Freitag, 29. März 2024

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Outdoor-Foto-Ausstellung
Kunst statt Werbung

In Bremen zeigt sich, wie wichtig eine Off-Szene auch in Zeiten von Corona ist. Eine Ausstellung mit dem Titel "Sichten" zeigt Fotografien von Künstlern aus ganz Deutschland. Bus- und Bahnhaltestellen werden zur Galerie, Werbetafeln zur Hängung.

Von Felicitas Boeselager | 06.05.2020
"Based on Truth" von Björn Behrens: Ein Foto einer Wartehalle der Bahn in Bremen mit dem Motiv einer Frau, die aus dem Fenster schaut
Kunst im Wartehaus - "Frau am Fenster" von Jana Kölmel (Erlkönig)
"Hier sind wir jetzt bei der ersten Arbeit von Björn Behrens. Und man sieht gar nichts erstmal."
Pio Rahner steht an einem der Hauptverkehrsknotenpunkte in Bremen und schaut auf eine dunkle Fläche in einem Wartehäuschen einer Haltstelle. Dort wo sonst Werbung für Duschgel oder eine Versicherung hängt, wird hier bei genauerem Hinsehen ein grünes Fensterkreuz sichtbar.
"Das ist auch ein Motiv, das sich nachts erst in Gänze entfalten wird."
Dann ist die sogenannte City-Light-Fläche, auf der diese Fotografie hängt, nämlich beleuchtet. Based on Truth, heißt das Bild von Björn Behrens. Es ist eine Langzeit-Belichtung eines Innenraums einer Ausstellung. Jetzt spiegelt sich die Haltestelle auf dem schwarz-grünen Bild.
Kunst statt Werbung für Reisen, Konzerte, Volksfeste
Pio Rahner geht an diesem Vormittag zum ersten Mal durch seine Ausstellung "Sichten", die über ganz Bremen verteilt ist. Auf insgesamt 230 Werbeflächen hängen zehn verschiedene Fotografien. Die Idee zu dieser Ausstellung im öffentlichen Raum kam ihm, als nach und nach Schulen, Restaurants und Museen geschlossen wurden. Er befürchtete, dass Kunst dann allein im Internet stattfände.
"Ich hatte so ein bisschen Angst vor dieser Verschiebung von dem einen in das andere, weil dieses sinnliche Erlebnis, im Kunstverein eine Arbeit zu betrachten, das fängt ja schon an, wenn ich mich zu Hause umziehe, um mich auf den Weg zu machen in den Kunstverein, um dann dort als Mensch einer Arbeit im Angesicht gegenüberzustehen."
Gleichzeitig fiel ihm in der Stadt Werbung für Reisen, Konzerte und Volksfeste auf.
"Man geht so durch die Stadt und das ist so postapokalyptisch, weil die Werbung sieht noch toll aus, aber es ist Nonsens was darauf abgebildet ist. Das, was die Werbung eigentlich soll, funktioniert nicht, das löst sich alles nicht mehr ein."
"Hier sind wir jetzt bei ‚Nachts‘ von Christopher Muller, da sieht man jetzt mehr als bei der Aufnahme von Björn Behrens."
Der Blick aus dem Fenster
Ein Wartehäuschen weiter hängt das nächste Bild. Diesmal hat es ein weißes Passepartout und fällt schon allein deswegen auf. Es zeigt ein Altbau-Zimmer, Blumen auf einem rundem Tisch, eine helle Lampe darüber und dahinter große, dunkle Fenster.
Fenster - sie sind der rote Faden der Ausstellung. Auf jedem Bild ist auf die eine oder andere Weise eines zu sehen. Denn der Blick aus dem Fenster eint uns gerade alle, sagt Pio Rahner.
"Das Viereckige da, man weiß nicht, was das ist."
An einer Haltestelle ist ein Gespräch über die ungewöhnlichen Fotoplakate entstanden. Hier hängt "Frau am Fenster" von Jana Kölmel. Wie in Casper David Friedrichs gleichnamigen Werk steht hier eine Frau am Fenster und blickt hinaus. Eine ältere Dame hat sich das Bild länger angeschaut.
"Das ist einfach ein zum Betrachten ruhiges Bild, entspannt, ruhig, sie schaut in die Natur. Jetzt vielleicht auf die Corona-Zeit gepunktet, dass sie von zuhause aus raus guckt."
Stadtraum bietet keinen Schutz
Ihr gefällt dieses Bild. Und weil es keinen Schriftzug hat, ist es ihr aufgefallen. Dass es Kunst sein könnte, darüber hat sie sich aber keine Gedanken gemacht. Für Pio Rahner ist das ohnehin nicht entscheidend.
"Also wenn man ins Museum geht, dann kann man sich schon sicher sein, dass es nicht dekorativ gemeint ist, da hat man den Schutz des Hauses. Diesen Schutz, den bietet der Stadtraum erstmal nicht. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob der, der jetzt die Bilder sieht, entscheiden muss, das ist Kunst oder Deko. Also ich stelle ihm die Frage nicht. Es ist erstmal als Angebot zu verstehen, es ist vielmehr auf verschiedenen Ebenen ein barrierefreier Zugang durch diese Ausstellung."
Das Internet: Vermittler statt Galerie
Auf den Fotos steht kein Name, kein Hinweis auf die Ausstellung. Manche Passanten irritiert das, andere gehen einfach an den großformatigen Fotografien vorbei. Wer auf der Suche nach den Kunstwerken ist, findet sie an fast jeder Haltestelle. Trotzdem braucht es dazu einen aufmerksamen Blick. Und wer dann noch herausfinden will, was es mit diesen Bildern auf sich hat, muss im Internet suchen.
"Wir haben jetzt nicht den Ausstellungskatalog neben dem Werk im Kunstverein. Wir haben die Ausstellung, über die in einem anderen Medium berichtet wird, deren Vermittlung in einem anderen Medium stattfindet. Und das finde ich das Spannende an einer Zeit wie der, die wir jetzt grade durchleben. Es ist für mich auch viel adäquater, das Internet als Hilfsmittel zu benutzen, als einfach eine Veranstaltung ins Virtuelle zu verschieben."
Drei Wochen wird die Ausstellung von Pio Rahner nun zu sehen sein, verteilt in ganz Bremen, auch in Quartieren, in denen es nur selten Ausstellungen gibt. Die Fotografien werden durch ihre schiere Verbreitung und den ungewohnten Anblick für Aufmerksamkeit sorgen.