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Ozonforschung vor 30 Jahren
"Damit haben wir eine Katastrophe vermieden"

Vor 30 Jahren, am 23. August 1986, schickten die USA ein Forscherteam unter der Leitung von Susan Solomon in die Antarktis, um dem Rätsel der abnehmenden Ozonschicht auf den Grund zu gehen. Sie fanden heraus, dass das Ozonloch tatsächlich durch die menschliche Verwendung von FCKW entstanden sein musste - nicht durch die Sonne oder andere meteorologische Umstände.

Von Anja Krieger | 23.08.2016
    Eine Satellitenaufnahme der Erde zeigt den Verbleib der Ozonschicht über der Arktis (Foto vom Winter 1999/2000).
    Dank der Einstellung der Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) schrumpft das Ozonloch mittlerweile (Nasa, dpa picture-alliance)
    "Es war eine unglaubliche Erfahrung. So eine Gelegenheit bekommt man wohl nur einmal im wissenschaftlichen Leben mit sehr, sehr, sehr viel Glück. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort."
    Wenn Susan Solomon aus ihrem großen Fenster im 17. Stock des Massachusetts Institute of Technology blickt, ist sie mit dem Himmel auch ihrem Forschungsthema schon etwas näher. Solomon ist Professorin für Atmosphärenchemie und Klimaforschung. Drei Jahrzehnte ist es her, dass sich die Wissenschaftlerin mit einer Gruppe von Kollegen zur Antarktisstation McMurdo aufmachte, um dem Ozonloch auf die Spur zu kommen. Susan Solomon erinnert sich noch gut an den Moment, als die Skier des Militärfliegers mittags auf dem eisigen Boden aufsetzten:
    "Also … da ist dieses kleine bisschen Zwielicht, als ich aus dem Flugzeug steige, dieses unglaubliche tiefe Blau, das der Himmel dort unten annimmt, wegen dem Eis und dem flachen Winkel der Sonne - und draußen sind es minus 40 Grad."
    Zügig räumten die 16 Wissenschaftler Gepäck und Ausrüstung ins Warme. Die 30-jährige Susan Solomon arbeitete damals für die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA. Unter ihrer Leitung sollte die Expedition klären, was sich hoch über den Köpfen der Forscher in der Stratosphäre abspielte.
    Das Ausmaß des Ozonlochs traf die Wissenschaftler völlig unvorbereitet
    Denn im Jahr zuvor hatten britische Wissenschaftler eine äußerst besorgniserregende Entdeckung in ihren Daten gemacht: Die lebenswichtige Ozonschicht, die Pflanzen, Tiere und Menschen vor UV-Strahlen schützt, verlor an Dicke. Nach dem Fund der Briten prüften auch Wissenschaftler aus anderen Teilen der Welt ihre Datensätze - und kamen zum selben Ergebnis: Die Ozonschicht hatte um 35 Prozent abgenommen. Solomon:
    "Jetzt! Im Jahr 1986! Also, das war ein Schock, ein unfassbarer Schock! Ein viel stärkerer Abbau als irgendwer jemals erwartet hatte, an einem Ort, den niemand als besonders empfindlich eingestuft hatte, und das 70 Jahre bevor es hätte passieren sollen - es war unglaublich!"
    Schon Mitte der 1970er-Jahre hatten Forscher postuliert, dass die Verwendung sogenannter Fluorchlorkohlenwasserstoffe oder FCKW als Treibgas in Haarsprays oder Kältemittel in Kühlschränken zu einem Abbau der Ozonschicht führen könnte. Doch dieser Effekt sollte erst nach vielen Jahrzehnten auftreten. Hatte das nun entdeckte Ozonloch damit zu tun, oder war es vielleicht ein ganz natürliches Phänomen?
    Einige Forscher vermuteten, dass die verstärkte Aktivität der Sonne in den frühen 1980er-Jahren die Ursache war. In der oberen Atmosphäre seien dadurch Stickoxide entstanden, die das Ozon abgebaut hätten. Andere machten eine ungewöhnliche meteorologische Dynamik für den Ozonschwund verantwortlich. Doch Susan Solomon hatte eine andere Theorie. Das erste Indiz lag darin, dass nur einer der beiden Pole betroffen war:
    "Man muss sich deshalb gleich fragen, was macht die Antarktis so einzigartig? Naja, sie ist wirklich der allerkälteste Ort der Erde."
    FCKW kann als Verursacher ausgemacht werden
    Die Eiseskälte in der Antarktis führt dazu, dass sich in der sonst wolkenlosen Luftschicht der Stratosphäre Wolken bilden. Dort, in 15 bis 25 Kilometern Höhe befindet sich auch ein großer Teil der schützenden Ozonschicht. Susan Solomon vermutete, dass diese Wolkenbildung eine ganz besondere Chemie über der Antarktis hervorrufe. Ganz anders als sonst in der Stratosphäre könnten die Abbau-Reaktionen durch FCKW nicht nur in der gasförmigen Phase, sondern auch auf der Oberfläche der Wolkenpartikel stattfinden.
    Um das zu belegen, analysierten die Wissenschaftler auf ihrer Expedition mittels Spektroskopie und Forschungsballons die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre:
    "Und das Ozon war tatsächlich ziemlich normal im späten August, es war noch nicht verschwunden. Und dann plötzlich … es war unglaublich. Es fiel wie ein Stein, sobald die Sonne zurück kam, einfach verblüffend, jeden Tag gab es eine starke Veränderung, und dann Bumm, Bumm, Bumm, Tag für Tag, runter, runter, runter. Bis auf fast nichts."
    Gleichzeitig fanden die Forscher ungewöhnlich hohe Mengen Chlordioxid in der Luft, das nur aus FCKW entstanden sein konnte. Die Ozonschicht über der Höhe der Stratosphärenwolken schien dabei unberührt und das Level an Stickoxiden sehr gering. All das stützte Solomons Theorie, dass das Ozonloch durch die menschliche Verwendung von FCKW entstanden sein musste, und nicht durch die Sonne oder merkwürdige meteorologische Umstände:
    "Es passiert genau in dieser magischen Zeit im Frühling, wenn die Temperaturen kalt genug sind für Wolken in der polaren Stratosphäre, und das Sonnenlicht einen Teil dieser chemischen Prozesse antreibt."
    "Zum Glück ist der Schaden für das Leben in der Antarktis ziemlich klein"
    Ein Meteorologe lässt bei windigem Wetter in der Antarktis eine Ozonsonde zur Messung der Ozonkonzentration in der Atmosphäre steigen
    Ein Meteorologe lässt bei windigem Wetter in der Antarktis eine Ozonsonde zur Messung der Ozonkonzentration in der Atmosphäre steigen (dpa / picture alliance / Stefan Christmann)
    Schon ein dreiprozentiger Abbau der Ozonschicht führt zu einem sechsprozentigen Anstieg der Hautkrebsrate. Durch die ungefilterten UV-Strahlen kann es zu Schädigungen der Augen und zu einer Schwächung des Immunsystems kommen:
    "Es war sehr dramatisch. In diesen Jahren sagte ich mir, dass wenn man schon ein Ozonloch irgendwo auf diesem Planeten haben musste, die Antarktis vielleicht noch der beste Ort dafür war - weil es dort nicht viel Leben gibt und der Schaden für Pflanzen, Tiere und Menschen ziemlich klein ist."
    Die globale Nutzung von FCKW stieg. Als Susan Solomon 1987 erneut auf Expedition in die Antarktis ging, erreichte sie in der Ferne allerdings eine gute Nachricht: Im kanadischen Montreal war ein Abkommen unterzeichnet worden, das die Produktion von FCKW einfror. Es dauerte zwei Jahrzehnte, bis die Herstellung schließlich ganz eingestellt war:
    "Wir haben es gerade noch geschafft und damit aufgehört, FCKW zu produzieren. Damit haben wir eine Katastrophe vermieden. Wir sollten stolz sein auf uns selbst."
    Bis sich die Ozonschicht wieder ganz regeneriert hat, wird es noch ein paar Jahrzehnte dauern. Mit dem Klimawandel steht die Welt vor einer neuen, noch größeren ökologischen Herausforderung. Dass es heute nicht noch mehr klimawirksame Gase in der Atmosphäre gibt, ist auch den Ozonforschern zu verdanken. Denn Fluorchlorkohlenwasserstoffe sind nicht nur Ozonkiller - sie sind auch ziemlich wirksame Treibhausgase.