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Paläogenetik
Der sibirische Neandertaler

Paläogenetiker haben ein Neandertaler-Genom in höchster Qualität sequenziert. Sie analysierten einen Knochen, der 70 Prozent DNA enthielt. Dieser ermöglicht nicht nur Einblicke in die Familiengeschichte des Neandertalers, auch kann mit dem Material die Identität des heutigen Homo sapiens genetisch verstanden werden.

Von Michael Stang | 19.12.2013
    Eine Holztreppe führt in ein graues, mit zum Teil grünen Pflanzen bewachsenes Felsgebilde
    Eingang zur Denisova-Höhle in Sibirien (dpa/picture alliance/B. Viola)
    Die Denisova-Höhle in Sibirien könnte einer der Schmelztiegel der Menschheitsgeschichte sein, sagt Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig:
    "Irgendwann haben Neandertaler in der Denisova-Höhle gelebt, später dann Denisova-Menschen und später moderne Menschen natürlich. So, wenn man so will, ist das ein einzigartiger Platz in der Welt."
    Es sei schon eine verrückte Geschichte, so der Leiter des Neandertalergenomprojekts. In der kleinen Höhle im sibirischen Altaigebirge entdeckten russische Archäologen innerhalb von zwei Jahren zwei Knochen, die der Paläogenetik ein völlig neues Weltbild brachten. Zunächst war es ein kleiner Fingerknochen der Denisova-Menschen, die vor 40.000 Jahren lebten. Und jetzt entpuppt sich ein Fußknochen als Sensation, sagt Kay Prüfer, der aus dem Knochen das Erbgut gewonnen hat.
    "Der Fußknochen enthielt 70 Prozent DNA, die tatsächlich von einem Neandertaler war und mit so einem Knochen und mit so wahnsinnig vielen Fragmenten, die tatsächlich von einem Neandertaler stammen, war es uns dann möglich, das viel tiefer zu sequenzieren."
    Dieser neue Knochen enthielt trotz seines Alters von mehr als 50.000 Jahren noch sehr viele und sehr gut erhaltene DNA-Stücke. Die Qualität dieses alten Erbguts unterscheide sich kaum von dem eines heute lebenden Menschen, versichert Svante Pääbo:
    "Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir ein Neandertalergenom haben, das genauso gut ist wie ein Genom, das sich von mir bestimmen lassen würde."
    Eltern miteinander verwandt
    Und dieses Neandertalergenom ermöglicht völlig neue Einblicke in die Familiengeschichte unseres ausgestorbenen Vetters, so Kay Prüfer:
    "Eine der Analysen, die wir getan war anzuschauen, wie ähnlich die zwei Chromosomen sind, die der Neandertaler von seiner Mutter und seinem Vater vererbt bekommen hat und ein Ergebnis war, dass die zwei Chromosomen sehr viel ähnlicher waren, als wir das erwartet haben. Und das weist darauf hin, dass die Eltern miteinander verwandt waren, eng miteinander verwandt waren."
    Es waren keine Geschwister, sondern Cousin und Cousine, Onkel und Nichte, Tante und Neffe oder Halbgeschwister. Die exakte Konstellation können die Leipziger Forscher nicht bestimmen, aber es gibt ein paar Szenarien, die wahrscheinlich sind und erklären können, welche Art von Verwandtschaft vorliegt.
    "Eine Sache, die wir jetzt natürlich nicht sagen können anhand einfach nur dieser Beobachtung, ist, ob das ein kulturelles Phänomen ist oder ob es ein Phänomen ist, was einfach nur notwendig war, weil die zum Beispiel eine sehr kleine Gruppe hatten, die nur in Denisova gelebt hat oder so was. Das ist natürlich auch ein glaubwürdiges Szenario, es gab halt einfach keine anderen Möglichkeiten einen Partner zu finden. Das können wir leider nicht unterscheiden. Wir können das nur beobachten und dann drüber spekulieren, was da vielleicht in der Vergangenheit passiert ist."
    Welches Erbgut hat der moderne Mensch den Frühmenschen zu verdanken?
    Was die Forscher auch sehen können, ist, dass es viele Vermischungen gab, denn nun haben die Max-Planck-Forscher zwei Genome vorliegen, die sie mit dem Erbgut heutiger Menschen vergleichen können: die genetische Sequenz der Neandertaler und das Erbgut der Denisova-Menschen. Damit können die Genetiker prüfen, welche Bereiche des Erbguts die anatomisch modernen Menschen diesen beiden Frühmenschen zu verdanken haben. So lasse sich aber auch nachweisen, wo im Erbgut die Gene von Neandertaler und Denisova-Mensch eben nicht weitergegeben wurden, meint Svante Pääbo:
    "Das ist etwas, was man jetzt untersuchen muss, was die Varianten für Bedeutungen haben. Ein sozusagen kleines, gemeines Geheimnis in der Genomforschung ist ja, dass wir einfach sehr, sehr schlecht darin sind, anhand von einer Genomsequenz vorherzusagen, was für eine Bedeutung jede Variante hat, das können wir eigentlich in fast keinem Fall machen."
    Des Weiteren sind die Paläogenetiker nun in der Lage, anhand der Unterschiede dieser drei Genome einer Frage nachzugehen, die bislang zu beantworten unmöglich war. Sie können die Identität, das Menschsein des Homo sapiens, genetisch verstehen - eine Identität, die wir heute lebenden Menschen vermutlich auch dem Schmelztiegel Denisova-Höhle zu verdanken haben.
    Programmtipp: Wissenschaft im Brennpunkt am Sonntag, 22.12.2013, 16.30 Uhr: "Alle meine Ahnen - Das Erbe der Frühmenschen in uns" (Michael Stang)