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Paare im Fokus
Die Faszination Zweierbeziehung in Foto und Forschung

Untreue, Stress, Arbeitslosigkeit oder Krankheit: Herausforderungen und Veränderungen prägen die Zweierbeziehung und machen sie zu einem spannenden Thema für Forschung und Kunst. Paare werden zunehmend interessanter für die Soziologie und auch die Fotografie entdeckt die Zweisamkeit immer wieder neu.

Von Alfried Schmitz | 05.11.2015
    Symbolfoto Paarbeziehung für Zuneigung, Liebe, Sex, Differenz, Sympathie
    Die Ausstellung "Paare" erhebt nicht den Anspruch, Spiegel der deutschen Gesellschaft von heute und von vor vierzig Jahren zu sein - aber aus den Fotos können Soziologen Veränderungen im Verhalten der Partner zueinander deuten. (dpa / picture alliance / Klaus Rose)
    Professor Dr. Karl Lenz von der Technischen Universität Dresden, ist einer der führenden deutschen Wissenschaftler im Bereich der Mikrosoziologie:
    "Mittlerweile haben wir sehr viele Paare, die kinderlos bleiben, natürlich auch sehr viele Paare, die überhaupt nicht heiraten. Und damit hat es sich einfach aufgedrängt, dass sich das Ganze nicht nur als kleines Anhängsel der Familienforschung betreiben lässt, sondern ein eigenständiges Gebiet ist."
    Neben der Bestandsphase und der möglichen Auflösungsphase, ist die Anbahnungsphase für die Soziologen ganz entscheidend. Warum kommen sich Menschen näher? Was bringt sie zu der Entscheidung, eine enge Beziehung mit einem Partner einzugehen?
    "Gleich zu Gleich" oder "Unterschiede ziehen sich an"?
    "Es gibt eigentlich zwei große Modelle. 'Gleich zu Gleich' oder 'Unterschiede ziehen sich an'. In der Literatur und in der Forschung merkt man, dass die "Homogamie", also dass die Gemeinsamkeiten, das Vorrangige ist. Man sucht einen Partner oder eine Partnerin aus dem gleichen Milieu und mit dem gleichen Bildungshintergrund."
    Bei der Partnersuche rücken einschlägige Internetportale immer mehr in den Vordergrund der wissenschaftlichen Untersuchung:
    "Das ist natürlich nicht das, was ich an leiblicher Erfahrung habe, wenn ich jemanden beim Sport oder in einer Diskothek kennenlerne. Damit ergeben sich neue Formen, wie man Beziehungen herstellt. Und was natürlich sehr stark ist, man hat eine Fülle von Auswahl, was man im realen Leben nicht hat. Das sind Veränderungen der Kennenlernphase, die gewaltig sind und die einen enormen Forschungsbedarf in den letzten zehn Jahren hervorgebracht haben."
    Um forschungsrelevante Daten zu erhalten, führen die Mikrosoziologen bei Paaren aus verschiedenen sozialen Schichten und Altersgruppen regelmäßig Interviews durch oder lassen sie standardisierte Fragebögen ausfüllen. Daneben gibt es eine weitere Methode, um an aussagekräftige Informationen über Paarbeziehungen zu kommen:
    "Wenn ich Paare in der Paar-Interaktion beobachten kann. Mindestens mit dem Tonband, noch besser, wenn ich noch Video dazu habe. Dann erlebt man unmittelbar den Alltag. Aber das hat natürlich auch Grenzen. Kein Paar ist bereit, in ein Dauerstudio zu gehen und sich dauernd beobachten zu lassen. Aber in einzelnen Sequenzen kann man das sehr gut machen."
    Bis in die 60er-Jahre gab es kein Hotelzimmer für unverheiratete Paare
    Zweierbeziehungen sind keine statischen Institutionen. Sie unterliegen ständigen Veränderungen. Stress am Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Untreue eines Partners, sorgen für Krisen. Schwangerschaft oder Wohnungswechsel sind weitere Herausforderungen, die sich auf das Interagieren der Partner auswirken.
    Auch der jeweilige Zeitgeist prägt eine Paarbeziehung ganz entscheidend. Gesellschaftliche Normen, Erwartungen und Klischees beeinflussen die Art und Weise des Zusammenlebens. Vor allem der Stellenwert der Ehe hat sich von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart enorm geändert:
    "Um eine dauerhafte Beziehung zu einer anderen Person zu haben, war man gezwungen zu heiraten. Und das ist natürlich heute völlig weggefallen. Die Heirat ist keineswegs mehr etwas, was gesellschaftlich erzwungen ist. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es in Westdeutschland, bis weit in die 1960er-Jahre hinein, für einen Hotelbesitzer verboten war, einem unverheirateten Paar ein Hotelzimmer zu geben."
    Ob frei auslebbare Sexualität innerhalb einer Beziehung oder gesellschaftliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, es hat sich vieles getan in den letzten Jahren. Auch die Rollenverteilung innerhalb der Paare hat sich grundlegend geändert:
    "Für unsere Individualisierung ist für beide Geschlechter sehr wichtig, dass sie selbst Geld verdienen, erwerbstätig sind. Über den Arbeitsplatz geht nicht nur Geld einher. Es geht eine ganz andere Vernetzung, eine ganz andere Teilhabe an der Gesellschaft einher. Und das ist ein ganz wesentlicher Prozess."
    Blick auf Paare und gesellschaftliche Veränderungen
    Veränderungen im Paarverhalten spiegelt auch eine aktuelle Ausstellung im LVR-LandesMuseum Bonn wider. Die Fotografen Nadine Preiß und Damian Zimmermann, beide Jahrgang 1976, sind von 2010 bis 2012 kreuz und quer durch Deutschland gereist und haben Paare aus vielen gesellschaftlichen Schichten und verschiedenen Altersgruppen fotografiert. Sie wollten damit an ein Projekt der Künstlerin Beate Rose anknüpfen, die Anfang der 1970er ebenfalls Paare fotografiert hatte:
    "Für mich war der Auslöser, dass mich die Menschen interessiert haben, immer schon. Und dann vor allem die Menschen, wie sie zusammen stehen. Und das habe ich bildlich genommen und habe dann nur vorgegeben, sie sollen sich so anziehen und so hinstellen, wie sie gerne ein Foto von sich selber hätten."
    Beate Rose hatte die Paare vor einem schlichten weißen Hintergrund abgelichtet. Es sind Momentaufnahmen in Schwarz und Weiß, von Menschen, die ihre Zweisamkeit vor der Kamera zur Schau gestellt haben. Nach dem gleichen Prinzip gingen auch Nadine Preiß und Damian Zimmermann vor. Anders als Beate Rose machten sie Farbaufnahmen:
    "Damian Zimmermann hat mir einmal ein paar Fotos aus dem Projekt gezeigt und ich war sofort elektrisiert, weil hier Fotografie wieder einen ganz neuen Aspekt rüberbringt. Einen soziologischen Aspekt. Einen Blick auf Paare und gesellschaftliche Veränderungen."
    So Lothar Altringer, Kurator der Ausstellung "Paare". Das Bonner Museum stellt jeweils sechzig Fotografien aus beiden Projekten gegenüber. Alle Fotos werden ohne Bilderunterschrift präsentiert.
    "Die Bilder wirken ja aus sich heraus. Wir können als Menschen gar nicht anders. Wenn wir ein Paarporträt sehen, dann analysieren wir und überlegen, wie stehen die zueinander, sind die frisch verliebt, haben die Streit, wer dominiert? Dann lesen wir weiter. Was sagt uns die Kleidung, welchen Beruf haben die?"
    "Die Leute hatten Probleme, sich nicht zu berühren"
    Die Ausstellung erhebt nicht den Anspruch, Spiegel der deutschen Gesellschaft von heute und von vor vierzig Jahren zu sein. Aber aus den Fotos können Soziologen Veränderungen im Verhalten der Partner zueinander deuten. Und auch gesamtgesellschaftliche Kontexte lassen sich durchaus ablesen, wie die am Projekt beteiligte Fotografin Nadine Preiß sagt:
    "Wir haben eine kleine, nicht empirische Sozialstudie darin gesehen. Das ist so, wie die Gesellschaft sich darstellt. In Beates Bildern taucht kein homosexuelles Paar auf."
    Beim Fotoprojekt von Beate Rose hatte sich aus Angst vor Diskriminierung kein schwules oder lesbisches Paar ablichten lassen. Bei der aktuellen Serie ist das anders. Doch da ist noch etwas. Die Paare der 1970er präsentierten sich meistens ohne Körperkontakt zu ihren Partnern. Bei den neuen Foto-Sessions stellte Damian Zimmermann fest:
    "Dass die Leute Probleme damit hatten, sich nicht zu berühren. Ich meine, das klingt so simpel, aber sich einfach nur hinzustellen und fotografiert zu werden, halten die meisten Menschen nicht aus, weil sie irgendwie eine Haltung einnehmen wollen, etwas darstellen wollen. Häufig auch zu lächeln, aber vor allem sich zu berühren und durch die Körpersprache eine Zusammengehörigkeit auszudrücken."
    Eine Beobachtung, die sich mit den Forschungsergebnissen des Soziologen Karl Lenz deckt:
    "Wir hatten früher sehr viel mehr stabile soziale Rahmenbedingungen. Eine Gemeinde, ein Stadtteil, wo es einfach sehr viel an Stabilität gegeben hat. Je mehr sich solche verbindlichen Strukturen auflösen, desto wichtiger wird die Paarbeziehung. Das ist eine der ganz wenigen Gelegenheiten, wo zumindest der Anspruch besteht, dass man als ganzer Mensch sichtbar werden kann und als ganzer Mensch akzeptiert werden kann."