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Paläogenetik
Ältestes menschliches Erbgut entziffert

Forscher haben die DNA von 400.000 Jahre alten menschlichen Knochen entziffert. Doch diese stimmt nicht - wie eigentlich erwartet - mit der von Neandertalern überein. Haben die Wissenschaftler eine weitere menschliche Population entdeckt?

Von Michael Stang | 05.12.2013
    "Wenn Sie mich vor drei, vier Jahren gefragt hätten, dann hätte ich gesagt: Das ist aussichtslos."
    Svante Pääbo sitzt in seinem Büro in Leipzig und ist bester Laune. Der Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie spricht über den neuen Rekord, den sein Paläogenetikerteam aufgestellt hat: Die Forscher haben das bislang älteste menschliche Erbgut entziffert. Es befand sich in einem Oberschenkelknochen, der in der berühmten Knochenhöhle „Sima de los huesos“ in Nordspanien ausgegraben wurde. Dies war kein leichtes Unterfangen, sagt auch der Hauptautor der Studie Matthias Meyer:
    "Diese Knochen sind so alt und die DNA in den Knochen so stark degradiert, dass die echte endogene DNA konsistent kürzer als 50 Basen ist."
    Zum Vergleich: Das gesamte menschliche Genom umfasst drei Milliarden Basenpaare. Um die gesuchten Erbgutfragmente aus den alten Knochen zu identifizieren, entwickelte Matthias Meyer ein Verfahren, bei dem er nur nach beschädigten, also chemisch abgewandelten, DNA-Fragmenten suchte. Denn nur kurze und lädierte Bruchstücke, so die Überlegung, können prähistorisch sein. DNA-Stücke heute lebender Menschen hingegen sind lang und unversehrt. Und die Max-Planck-Forscher hatten Glück. Sie konnten das alte mitochondriale Genom fast vollständig entziffern. Dieses ringförmige DNA-Molekül kommt in vielen Kopien pro Zelle vor und wird nur über die mütterliche Linie vererbt. Bei den Fossilien der 28 Individuen aus der Sima de los Huesos sind bislang alle Forscher davon ausgegangen, dass es sich um sehr frühe Neandertaler handelt, manche Wissenschaftler bezeichnen diese Funde auch als Homo heidelbergensis.
    "Die Grunderwartung war, dass wir uns quasi die frühesten Neandertaler anschauen."
    Aber diese Erwartung konnte Matthias Meyer nicht erfüllen - im Gegenteil.
    "Ja, zumindest die erste Sequenz, die wir jetzt bekommen haben, macht ein großes Fragezeichen dahinter."
    Denn die genetischen Ergebnisse zeigen, dass in der spanischen Höhle einst weder Neandertaler noch Vertreter von Homo heidelbergensis lebten. Aber um was für Menschen handelt es sich dann?
    "Was uns überrascht hat, ist, dass die ersten DNA-Sequenzen, die wir jetzt sehen, eine Ähnlichkeit zum Denisova-Menschen zeigen."
    Und das ist ein Ergebnis, welches weder Genetiker noch Anthropologen auf der Rechnung hatten. Bei den Denisova-Menschen handelt es sich um eine vor rund 40.000 Jahren ausgestorbene Menschenform, die mit den Neandertalern verwandt war, und bislang nur in einer Höhle in Sibirien nachgewiesen werden konnte. Nun tauchen mit den Denisova-Menschen eng verwandte Vertreter also schon viel früher auf - in Westeuropa.
    "Dieses Ergebnis wirft jetzt viele Fragen auf über die Herkunft des Denisova-Menschen und auch des Neandertalers. Es ist möglich, dass die Fossilien, die wir uns dort anschauen, die letzten Vorfahren von Neandertaler und Denisova-Menschen repräsentieren."
    Endgültige Gewissheit könne aber nur die Zellkern-DNA bringen, so Svante Pääbo. Zwar sei davon in der zwei Gramm schweren Knochenprobe nur noch verschwindend wenig Material vorhanden, jedoch gibt sich der schwedische Forscher optimistisch.
    "Aber wir werden durchaus, denke ich im nächsten Jahr oder in ein paar Jahren, einige Millionen Basenpaare bestimmen können, sodass wir eben diese Frage klären können: Ist das ein Vorfahre vom Neandertaler, vom Denisova-Mensch oder eine eigene Linie?"
    Hochrechnungen anhand fehlender Mutationen in den nun rekonstruierten DNA-Sequenzen ergaben auch, dass die Frühmenschenknochen aus Nordspanien rund 400.000 Jahre alt sind. Damit haben sich die Leipziger Paläogenetiker langsam an das Maximum alter DNA herangetastet, also jene Zeitgrenze, in der sich die winzigen Erbgutfragmente gerade noch nachweisen lassen - Stand heute, so Svante Pääbo.
    "Ich würde denken, dass wenn man jetzt nicht über Permafrost reden muss, also Sachen, die dauerhaft gefroren waren, dann ist vielleicht irgendwo zwischen einer halben Million und einer Million Jahren Schluss. Aber ich lasse mich gern, sozusagen, beweisen, dass ich falsch liege."