Dienstag, 16. April 2024

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Paganinis 24 Capricen
Frei von solistischer Egozentrik

Die 24 Capricen von Niccolo Paganini sind die ultimative Herausforderung für jeden Geigen-Virtuosen. Niklas Liepe wollte diese tückischen Stücke nicht solo spielen, sondern begleitet von einem Orchester. Jede Caprice bekommt so eine ganze eigene, manchmal ganz schön schräge Facette.

Von Norbert Hornig | 02.05.2018
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    Der junge Geiger Niklas Liepe (Kaupo Kikkas)
    Das Projekt von Niklas Liepe ist sicher eine der kreativsten Auseinandersetzungen mit dem Thema Paganini neueren Datums. Es setzt in der vielfältigen Tradition der Paganini-Bearbeitungen einen neuen Akzent. Hier steht die Solovioline nicht mehr als Diva im Rampenlicht. Dazu sind die meisten Orchesterparts viel zu gewichtig, denn sie stellen musikalisch weit mehr dar als die bekannten historischen Klavierbegleitungen. Sie ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich und sind eher Reflektionsflächen des Materials. Sie fügen den Capricen so eine neue Dimension hinzu, die Niklas Liepe als Aufwertung von Paganinis Musik begreift. Er schreibt dazu:
    "Wenn man tiefer in die Stücke eintaucht, merkt man, wie viel Musik wirklich in ihnen steckt. Jede Komposition hat ihren eigenen Charakter und eine eigene musikalische Sprache. Genau das fasziniert mich so an diesen Capricen. Sobald man die Stücke aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, haben sie eine ganz andere Wirkung. Und indem man ein Orchester hinzunimmt, bereichert man diesen musikalischen Aspekt zusätzlich."
    Orchesterfassungen von Klavierstimmen
    22 Komponisten und Arrangeure waren an dem Projekt beteiligt. So entstanden Orchesterbegleitungen in einer kalaidoskopartigen Vielfalt, die von Bearbeitungen historischer Klavierbegleitungen bis hin zu gemäßigt modernen und experimentellen Neufassungen reicht. Alles natürlich unter der Prämisse, dass der Geigenpart unberührt bleibt.
    Unverfänglich und vergleichsweise belanglos klingen die Orchesterfassungen, die auf den Klavierbegleitungen von Robert Schumann basieren. Sie sind oft nicht viel mehr als einfache Harmonisierungen.
    Musik: Niccolò Paganini/Robert Schumann, Caprice Nr.1, Orchesterbegleitung: Andreas N. Tarkmann
    Die Bearbeitung der Caprice Nr. 1 nach Schumanns Fassung mit Klavier stammt von dem namhaften Komponisten und Arrangeur Andreas N. Tarkmann, mit dem Niklas Liepe bei der Realisierung des Projekts eng zusammenarbeitete. Tarkmann steuerte auch die Orchestrierung von Klavierbegleitungen berühmter Geiger bei, wie Jacques Thibaud, Adolf Busch und Fritz Kreisler. Mit Kreisler fühlt man sich in der 13. Caprice geradezu nach Wien versetzt.
    Musik: Niccolò Paganini/Fritz Kreisler, Caprice Nr.13, Orchesterbegleitung Andreas N. Tarkmann
    Breite Palette: von zeitgenössischer Klangsprache bis Jazz
    Wie stilistisch gespreizt und heterogen dieses Paganini-Projekt angelegt ist, kommt markant in den modernen, zeitgenössischen Orchesterfassungen zum Ausdruck. Diese entfernen sich weit von der Vertrautheit des romantischen Klanges. Ganz unterschiedliche Klangebenen treffen hier aufeinander, sie mischen sich so wenig wie Öl und Wasser. Dieses Nebeneinander von Orchesterpart und Solovioline fällt besonders in der von Gérard Tamestit bearbeiteten Caprice Nr. 4 auf.
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 4, Orchesterbegleitung: Gérard Tamestit
    Wer jetzt dringend das Bedürfnis nach Entspannung verspürt, kann sich bei der jazzigen Bearbeitung der Caprice Nr. 12 von Stephan Lenz zurücklehnen. Größer kann der Kontrast kaum sein. Paganini zur Unterhaltung.
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 12, Orchesterbegleitung: Stephan Lenz
    Niklas Liepe ist ein brillanter Geiger. Er studierte in Hannover und Köln sowie an der Kronberg Academy. Mit Preisen bei nationalen und internationalen Wettbewerben, wie 2017 beim Deutschen Musikwettbewerb, machte er auf sein Talent aufmerksam. Das CD-Debüt bei Sony ist Ausdruck der persönlichen Paganini-Begeisterung des 28-jährigen Geigers. Drei Jahre Arbeit stecken darin. Liepe meistert Paganini, ohne den virtuosen Aspekt einseitig zu betonen. Sein Fokus ist die Musik, und nicht so sehr der geigerische Effekt, das Sportive oder das Zirzensische. Schon die Tatsache, dass hier ein Orchester mitspielt, wirkt der solistischen Egozentrik entgegen, die bei Paganini sonst oft dominiert.
    Wer bereit ist, Hörgewohnheiten über Bord zu werfen und sich auf Neues einlassen, wird seine Freude an diesem ungewöhnlichen Paganini-Album haben.

    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 24, (Orchesterbegleitung: Stephan Koncz)
    The New Paganini Project
    Niccolò Paganini
    Niklas Liepe, Violine
    Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
    Gregor Bühl, Leitung