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Palästinenser-Versöhnung
Zwischen Hoffnung und Resignation

Es könnte ein historischer Schritt gewesen sein: In der letzten Woche haben hochrangige Vertreter der radikalislamischen Hamas sowie der Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Abbas ein Versöhnungsabkommen unterschrieben, das dem Bruderkrieg ein Ende setzen soll. Wie ist die Sicht der Bewohner im Gazastreifen?

Von Julio Segador | 18.10.2017
    Vertreter der beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah haben in Kairo ein Abkommen zur Versöhnung unterzeichnet.
    Vertreter der beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah haben in Kairo ein Abkommen zur Versöhnung unterzeichnet. (AP Photo / Nariman El-Mofty)
    Munir Etschahusche greift in die mit roten Äpfeln vollgefüllte Kiste. Gestern erst hat der Gemüsehändler das Obst bekommen. Er schüttelt den Kopf.
    Viele Äpfel haben braune Flecken, an manchen Stellen fault das Obst bereits. Fruchtfliegen schwirren in kleinen Wolken umher. Zweite, wenn nicht dritte Wahl seien die Äpfel, die ihnen die israelischen Großhändler überlassen, meint der 52-Jährige. Doch eine bessere Ware gebe es eben nicht.
    Munir Etschahusche hat seinen kleinen Laden im Zentrum von Gaza-Stadt, der einzigen Metropole im Gazastreifen. Der von den Palästinensern bewohnte Küstenstreifen leidet unter einer Wirtschaftsblockade durch Israel. Für die knapp zwei Millionen Bewohner in Gaza ist die Versorgung seither immer schwieriger geworden. Die Streitigkeiten zwischen den rivalisierenden Palästinenser-Organisationen Hamas und Fatah tun das Übrige. Die Region hat zum Teil nur noch wenige Stunden Strom am Tag, was sich auch auf die Wasserversorgung auswirkt. Obsthändler Munir Etschahusche ist frustriert.
    "Wir haben kaum Strom, viele Leute sind arbeitslos. Und das hat dazu geführt, dass die Kaufkraft nachgelassen hat. Ich habe weniger Kunden. Und durch die kritische Stromversorgung funktionieren die meisten Kühlschränke nicht. Wenn, kaufen die Leute nur noch kleine Mengen ein."
    Lebensmittelpreise sind für die meisten zu hoch
    Gaza-City bietet ein eigenartiges Bild. Pferdekarren sind auf den nur zum Teil asphaltierten Straßen genauso Verkehrsteilnehmer wie in die Jahre gekommene Pkw und topmoderne SUV´s. Vor den Geschäften herrscht meist wuselige Betriebsamkeit. Gekauft wird aber eher nur selten. Nur wenige können sich die stolzen Preise für die Waren aller Art leisten.
    Auch für Asem Taruk wird es immer schwieriger, in Gaza über die Runden zu kommen. Zumindest geht an diesem Tag der Aufzug, der Strom wurde noch nicht abgeschaltet. Oft genug müssen er, seine Frau und die vier Kinder zu Fuß in den 12. Stock.
    Asem Taruk hatte eigentlich im Gesundheitsministerium eine gute Arbeit. Als die radikalislamische Hamas die Fatah-Partei aus Gaza verjagte, verlor er die Stelle. Nun jobbt er nachmittags in einer Apotheke. Er muss sich durchschlagen, um in Gaza über die Runden zu kommen. Der 42-Jährige ist zutiefst frustriert.
    "Die Lage ist katastrophal. Durch die Blockade ist die Versorgung kritisch. Wir können nicht reisen, und seit April hat sich die Situation drastisch verschlechtert. Die Wirtschaftslage wird immer schwieriger. "
    Neue Hoffnung im Gazastreifen
    Im April hat Palästinenser-Präsident Mahmut Abbas die Daumenschrauben angezogen, und im Gaza-Streifen die Stromversorgung massiv gekürzt. Auf diese Weise will er die Hamas unter Druck setzen. Eine Taktik, mit der der greise Palästinenser-Präsident Erfolg zu haben scheint. Der radikalislamische Palästinenserflügel hat der Fatah-Partei von Mahmud Abbas die Hand gereicht. Ein Versöhnungsangebot, aus dem in Gaza viele Menschen nun Hoffnung schöpfen. Auch Asem Taruk.
    "Das ist die einzige Aussicht auf eine bessere Zukunft. Ich hoffe, dass sich alles ändert, wenn die Grenzen wieder auf sind. Das würde sicher unsere Lebensverhältnisse verbessern. Und unsere Kinder hätten endlich wieder eine Perspektive. "
    Besuch bei Achmed Jousef. Er gehört seit geraumer Zeit der Führungsriege der radikalislamischen Hamas an. Mehrmals räumt er im Gespräch ein, dass Hamas und Fatah – beide Palästinenser-Organisationen – ihre Bevölkerung enttäuscht hätten. Nun wolle man gemeinsam vorangehen, und die Kräfte bündeln.
    "Wir haben als Palästinenser den Glauben an uns und an unseren Kampf verloren. Ebenso die Unterstützung anderer arabischer Staaten. Wir haben fast alles verloren; der einzige Gewinner nach zehn Jahren Bruderkrieg ist Israel. Deshalb sind wir auch auf die Fatah-Partei zugegangen. Nur so können wir die palästinensische Einheit wiedererlangen. "
    Bis Dezember soll die Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Abbas wichtige Bereiche der Verwaltung übernehmen, die Grenzsicherung und auch die Polizeigewalt. Einen Schritt aber lehnt die Hamas ab. Sie will ihre Waffen nicht abgeben. Die berüchtigten Kassam-Brigaden, die schon drei Mal gegen Israel Krieg führten, wehren sich gegen ihre Entwaffnung. Eine Ankündigung, die Hamas-Funktionär Achmed Jousef unterstützt.
    "Wir haben das Recht, diese Waffen zu unserer Verteidigung zu tragen. Wir wollen uns erneuern, und müssen uns wehren. Schließlich ist die Aggression gegen die Palästinenser Teil der israelischen Agenda. Dieser Punkt steht gar nicht zur Verhandlung, weder in Gaza noch im Westjordanland. Wir haben das Recht, uns zu verteidigen. "
    Frieden: Weiter keine Lösung in Sicht
    Eine Haltung, die eine Lösung im Nahost-Friedensprozess deutlich erschwert. Das israelische Sicherheitskabinett unter Vorsitz von Ministerpräsident Netanjahu hat bereits reagiert und angekündigt, nicht mit den Palästinensern zu verhandeln, wenn die Hamas Teil der palästinensischen Regierung ist.
    Asem Taruk, der als Apothekenhelfer inzwischen versucht über die Runden zu kommen, sieht sich angesichts dieser Diskussion bestätigt. Die Menschen im Gazastreifen sind ein Spielball unterschiedlichster Kräfte und Interessen. Und die Verlierer dieser Entwicklung sind für ihn die Kleinsten.
    "Sie sind die eigentlichen Opfer dieses internationalen Konfliktes. Die Kinder sind die größten Verlierer."