Donnerstag, 25. April 2024

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Palmyra
"Diese Befreiung ist für uns ein schlechtes Theaterstück"

Der syrische Präsident Baschar al-Assad stelle sich derzeit als Befreier der antiken Oasenstadt Palmyra dar, sagte der Oppositionelle Sadiqu al-Mousllie im DLF. Dem sei aber nicht so: Vielmehr sei die Stadt vorher der Terrormiliz "Islamischer Staat" überlassen worden. Assad brauche den IS, um besser dazustehen.

Sadiqu al-Mousllie im Gespräch mit Sandra Schulz | 30.03.2016
    Sadiqu Al-Mousllie im schwarzen Sakko und weißem Hemd vor einem Türeingang mit arabischen Schriftzügen. Er blickt in die Kamera.
    Al-Mousllie: "Der Rückenwind für Assad ist aus unserer Sicht etwas künstlich." (dpa / Stefan Jaitner)
    Der Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland betonte, um Palmyra sei Wüste. Damit wäre es ein leichtes gewesen, den IS bei dem Rückzug zu bombardieren - das sei aber nicht geschehen. "Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu", sagte al-Mousllie. Zwischen Assad und der Terrormiliz sei es ein Geben und Nehmen. Dass er Palmyra dem IS zunächst überlassen habe, diene zur Verwischung eigener Spuren: "Palmyra gilt als schrecklicher Ort mit dem schrecklichsten Gefängnis in Syrien."
    Al-Mousslie sagte weiter, in vielen Orten Syriens sei die humanitäre Lage weiter schlecht, weil die UNO-Resolution vom Regime nicht umgesetzt werde. Es gebe nur sehr spärlich Hilfe in belagerten Orten, "um die Leute weiter unter Druck zu setzen."
    In Genf findet heute eine Konferenz zur Verbesserung der Aufnahme syrischer Flüchtlinge statt. al-Mousllie betonte, wichtig sei stattdessen, die Fluchtursache zu bekämpfen, und das sei die Aggression des syrischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung. Man müsse endlich über das Schicksal von Assad sprechen.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon begrüße ich Sadiqu al-Mousllie den Vorsitzenden der Initiative für Bürgerrechte in Syrien und Mitglied im oppositionellen Syrischen Nationalrat, wir erreichen ihn in Braunschweig. Welche Signale müssen heute aus Genf kommen.
    Sadiqu Al-Mousllie: Eigentlich hoffen wir, dass es politische Signale sind. Aber da wir ja wissen, dass es eher um die Umverteilung der Flüchtlinge geht, erwarten wir dann diese politischen Signale nicht. Wir hoffen natürlich, dass die Ursache, die Fluchtursache ausgeschaltet wird. Die Fluchtursache ist nun mal der Konflikt in Syrien, die Aggression des syrischen Regimes auf die eigene Bevölkerung, und das gilt es zu überwinden.
    Schulz: Welche Kontakte haben Sie jetzt in welche Teile des Landes?
    Al-Mousllie: Wir haben durch unser Netzwerk mehrere Kontakte, sowohl in der Hauptstadt, aber auch im Norden des Landes, und wir hören immer wieder, dass die Lage schwieriger wird in manchen Orten, weil auch nicht mal die UNO-Resolution, die verabschiedet worden ist, 22/54 wirklich auch umgesetzt wird. Das sind die drei Punkte 12, 13, und 14, die auch belagerten Orten noch mal humanitäre Hilfe zukommen lassen sollen. Das wird immer noch vom Regime unterbunden beziehungsweise sehr spärlich gemacht, um eben die Leute weiterhin unter Druck zu setzen. Und das macht und schafft nicht die Rahmenbedingungen wirklich für eine erfolgreiche Verhandlung in Genf.
    "Eine richtige Feuerpause kann man das nicht nennen"
    Schulz: Und wie schätzen Sie das ein, was offiziell immer noch Feuerpause genannt wird nach Ihren Informationen? Schweigen die Waffen zumindest teilweise?
    Al-Mousllie: Das ist eben das Interessante an der ganzen Geschichte. Wenn die von Feuerpause sprechen, sprechen wir aber auch wirklich von über 700 Brüchen in der Zeit, 47 davon von den russischen Luftangriffen, und der Rest ist vom Regime. Das heißt, eine richtige Feuerpause kann man das nicht nennen. Aber trotzdem ist es gut genug und ausreichend für die Syrer, rauszugehen und zu demonstrieren. Wir haben beispielsweise am letzten Freitag in mehr als 500 Orten Demonstrationen gesehen und gehört, und das gibt der syrischen Revolution noch mal dieses friedliche Aussehen. Es ist nicht nur militärisch, wie man das leider Gottes auf der internationalen Bühne auch gern wahrnimmt.
    Schulz: Es gab aber ja auch ganz erheblichen Rückenwind eben für den syrischen Machthaber Assad nach der Befreiung Palmyras vom IS jetzt am Wochenende. Was heißt das für die Opposition?
    Al-Mousllie: Dieser Rückenwind ist aus unserer Sicht etwas künstlich, denn diese Befreiung ist aus unserer Sicht einfach ein schlechtes Theaterstück, was auch so gespielt worden ist von dem syrischen Regime Assad und auch Russland. Wir haben schon von vornherein gesehen, wie der IS überhaupt in Palmyra reingegangen sind, und wir haben auch schon Leute, Dissidenten, die auch ganz klar Zeugnis abgelegt haben und gesagt haben, dass das syrische Regime bewusst Orte geräumt hat beziehungsweise Palmyra geräumt hat für den IS, um eben das auch noch auszunutzen. Wir dürfen auch hier eines nicht vergessen: Palmyra gilt als ein Ort, ein schrecklicher Ort mit dem schrecklichsten Gefängnis in Syrien überhaupt, und all das, was hier auch der IS veranstaltet hat, begangen hat an Massengräbern vielleicht auch, hat das Assad-Regime schon seit Jahrzehnten in Palmyra gemacht. Aus unserer Sicht ist das eine Verwischung der Spuren, mehr nicht.
    "Künstlich ist hier, dass man etwas feiert, was man selbst verursacht hat"
    Schulz: Herr al-Mousllie, aber erklären Sie uns das noch genauer, wenn Sie sagen, das ist jetzt ein Theaterstück. Es ist doch das Signal, dass die Truppen von Assad, dass die syrischen Truppen, Palmyra befreit haben. Was ist daran künstlich?
    Al-Mousllie: Künstlich ist hier, dass man etwas feiert, was man selbst verursacht hat. Wir wissen, dass Assad und der IS zusammengearbeitet und kooperiert haben, schon seitdem es den IS überhaupt gibt. Es gibt Orte, die bewusst nicht bombardiert wurden. Das heißt, Assad hat vom IS profitiert, und so gab es ein Geben und Nehmen, und so investiert quasi Assad jetzt noch mal. Was erlaubt worden ist in Palmyra, dass sie reingehen, die IS-Truppen, sagt er jetzt noch mal, okay, wir gehen jetzt noch mal rein, und er stellt sich als der große erfolgreiche Befreier von Palmyra dar. Aber die Tatsache ist nicht so, und man muss wirklich auch eines sagen: Wenn jetzt die IS-Kämpfer in Palmyra gewesen sind – das ist ja eine große Wüste – warum sind sie eigentlich auf dem Rückzug überhaupt nicht bombardiert worden? Wenn wir jetzt, auch wenn Russland sogar und Herr Putin davon sprechen, dass das ein großer Erfolg gegen den IS sei – also hier läuft irgendwas nicht mit rechten Dingen.
    "Der IS existiert überhaupt erst durch Assad"
    Schulz: Das haben Sie jetzt schon häufiger gesagt, dass es diese, was auch immer, stillschweigende Zusammenarbeit zwischen Assad und dem IS gibt, das sieht der Westen ja gänzlich anders. Der sieht nach wie vor im IS eine große Gefahr, eine ganz andere Gefahr als in Assad. Und ist es nach dieser Entwicklung nicht so, dass schlichtweg im Westen sich auch die Überzeugung breit macht und Assad es geschafft hat, dass an ihm jetzt keiner vorbei kommt?
    Al-Mousllie: Nein. Ich darf hier korrigieren: Der Westen sieht es schon realistisch. Wir haben es immer wieder gehört, dass die Gründe dafür, dass der IS überhaupt existiert, ist Assad und die Assad-Unterdrückung und die Reaktion Assads auf die Forderungen der Bevölkerung. Wir stellen hier nicht die Gefahr des IS infrage. Der IS ist gefährlich, keine Frage, das möchten wir auch hier noch einmal unterstreichen. Aber wir sind auch der Meinung, dass der IS überhaupt erst durch Assad existiert und Assads Unterdrückung und Assads gewalttätige Reaktion auf die Bevölkerung. Das heißt, wenn wir diese unterbinden, werden wir auch auf jeden Fall die Möglichkeit haben, den IS noch mal zurückzudrängen. Nur, solange Assad noch schalten und walten kann mit der Unterstützung von Russland, dem Iran und auch seinen Unterstützern sonst, wird der IS weiter existieren, weil es einfach eine essenzielle – es ist ein Bedarf für Assad, den IS da zu haben, um besser dazustehen. Und dafür investiert er jetzt.
    Schulz: Herr Al-Mousllie, hatten Sie denn den Eindruck, dass Assad jetzt in der jüngeren Vergangenheit noch mal stärker unter Druck gekommen ist, also gerade mit Blick auf die Gespräche, die in Genf ja Ende nächster Woche laufen sollen? Da stellt Russland jetzt noch mal klar, wir sprechen gar nicht über diese Vorbedingung, dass Assad weg muss. Der Mann ist doch jetzt stärker da als in den letzten Wochen und Monaten.
    Al-Mousllie: Assad ist aus meiner Sicht nicht stärker. Er agiert jetzt etwas anders, weil die Russen auch erkennen, dass sie nicht ohne Weiteres länger in Syrien bleiben können. Denn die Lage, wie sie jetzt ist, wird entweder in eine Richtung eskalieren, dass man die Opposition unterstützt am Ende, und dann ist Russland in einer Lage, die sehr schwierig ist, weil sie haben nicht viele Truppen auf dem Boden, aber sie können sehr viel von oben agieren, das heißt, mit Luftangriffen. Und das setzt Assad wieder unter Druck, weil irgendwann mal werden die arabischen Partner, in diesem Fall Saudi-Arabien oder vielleicht auch die Türkei, oder auch die USA werden dann erkennen, sie müssen die Opposition unterstützen. Die andere Sache, wenn das nicht dazu käme, wird man dann auch Assad dazu zwingen, dann in Verhandlungen zu gehen. Und Assad weiß, sobald ich in Verhandlungen reingehe, ist die politische Übergangsphase und das Übergangsregierungskomitee auf jeden Fall da. Und damit soll es so sein, dass er nicht ein Teil davon ist. Und das versucht er bis jetzt zu vermeiden, leider Gottes erfolgreich durch die russische Unterstützung. Und dieses Statement, was ja vor zwei Tagen kam, dass wir nicht über Assads Schicksal sprechen wollen, das untergräbt die Verhandlungen beziehungsweise das Abkommen in Genf I. Und darauf kann sich die Opposition nicht einlassen.
    Schulz: Sadiqu al-Mousllie, der Vorsitzende der Initiative für Bürgerrechte in Syrien und Mitglied im oppositionellen Syrischen Nationalrat, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.