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Oxfam-Sprecherin Osterhaus
"Lage in der Sahel-Zone hat sich dramatisch verschlechtert"

Anja Osterhaus von der Hilfsorganisation Oxfam steht militärischen Einsätzen in Mali und der Sahel-Region kritisch gegenüber. "Wir sind der Meinung, dass wir in dieser sich zuspitzenden Krise vor allem eine politische Lösung brauchen", sagte Osterhaus im Dlf.

Anja Osterhaus im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.01.2020
Mali, Koulikoro: Soldaten der malischen Streitkräfte marschieren im EUTM-Ausbildungszentrum zusammen an.
"Wir sind zurückhaltend, was die Lösung der Krise mit militärischen Mitteln betrifft", sagt Anja Osterhaus (dpa / Arne Immanuel Bänsch)
"Die Lage in der Sahel-Zone hat sich im Lauf des letzten Jahres dramatisch verschlechtert", meinte Osterhaus. Ausgegangen sei die Krise im Norden von Mali im Jahr 2012. Mittlerweile habe sie sich nicht nur ausgedehnt in das Landesinnere von Mali, sondern auch in die Grenzregionen zu Niger und Burkina Faso. Alleine in Burkina Faso gebe es eine Verzehnfachung von Menschen auf der Flucht, also eine halbe Million.
Die Menschen würden zunehmend zwischen die Fronten der brutal agierenden Rebellengruppen und den militärischen Kräften geraten, sagte Osterhaus. Die Zivilibevölkerung fühlt sich komplett ungeschützt. "Wir können nicht von einer zunehmenden Stabiliserung der Region sprechen, die ja eigentlich das Ziel dieser Operation war", sagte Osterhaus.

Das Interview mit Anja Osterhaus in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Anja Osterhaus. Sie ist Programmleiterin der Hilfsorganisation Oxfam und kennt Mali und die Region sehr gut, war erst kürzlich dort. Schönen guten Tag, Frau Osterhaus!
Anja Osterhaus: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Frau Osterhaus, französische Soldaten bekämpfen islamistische Terroristen in Mali. Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind Teil zweier Missionen von UNO und EU, um das Land zu stabilisieren, und die Verteidigungsministerin denkt über ein stärkeres Engagement der Bundeswehr in Mali nach, möglicherweise auch über eine Beteiligung am Kampfeinsatz. Denn: "Wir können uns militärisch nicht wegducken", so das Zitat. Wie sehen Sie das?
Osterhaus: Ja, das wäre eine zu einfache Antwort, zu sagen, dass die Lösung der Krise in Mali nun rein militärisch oder in der Sahelregion rein militärisch sein könnte. Wir sind da sehr zurückhaltend. Wir sind davon überzeugt, dass wir eine Lösung dieser, sich wirklich zuspitzenden Krise vor allem auf politischem Wege brauchen. Wir haben ja einen Militäreinsatz durch Barkhane, durch die Franzosen. Wir haben auch andere Militärpräsenzen, auch von Deutschland unterstützt, wie Sie gerade erwähnt haben. Und trotzdem hat sich die Lage zugespitzt und hat sich dramatisch verschlechtert im Laufe des letzten Jahres. Die militärische Antwort scheint ja da nicht auszureichen.
Verzehnfachung der Flüchtlingszahlen
Heckmann: Hat sich dramatisch verschlechtert, sagen Sie. Wie können Sie das genauer beschreiben?
Osterhaus: Ausgegangen ist die Krise ja im Norden von Mali 2012 und mittlerweile hat sie sich ausgedehnt nicht nur in das Landesinnere des Landes Mali, sondern auch auf die Grenzregion zu Burkina Faso und Niger. Wir haben alleine in Burkina Faso eine Verzehnfachung von Menschen auf der Flucht. Mittlerweile ist es über eine halbe Million von Menschen, die dort nicht mehr an ihren Orten, in ihren Dörfern leben können, weil sie dort vertrieben wurden durch Rebellengruppen. Die Menschen geraten zunehmend auch zwischen die Fronten, zwischen die Fronten zwischen den dort agierenden, auch oft brutal agierenden Rebellengruppen und den militärischen Einsätzen der diversen Kräfte, die dort aktiv sind. Die Zivilbevölkerung fühlt sich zum großen Teil wirklich komplett ungeschützt und wir können wirklich nicht von einer zunehmenden Stabilisierung der Region sprechen, die ja eigentlich das Ziel dieser Operationen war.
Heckmann: Und dennoch herrscht hier in Deutschland zumindest in der öffentlichen Diskussion der Eindruck vor, dass der Mali-Einsatz der Deutschen und auch der Franzosen enorm wichtig sei, damit das Land nicht weiter im Chaos versinkt und immer mehr Menschen fliehen müssen.
Osterhaus: Ja, das ist natürlich auch so der Fall. Die Situation ist aber leider, wie gesagt, problematisch und wird immer komplizierter und die Gemengelage wird auch dadurch komplizierter, dass wir mittlerweile es mit einer Vielzahl von verschiedenen Rebellengruppen zu tun haben, und die sind nicht unbedingt alle unter dem Label Terrorismus zusammenzufügen. Zum Beispiel schließen sie zum Teil Menschen in den von Überfällen betroffenen Gemeinden zusammen, um sich selbst zu verteidigen, weil sie nicht von den Sicherheitskräften vor Ort sich geschützt fühlen. Von daher ist es wirklich kompliziert und eine ausschließlich militärische Antwort und Verstärkung der Militärpräsenz ist definitiv nicht die Lösung des jetzigen Konflikts.
Heckmann: Sie als Oxfam sind ja in der Region auch vor Ort. Könnten Sie denn ohne militärischen Schutz Ihrer Arbeit überhaupt nachkommen?
Osterhaus: Es gibt Gegenden in der Region, die sind überhaupt nicht mehr von den staatlichen Kräften kontrolliert. In diesen Gegenden gibt es gar keinen Schutz von den Sicherheitskräften und auch nicht von den internationalen Einsatztruppen.
Heckmann: Können Sie da arbeiten?
Osterhaus: Genau dort kann man häufig nicht arbeiten. Es sind aber auch oft Regionen, wo die Menschen wirklich fliehen, wo wir vor allem gefragt sind als Hilfsorganisation, wo die Menschen dann hingeflohen sind, weil sie dort nichts mehr haben, weil sie von Gemeinden aufgenommen werden, die selber sehr arm sind und die nicht auch noch zusätzlich diese Tausenden von Menschen versorgen können, und an den Stellen sind wir gefordert als internationale Hilfsorganisation und da können wir auch arbeiten.
Schutz der Zivilbevölkerung muss ins Zentrum gestellt werden
Heckmann: Frau Osterhaus, Sie haben gerade gesagt, eine rein militärische Antwort kann es nicht sein. Das wird die Situation nicht verbessern. Jetzt haben Sie zusammen mit der "Aktion gegen den Hunger" und dem norwegischen Flüchtlingsrat eine Pressemitteilung herausgegeben. Ich zitiere mal daraus: "Die Militäreinsätze sind nicht nur Teil der Lösung für die Krise in der Sahelzone, sondern ebenso ein Teil des Problems. 80.000 der Vertriebenen in Mali geben an, dass sie wegen der Militäroperationen fliehen mussten." Müsste man da nicht konsequenterweise sagen, man zieht das Militär ab?
Osterhaus: Wir würden nicht so weit gehen zu sagen, das Militär muss abgezogen werden. Wir sind aber wirklich davon überzeugt, dass bei dem aktuellen Militäreinsatz der Schutz der Zivilbevölkerung ins Zentrum gestellt werden muss und auch die Einhaltung des internationalen Völkerrechts. Das ist leider nicht immer der Fall. Es gibt auch Hinweise darauf, dass selbst die Sicherheitskräfte Übergriffe verüben auf bestimmte gerade ethnische Gruppen in Teilen dieser Länder, und das ist wirklich völlig inakzeptabel. An diesen Stellen muss unbedingt das Völkerrecht eingehalten werden und die humanitären Prinzipien und darauf muss auch die internationale Gemeinschaft dringen.
Heckmann: Sie haben in Ihrer Pressemitteilung auch geschrieben, wir müssten nichtmilitärische Lösungen entwickeln und erproben. Wie erprobt man nichtmilitärische Lösungen bei Terroristen, die vor nichts zurückschrecken?
Osterhaus: Wie gesagt, es geht ja nicht nur um terroristische Gruppen. Die gibt es, aber die Gemengelage ist wirklich sehr komplex und es gibt sehr viele verschiedene Gruppen und auch verschiedene Gründe, warum die Menschen überhaupt zu den Waffen greifen. Das sind oft wirklich Menschen, die verzweifelt sind, die sich allein gelassen fühlen, die sowieso unter Armut und Ungleichheit leiden, die in der Region vorherrschen, und die aus Verzweiflung und Enttäuschung über die staatlichen Kräfte, die sie nicht ausreichend unterstützen, auch in der Selbstverteidigung zu Waffen greifen. An diesen Stellen kann man natürlich ansetzen, und zwar auch präventiv. Gerade in einem Land wie Mali ist ja nicht das ganze Land von diesem Konflikt betroffen. Es gibt sehr viele Regionen, die im Moment noch friedlich sind, wo man ganz normal leben und arbeiten kann, und wir müssen uns sehr stark auch damit beschäftigen, wie kann man denn verhindern, dass noch weitere Teile dieser Länder in diesen Konflikt hineingezogen werden.
Perspektivlosigkeit in vielen Teilen dieser Länder
Heckmann: Und zwar konkret? Was kann man da machen? Was sind diese nichtmilitärischen politischen Maßnahmen, die Ihnen vorschweben?
Osterhaus: Es gibt eine gewisse Perspektivlosigkeit in vielen Teilen dieser Länder, gerade unter der Landbevölkerung. Es gibt sehr wenig Möglichkeiten und es gibt dort Teile der Bevölkerung, die ausgeschlossen sind von Bildung, Ausbildung, die gar keine Möglichkeiten haben, auf den Arbeitsmarkt zu kommen. An diesen Stellen muss man Menschen Perspektiven schaffen. Das kann man auch, indem man gezielt mit den Menschen vor Ort arbeitet, und natürlich kann man auch friedensstabilisierende Maßnahmen entwickeln und daran arbeiten. Dafür fehlt aber leider häufig das Geld, denn das ist auch ein Teil dieses Problems in der Region im Moment, dass in die militärischen Aktivitäten sehr, sehr viel Geld investiert wird. Jeden Tag werden Millionen in die Barkhane-Mission zum Beispiel gesteckt. Aber die humanitären Bedarfe, die es dort gibt, die Menschen, die dort vertrieben wurden, die nichts mehr haben, die müssen unterstützt werden, weil sie sich nicht mehr selbst versorgen können, und dafür gibt es internationale Hilfsaufrufe, die aber leider dramatisch unterfinanziert sind. Weniger als die Hälfte dieser Hilfsaufrufe sind im letzten Jahr finanziert gewesen. Die sind von der UNO koordiniert. Und das muss unbedingt geändert werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.