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Paläontologen untersuchen Affenfossil
Endlich Klarheit im Stammbaum?

2011 entdeckten Arbeiter beim Bau einer Mülldeponie unweit von Barcelona fossile Knochen. Diese gehörten zu einem kleinen Tier, das vor mehr als elf Millionen Jahren lebte. Die wissenschaftliche Bearbeitung dauerte einige Jahre. Heute werden die Ergebnisse im Fachmagazin Science vorgestellt – und diese verändern die Sicht auf den Stammbaum der Affen.

Von Michael Stang | 30.10.2015
    Bonobos im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart, aufgenommen am 24.04.2015.
    Das Fossil gehörte zu einem etwa fünf Kilogramm schweren Affen, der mit rund 70 Kubikzentimetern schon ein erstaunlich großes Gehirn besaß und sich überwiegend von Obst ernährte. (picture-alliance / dpa / Benjamin Beytekin)
    Im Januar 2011 wühlten sich Bagger nahe Barcelona durch das Erdreich, um eine Mülldeponie zu bauen. In den Jahren zuvor waren dort bereits Fossilien von Dutzenden Säugetierarten entdeckt worden, die vor mehr als 10 Millionen Jahren im heutigen Katalonien lebten. Daher waren bei allen Baggerarbeiten Paläontologen zugegen, die nach Versteinerungen Ausschau hielten.
    "One of the members of the team spotted the main cranial fragment."
    Einer der Mitarbeiter habe dann ein Stück eines Schädels entdeckt, sagt David Alba. Der Paläontologe von der Autonomen Universität in Barcelona und seine Kollegen konnten bei der anschließenden Ausgrabung 70 Fragmente bergen. Sie alle gehören zu einem kleinen Primaten, der einen bislang unbekannten Ast im Stammbaum der Affen repräsentiert.
    "Diese neue Gattung gehört zu den Menschenartigen im Stammbaum der Affen. Dort gibt es einerseits die großen Menschenaffen, zum anderen die kleineren Gibbons. Diese neue Gattung ist aber mit keiner dieser beiden Gruppen nah verwandt. Das gibt uns Hinweise darauf, wie der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden Gruppen ausgesehen haben könnte."
    Ein schmächtiger, langarmiger Gibbon
    Das Fossil gehörte zu einem etwa fünf Kilogramm schweren Affen, der mit rund 70 Kubikzentimetern schon ein erstaunlich großes Gehirn besaß und sich überwiegend von Obst ernährte. David Alba und seine Kollegen gaben ihm den Namen Pliobates. Der Name ist eine Mischung aus Pliopithecus – dem vermutlichen Vorfahr aller Gibbons - und Hylobates - der Gruppe der kleinen Gibbons. Der Name Pliobates deutet zudem darauf hin, dass der gemeinsame Vorfahr von großen Menschenaffen - also Gorilla, Mensch, Schimpanse, Bonobo und Orang-Utan - und den Gibbons eben nicht, wie bislang vermutet, schon wie ein massiger Menschenaffe aussah, sondern eher wie ein schmächtiger, langarmiger Gibbon. Das Fossil sorgt weltweit für Aufsehen. Brenda Benefit von der New Mexico State University hat den Fund für das Fachmagazin Science kommentiert.
    "Wir wissen jetzt, dass es ein Lebewesen gab, das bestimmte anatomische Merkmale besaß, von denen wir uns nie hätten vorstellen können, dass diese in einem Skelett gemeinsam vorkommen. Es ist ein faszinierendes Skelett, an dem wir viele wichtige Details erkennen können, zudem ist es wunderbar erhalten."
    Es wartet noch viel Forschungsarbeit
    Doch Brenda Benefit warnt zugleich vor voreiligen Schlüssen. Denn einen gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Gibbons, so wie David Alba seinen Fund einordnet, sieht sie in dem neuen Fossil nicht.
    "Wir sind nicht vollkommen überzeugt. Wir gehen davon aus, dass auch andere Szenarien denkbar sind, etwa dass es ein alter Vorfahr der Gibbons ist. Genauso gut könnte es ein kleiner afrikanischer Menschenaffe sein, der es bis nach Europa geschafft hat und wie der Vorfahr der Menschenaffen aussah. Auch diese Vorstellung ist faszinierend. Aber wie dem auch sei, alle Theorien stimmen nicht zu 100 Prozent, da wartet noch viel Forschungsarbeit auf uns."
    Denn mit einem Alter von 11,6 Millionen Jahren ist Pliobates noch recht jung – manchem Experten zu jung, als dass er wirklich als gemeinsamer Vorfahr der Menschenartigen in Betracht kommt.
    Die Experten sind sich nur in einem Punkt einig: Die Biologie ist manchmal unberechenbar und die Evolution hält regelmäßig Überraschungen bereit. Dies zeigt auch, wie limitiert das Verständnis dieser Millionen Jahre andauernden Entwicklung trotz vieler Funde und moderner Methoden mitunter noch ist.