diese komplexe Sache, dass ich den eigentlichen Abstimmzettel in einem Brief habe, dann die Versicherung reintue und das ganze noch mal in einen Brief tue. Das machen wir bei Wahlen immer wieder und da hat es dann Unklarheiten gegeben. Die konnten korrigiert werden, ja, ist richtig. Aber noch mal: Sinn des Verfahrens war ja, am Ende auch ein demokratisches Ergebnis zu haben, und Demokratie ist eben manchmal nicht so einfach.

    Armbrüster: Herr Fricke, wenn Sie sich allein nur die Organisation dieser Befragung ansehen, welche Note geben Sie Ihrer Partei?

    Fricke: Na ja, ich erteile weder meiner Partei noch irgendjemand anderem Noten. Das muss jeder für sich selber bewerten.

    Armbrüster: Ich glaube, als Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion können Sie das!

    Fricke: Na ja, nein. Aber da sage ich Ihnen ganz ehrlich: Ich hätte mir natürlich gewünscht, wir hätten das Verfahren in einem ruhigeren Umfeld und ruhiger hinbekommen. Aber Notenverteilung mache ich nicht, weil dahinter dann auch steht, dass man selber glaubt, dass man es besser gemacht hätte. Und ich bin jemand, der sagt, wir müssen Probleme lösen, nicht Noten geben.

    Armbrüster: Sagt Otto Fricke, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Besten Dank, Herr Fricke, dass Sie sich heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk die Zeit genommen haben.

    Fricke: Ich danke und wünsche ein schönes Adventswochenende.

    Armbrüster: Danke! Ihnen auch.

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