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Out im Kino. Das lesbisch-schwule Filmlexikon

"Niemand muss betrunken sein, um mit Catherine Deneuve ins Bett zu wollen, egal, welche sexuelle Orientierung man hat." Sagt jedenfalls Susan Sarandon. In der Rolle der Ärztin Sarah im Film "Begierde" wollte man sie zuerst betrunken machen, bevor sie von der schönen Vampirin Deneuve verführt werden dürfte. Sie lehnte ab, der Wein landete auf ihrem Kleid, und die Szene machte den Vampirfilm von 1982 in der Regie von Tony Scott zu einem Klassiker lesbischen Kinos, auch wenn sich die Deneuve sicherheitshalber bei der Verführung doubeln ließ.

Antje Ravic | 09.03.2003
    Dergleichen erfährt man in "Out im Kino". In dieses reich mit Fotografien ausgestattete, anspruchsvoll gestaltete Filmlexikon hat alles Eingang gefunden, was nicht heterosexuell ist und einem deutschen Publikum bisher im Kino zugänglich war: 335 Männer im Fummel etwa, 10 grausame Gefängniswärterinnen, Kussszenen, die in Hollywood durchgefallen wären, 7 lesbische Dienstmädchen und ein schwuler Hund, wie die Herausgeber Manuela Kay und Axel Schock gutgelaunt bemerken. Seit 25 Jahren, befinden sie, treiben Schwule und Lesben nicht mehr nur als Klischeetunten oder gesellschaftlicher Dosenmüll, als blutgeile Vampirin oder verknöcherte, altjüngferliche Gouvernante ihr Unwesen auf der Leinwand.

    Inzwischen sind Lesben und Schwule im Film vielmehr wie du und ich, aufgeweckt und witzig, aber vor allem normal; eine Entwicklung, die anhand der gut 1000 Filme, die hier gelistet sind, nachvollziehbar wird. Statt Karrikaturen der Ängste und Schuldgefühle einer repressiven Ordnung also emanzipierte, selbstverständlich mit ihrer sexuellen Orientierung lebende Persönlichkeiten. Das ist ohne Frage beruhigend. Bemerkenswert an diesem Lexikon ist neben der Fülle an Informationen aber vor allem eins: Die Herausgeber scheinen einen ähnlich aufklärerischen Ansatz zu verfolgen wie die Macher von "Coming Out", des einzigen DDR-Spielfilms über Homosexualität, der bezeichnenderweise am 9. November 89 in die Kinos kam. Der Film, hieß es damals im DEFA-Gutachten, "steht in der Tradition der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und trägt in diesem Sinne zur Verwirklichung der humanistischen Ideale deutscher Kommunisten in unserer Gesellschaft bei."

    Aber der Reihe nach. In "Out im Kino" gibt es, wie es sich für ein Lexikon gehört, treffende Inhaltsangaben, ergänzt durch aufschlussreiche Details zu Produktions- oder Rezeptionsgeschichte, auch kommen Regisseure und Schauspieler in erhellenden Zitaten zu Wort. Das Spektrum der Filme reicht von Gesellschaftskomödien wie Der bewegte Mann oder Better than Chocolate über Pier Paolo Pasolinis surreale Welten bis zu Verfilmungen der psychologisch schmerzhaften Theaterszenarien eines Tennessee Williams, beispielsweise in Suddenly Last Summer von 1959 mit Katherine Hepbum.

    Einmal mehr wird der große Einfluss deutlich, den der französische Dramatiker Jean Genet auf Regisseure und Filmemacher seit den siebziger Jahren ausübte. Rainer Werner Fassbinder beruft sich in seinem letzen Film Querelle - Ein Pakt mit dem Teufel auf Genets überbordende phantastische Subjektivität als Grundlage zur Bildung neuer filmischer Identitäten. Todd Haynes Poison bezieht sich auf Genets Roman Das Wunder der Rose . Hier bricht schwule Identität sich über Leidenschaft Bahn, die an der Grenze zur Gewalt liegt, da sie sich immer an gesellschaftlich rigiden Strukturen entzündet. Ebenso stellt Out im Kino Filme vor, die historische Stoffe verarbeiten, etwa den auf Henry James' gleichnamigem Roman basierenden Streifen "Die Damen von Boston" mit Vanessa Redgrave, der die Sufiragettenbewegung um die letzte Jahrhundertwende thematisiert.

    Aber Out im Kino beschränkt sich nicht auf pure Information. Bereits im Leitfaden zeigt sich: hier wird nicht der Objektivitätsanspruch eines Lexikons erhoben. Unter dem Deckmantel des Thematischen werden die Filme vorab schon mal bewertet. Damit sich niemand verirrt, gibt es ein pädagogisches Geländer. Eingekreiste Abkürzungen wie PR ("Prostitution") oder M ("Schwule und Lesbische Mörderinnen") sollen begreifen helfen, wie hoch der jeweilige Film auf der Emanzipationsskala schon geklettert ist. Die Beiträge selbst strotzen vor Polemik. In kolumnistischer Manier wird bewundert, gewarnt und verachtet. Das ist zum Teil natürlich erfrischend unterhaltsam. Fatal wird es allerdings dort, wo zugunsten eines Gutschwulen- und Lesbentums ein grandioser Film wie Suddenly Last Summer in einem einzigen Satz per se verdammt wird. Der Grund? Der Homosexuelle war wieder mal der Böse und böse Schwule sind rückschrittlich. Wobei großzügig die entlarvende Funktion des Bösen innerhalb des Films übersehen wird.

    Als Bewertungsmaßstab dient den Herausgebern offensichtlich ihr persönlicher Geschmack und eine seltsame, in seiner Überzeugtheit starre Moralvorstellung dessen, wie Homosexualität ästhetisch darzustellen sei. Gut ist, so scheint's, offener, sichtbarer Sex, schlecht sind erotische Andeutungen, gut ist die unverstellte, authentische Wiedergabe lebensfähiger, weltzugewandter Homosexueller, schlecht dagegen ihre Negativzeichnung: Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Mehrzahl der Einträge.

    So wandelt sich, was früher als verrucht, gefährlich, aussätzig, wenigstens jedoch als unmoralisch galt, plötzlich zur letzten Nische humanistischer Ideale, wird zur festen Burg eines sonst überall in die Brüche gehenden Wertesystems von Gut und Böse.

    Das erinnert stark an das sozialistische Dogma von der fortschrittlichen, allseits entwickelten Persönlichkeit. Auch die durfte, da sie Ausdruck einer widerspruchsfreien, zukünftigen Gesellschaft war, nicht kompliziert, geschweige denn böse sein. Sollte dieses Übel wider Erwarten doch eintreten, machte man einfach einen Knoten ins Denken wie etwa den vom "nicht anachronistischen Widerspruch".

    Man wird sich auch hier doppelt verknoten müssen, solange man Homosexualität nur als Gegenmodell zur normgebenden heterosexuellen Identität begreift. So lange wird man gezwungen sein, die starren Gefüge der Norm zu übernehmen und sie, um sich zu behaupten, noch zu überbieten. Versucht man, sich davon zu entfernen, gerät man zwangsläufig in Definitionsschwierigkeiten. Eine Vorstellung von lesbischer oder schwuler Identität, die über den bloß sexuellen Akt und ein anständiges Jedermannsein hinausginge, können jedenfalls auch die Herausgeber von Out im Kino in ihren filmkritischen Bemerkungen nicht überzeugend entwickeln. Sonst wären vielleicht auch Missgriffe zu vermeiden gewesen und Softsexfilmchen wie "Black Emmanuelle" oder "Engel sind nackt am Schönsten" hätten nicht aus unerfindlichen Gründen Eingang in dieses Lexikon gefunden, nur weil da zwei Damen aufreizend auf der Couch herumkuscheln. Der Good-Will geht leider völlig mit den Herausgebern durch, als sie schließlich bei einem Genre, das doch allein zur Entladung von (männlichen) Körpersäften da ist, auch noch ernsthaft die Logik der Handlung einklagen.

    Irgendwo am Ende sagt Horrorfilmstar Barbara Steel über ihre Rolle in Vampirfilmen: "Ich möchte nie mehr aus einem verfluchten Sarg steigen müssen!" Nein, das möchte man nun wirklich auch nicht. Lassen wir also dem Humanismus die letzte Zuflucht und vergnügen uns trotzdem von Zeit zu Zeit mit dem abgrundtief Bösen, mit billigen Schmonzetten und perversen Matrosen, dem Angstflackern also im Objektiv einer um ihre Ordnung fürchtenden Gesellschaft.