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Paar ohne Herberge

Anhand der Geschichte der jungen Aborigines Samson und Delilah, die ihr Dorf verlassen, um in der Stadt ihr Glück zu suchen, schildert Regisseur Warwick Thornton das Leben der Ureinwohner Australiens. Und das ohne jedes romantische Gefühl.

Von Josef Schnelle | 26.12.2011
    Ein Blechhüttenvorort des australischen Wüstennests Alice Springs. In der Mitte vom trostlosen Nirgendwo des Outbacks. Einmal in der Woche kommt ein Truck vorbei und wirft ein paar Lebensmittel ab für das halbe Dutzend Einwohner dieser kleinen Siedlung von Aborigine-Ureinwohnern. Samson, Anfang zwanzig, bringt seine Zeit herum mit dem Schnüffeln an Plastikflaschen, die mit benebelndem Leichtbenzin gefüllt sind. Er schnappt sich einen herumstehenden Rollstuhl und tourt damit unter dem Gelächter seiner Kumpel herum. Dann und wann greift er auch zur Gitarre.

    Manchmal tanzt er zu solchen Klängen auch traumverloren. Das ist der Moment, in dem sich Delilah in ihn verguckt. Das Mädchen, vielleicht 17, hilft ihrer Mutter dabei, scheinbar für die Aborigine-Kultur typische Punktmalereien anzufertigen, die ab und an von weißen Liebhabern exotischer Kunst zum Schleuderpreis erworben werden. In diesem ersten Teil des Films dominiert eine melancholische Grundstimmung, die an frühe Filme von Jim Jarmush erinnert. Für die Typen, die hier geschildert werden, vergehen die Tage kaum. Ihr Leben ist ein langsamer träger Fluss. Doch hinter dieser oberflächlichen Coolness lauert das Melodram. Die gute Oma stirbt bald.

    Samson und Delilah, er stumm, sie wortkarg, beschließen ihre Blechhütteneinsamkeit zu verlassen. Sie stehlen ein Auto und machen sich auf den Weg in die Stadt. Doch dort werden sie behandelt wie der Müll, der achtlos herumliegt. Samson wird beklaut, als er wehrlos im Benzolrausch unter einer Brücke liegt. Delilah wird von weißen Australiern zusammengeschlagen und vergewaltigt. Samson ist zu benebelt, ihr zu helfen. Und es dauert eine Weile, bis diese beiden wieder zusammenkommen und ein neues Leben am alten Ort beginnen. In diesen Passagen ist der Film von gnadenloser Härte.

    Regisseur Warwick Thornton, der für diesen Film die Goldene Kamera für den besten Erstlingsfilm, die Caméra d´Or, in Cannes bekam ist selbst indigenen Ursprungs. Er schildert das Leben der Ureinwohner seines Landes ohne jedes romantische Gefühl, das in vielen gut gemeinten Filmen weißer australischer Regisseure wie Baz Luhrman, Phillip Noyce oder Peter Weir zum Thema bis hin zum Klischee des "guten Wilden" dominiert. Kein alter Aborigine führt uns zu geheimnisvollen Zeichen der "Traumzeit".

    Stattdessen ist das Leben der Ureinwohner hässlich, gewalttätig und dreckig. Vor allem aber scheint es für die Helden dieser Geschichte keinerlei Zukunft zu geben. Sie bleiben sich selbst überlassen, auch wenn der Lebensmitteltruck mit sturer Regelmäßigkeit immer wieder vorbeikommt.

    Warwick Thornton hat sich mit diesem superrealistischen Film in die Riege der asiatischen Regisseure katapultiert, die wie Apichatpong Weerasetakul aus Thailand oder Brilliante Mendoza von den Philippinen im Weltkino der großen Filmfestivals gerade den Ton angeben. Sein Film ist auch deswegen so eindrucksvoll, weil er seinen Figuren im Wortsinne so nahe kommt, das wir deren Leben zu spüren glauben. Diese filmische Nähe verdankt sich einer äußerst intimen Kameraarbeit und dem authentischen Spiel seiner Laiendarsteller.

    Wenn ein Film in die letzte Dezemberwoche verbannt wird, die gemeinhin dem Popcornfilm für die ganze Familie gehört, dann darf man vermuten, dass der Verleih diesem vielfach preisgekrönten Film nicht allzu viel Zuschauerinteresse zutraut. Aber es könnte doch sein, dass die Kinobesucher gerade zwischen den Tagen um so mehr an ungewöhnlichen Themen und an einem dezidiert poetischen Stil besonderes Interesse entwickeln. Schön wär’s.