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Paco bringt den Tod

Paco, das ist ein Abfallprodukt der Kokainherstellung. Da es relativ günstig ist, findet die Droge vor allen bei Jugendlichen in den Elendsvierteln Argentiniens schnell Verbreitung. Einige Mütter haben nun angefangen, sich gegen den Verkauf von Paco zur Wehr zu setzen.

Von Victoria Eglau | 16.02.2008
    Freitagnacht in Los Alamos, einem Elendsviertel in Quilmes, am Rande der argentinischen Hauptstadt. Fünf Frauen laufen durch enge, unbeleuchtete Gassen, vorbei an ärmlichen Behausungen. An einer Ecke bleiben sie stehen.

    "Dort gegenüber wohnt ein ’Transa’, ein Drogenverkäufer. Er kommt manchmal raus und bedroht uns mit einem Revolver. Seine Tochter ist gerade im Gefängnis. Sie hat einen Kiosk, in dem sie Sachen verkauft, unter anderem auch Paco."

    Adriana, Marcela, Claudia, Mercedes und Silvia wohnen in Los Alamos. Sie sind Mütter. Und sie haben Söhne oder Brüder, die pacosüchtig sind. Nacht für Nacht patrouillieren mindestens zwei Frauen durch das Viertel. Sie postieren sich vor den Häusern der Drogenhändler, damit die aufhören, den Stoff zu verkaufen, der ihre Kinder kaputt macht. Vor drei Monaten haben sie damit angefangen. Zuerst hätten sie an die Türen der Drogenverkäufer geklopft, um mit ihnen zu reden, erzählen Mercedes und Silvia:

    "Wir haben sie gebeten aufzuhören, Paco zu verkaufen und damit unsere Kinder zu töten. Wir sagten, dass man auch anders Geld verdienen kann. Einige haben uns zugehört, andere haben die Tür zugeschlagen. Manche sagten, sie verkauften Paco, damit ihre Kinder essen können. Wir haben geantwortet, du gibst deinen Kindern zu essen, aber unsere bringst du um."

    Die Mütter haben den Standort gewechselt. Trotz der Dunkelheit ist zu erkennen, dass wenige Meter entfernt Paco über den Gartenzaun gereicht wird. Die Gruppe wirft böse Blicke zu der Nachbarin herüber, die die Droge einem jungen Mann aushändigt.

    Wie unverschämt, die verkauft einfach weiter, sagt Claudia leise. Doch dann merkt die Drogenhändlerin, dass sie beobachtet wird, und weist den nächsten Kunden ab. Die Mütter wissen, dass der Pacoverkauf in diesem Haus weitergehen wird, wenn sie ihren Posten verlassen haben. Doch dank ihres Einsatzes hat sich die Zahl der Drogenhändler in Los Alamos in den letzten Monaten insgesamt verringert.

    "Der Verkauf ist fast um die Hälfte zurückgegangen, Gott sei Dank! Man sieht kaum noch Jugendliche, die auf der Straße liegen, jedenfalls nicht mehr so viele wie vorher. Früher war es unmöglich, hier zu leben. Es war chaotisch, die Pacosüchtigen haben sich gestritten, einer ist bei einem Streit getötet worden. Wir haben beschlossen, etwas zu unternehmen, damit die Droge Paco aus unserem Viertel verschwindet. Polizei und Justiz haben nichts gemacht, also haben wir entschieden zu handeln."

    Um auf das Problem Paco aufmerksam zu machen, organisierten die Mütter aus Los Alamos Straßenblockaden. Seitdem ist auch die Polizei aktiver geworden. Der örtliche Polizeikommissar Eduardo Codina sagt, seine Mitarbeiter seien auch schon vorher gegen Drogenhändler vorgegangen. Doch seit die Mütter ihre Angst überwunden hätten und gegen Paco kämpften, sei die Arbeit der Polizei leichter.

    "Als wir anfingen, mit diesen Frauen zu reden, gab es eine substanzielle Veränderung. Denn jetzt konnten wir mit ihren Aussagen rechnen, damit, dass sie uns sagen, wie und sogar von wem Paco verkauft wird. Auch der Staatsanwalt hat sich mit ihnen getroffen. So konnten wir erfolgreich verschiedene Ermittlungen zum Abschluss bringen. Es wurden Häuser durchsucht, Drogen sichergestellt und die Verkäufer festgenommen."

    Die Polizei im Bezirk Quilmes konfiszierte in diesem Jahr etwa siebzig Mal so viel Paco wie 2006. Im Armenviertel Los Alamos ist es für die Drogenverkäufer ungemütlich geworden, und die Mütter sind zufrieden. Aber sie arbeiteten nicht mit der Polizei zusammen, betont Marcela:

    "Sie machen ihre Arbeit, wir machen unsere. Wir haben Krach gemacht, damit sie kommen."

    Krach gibt es auch häufig, wenn die Mütter ihre nächtliche Runde durchs Viertel drehen. Wenn sie beschimpft und beleidigt werden, schimpfen sie zurück. Oft kommen ein, zwei Männer zur Verstärkung mit. Mercedes hat sich wegen ihres Sohns Alejandro der Gruppe angeschlossen, der Paco geraucht hat und erst seit einem Monat clean ist.

    "Vor zwei Monaten schlief er auf der Straße, wurde oft festgenommen, ich habe ihn gesucht, habe alles mögliche durchgemacht. Eineinhalb Jahre hat er Paco geraucht. Irgendwann habe ich gesagt: Das soll meinen anderen Kindern nicht passieren, ich muss etwas tun."

    Nur noch Haut und Knochen sei ihr Sohn Alejandro gewesen, erzählt Mercedes. Paco nimmt das Hungergefühl, viele Abhängige erkennt man an ihren ausgemergelten Körpern. Um seine Sucht zu finanzieren, hat Alejandro gestohlen. Paco wird zwar als Billigdroge bezeichnet, weil eine Pfeifenfüllung nur ein paar Pesos kostet, aber Süchtige brauchen davon schlimmstenfalls hundert oder mehr pro Tag.

    "Alles, was du dir vorstellen kannst, hat er mir weggenommen. Aber wenigstens versucht er jetzt, clean zu bleiben. Ich habe erst spät begriffen, dass er krank ist."

    Auch Adrianas Sohn ist pacoabhängig, seit sechs Jahren schon. Achtmal wurde der Zwanzigjährige in Einrichtungen eingewiesen, jedes Mal riss er aus. Doch jetzt will er Hilfe, einen Entzug.

    "Mein Sohn hat gestern zum zweiten Mal versucht, sich umzubringen, er wollte sich die Pulsadern aufschneiden. Er hat auch versucht, seine Frau zu töten. Die Droge führt dazu, dass der Verstand aussetzt. Lebende Tote sind das. Heute habe ich einen Klinikplatz für ihn gesucht. Ich habe keinen gefunden, ich muss bis Montag warten."

    Adriana ist verzweifelt, weil ihr Sohn an diesem Wochenende sich selbst überlassen bleibt. Sie hat Angst.

    "Ich habe schon einen Sohn durch Paco verloren. Er ist im Drogenrausch vor einen Zug gelaufen. Ich kann nicht noch ein Kind verlieren."

    Deswegen wehrt sich Adriana mit den anderen Müttern gegen den Verkauf von Paco in ihrem Viertel. Doch sie hat auch Forderungen an den Staat:

    "Er muss spezielle Einrichtungen für Pacoabhängige schaffen. Nicht nur ein Jugendlicher, Tausende sind durch Paco gestorben. Aber es ist eine Droge der Armenviertel. Warum schauen wir nicht, was in den Armenvierteln passiert?"

    In Argentinien gibt es bisher nur eine Klinik, die auf die Behandlung von Pacosüchtigen spezialisiert ist, sie wurde in diesem Jahr in Buenos Aires eröffnet. Das reiche nicht, meint Hugo Colaone, der in der Stadtverwaltung von Quilmes für Menschenrechte zuständig ist.

    "Das ist eine Droge, die vernichtet. Man muss Paco von allen Seiten bekämpfen: durch mehr soziale Gerechtigkeit, durch Justiz, Polizei und natürlich durch politische Entscheidungen, auf nationaler und Provinzebene. Auch wenn die Mütter bewirken, dass in ihrer Nachbarschaft kein Paco mehr verkauft wird - die Verkäufer ziehen in andere Viertel weiter."

    Um genau das zu verhindern, wollen die Frauen von Los Alamos ein Mütter-Netz aufbauen, damit die Pacoverkäufer nirgendwo mehr willkommen sind. Und sie wollen diejenigen auffangen, die wegen ihrer Sucht alles verloren haben. Dafür bauen sie zurzeit ein bescheidenes Häuschen.

    "Leider sind die meisten Pacosüchtigen von der Familie verstoßen worden. Viele, die Paco rauchen, sind ganz allein."