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Outing im Fußball

Der 41-jährige Marcus Urban ist vermutlich europaweit der einzige Fußballspieler auf Profi-Ebene, der sich mit seiner Homosexualität geoutet hat. 2008 hat er seine Geschichte in einem Buch veröffentlicht – unter dem Titel "Versteck-Spieler" – und jetzt? Was hat sich vier Jahre später verändert?

Von Blanka Weber | 19.08.2012
    "Die Vorstellung von der negativen Situation, die entstehen könnte, den Hämen, dem Spießrutenlauf – in Wirklichkeit sind Situationen entstanden, wo genau diese Menschen, als sie sich geoutet haben, Beifall bekommen, Humor, neue Lebenskraft, neue Energie."

    Marcus Urban, weiß wovon er spricht. Mit seiner Lebenskraft war er am Ende, damals Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Er spielte in der DDR-Jugendnationalmannschaft, lebte im Sportinternat in Erfurt. Er gehörte zur Nachwuchsoberliga und spielte gegen die späteren Profis wie Franks Rost, Bernd Schneider und Robert Enke. Der Tod von Robert Enke, die Verzweiflungstat und das Scheitern an Druck und Sport haben ihn tief betroffen, sagt Marcus Urban heute. Auch er stand mit einem Bein dort, wo das Leben nicht mehr weiter ging. Bevor er als Profi in den bezahlten Sport einsteigen konnte, beendete er seine Karriere. Der Druck, sich als Homosexueller im Fußball verstecken zu müssen, war für ihn zu groß. Er studierte, ist heute Diplom-Ingenieur, Kommunikationsberater und Coach.
    Profifußballer, die sich outen – gibt es so gut wie nicht, sagt Marcus Urban. Er wisse von einem Sportler in Schweden und von einem in den USA:

    "Das zeigt, wie stark das Tabu ist und wie stark auch die Unfreiheit der Sportlerinnen und Sportler ist in Bezug auf die sexuelle Orientierung."

    Was in Medien, der Politik, der Kunst und Kultur mittlerweile kein Tabu mehr ist – scheint im Sport ein Problem. Vor allem im Leistungssport:

    "Wo es dann auch um Medaillen geht, um Plätze oder um Sportförderung – will man schon kraftvoll, aktiv, im Mannschaftssport, rau, hart und verwegen wirken. Und was passt dann überhaupt nicht ins Bild? – Homosexualität – zum Beispiel."

    Es würden sich Jugendliche bei ihm melden und fragen, wo jene sind, die sich bereits geoutet haben. Marcus Urban schüttelt den Kopf –kaum einer wagt das – zumindest dann nicht, wenn er im Profibereich aktiv ist. Mehr Experten könnten helfen – vor Ort in den Verbänden und Vereinen.

    "Und da habe ich viele Menschen kennen gelernt, die ehrenamtlich aus einer Hilfsbereitschaft heraus mitarbeiten würden, die vor Ort präsent wären."

    Fanprojekte und Landessportbund – in Thüringen gibt es erste Kontakte. In Brandenburg hat Marcus Urban mit einem Mann in leitender Funktion beim Sport zusammen gearbeitet. Er hat sich mit seiner Hilfe geoutet. Nach 25 Jahren.

    "In seinem Umfeld kennt er alleine 8 Schiedsrichter, die versteckt schwul sind. 2 Schiedsrichter – und das ist nur von einem kleinen Kreis ein Umfeld."

    Die Angst vieler, vor allem wenn sie nicht anonym in Großstädten leben können, sei groß. Das betrifft übrigens nicht nur den Sport. Sein Buch habe aufgerüttelt und er ist – ohne Absicht – nun Ansprechpartner jener, die Hilfe suchen. Auch aus dem kirchlichen Bereich:

    "Es haben sich viele Leute aus der Kirche bei mir gemeldet, u.a. jemand aus dem Vatikan."

    Versteck spielen, sagt er, sei auch dort an der Tagesordnung vor allem nach außen:

    "Nur nach innen weiß man darüber Bescheid und ist das legitim und wird’s auch ausgehalten, aber nach außen wird immer der Schein gewahrt."

    Er arbeitet heute mit dem Deutschen Olympischen Sportbund zusammen. Diversity – Vielfalt - ist sein Thema und bezieht sich nicht nur auf sexuelle Orientierungen. Auch im DFB – dem Deutschen Fußballbund arbeitet er mit, wenn es um Toleranz, gegen Rassismus und Diskriminierung geht. Es sind kleine Schritte, erste Schritte, sagt Marcus Urban. Denn Druck oder Versteck spielen, wie er es nennt, führen dazu, dass auch Talente den Mut verlieren könnten.