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"Papierkrieg" zwischen Argentinien und Uruguay

Die beiden "Bruderländer" Argentinien und Uruguay pflegen tradiotionell eine gute Beziehung, doch nun sprechen die Präsidenten beider Länder nicht mehr miteinander. Der Bau einer Zellulose-Fabrik bringt die Bewohner an der gemeinsamen Grenze gegeneinander auf. Victoria Eglau war für uns an der Grenze zwischen Argentinien und Uruguay.

24.03.2007
    Argentinien und Uruguay sind Nachbarstaaten, manche sprechen sogar von "Bruderländern". Über den Río de la Plata und den Río Uruguay hinweg pflegen das große Argentinien und das kleine Uruguay traditionell gute Beziehungen. Die Argentinier fahren im Sommer mit Vorliebe an die schönen Strände des Nachbarlandes, und die Uruguayer besuchen gerne mal die Metropole Buenos Aires.

    In der letzten Zeit jedoch ziehen sich Risse durch das freundschaftliche Verhältnis. Der Bau einer riesigen Zellulose-Fabrik in Uruguay, direkt am Grenzfluss, hat einen heftigen Streit ausgelöst. Die Präsidenten beider Länder reden nicht miteinander, bei den Menschen auf beiden Seiten wächst der Unmut. Die Fronten sind so verhärtet, dass der König von Spanien, Juan Carlos, einen Vermittler entsandt hat. Voraussichtlich im April soll bei Gesprächen in Madrid eine vorsichtige Annäherung versucht werden.

    Gualeguaychú, eine argentinische Kleinstadt an der Grenze zu Uruguay. Es ist Sommer, Touristen und Einheimische schlendern die Flusspromenade entlang. Gualegaychú liegt an einem Nebenarm des Grenzflusses Río Uruguay. In Argentinien ist der Ort für seinen prächtigen Karneval bekannt, seit kurzem aber auch für den Widerstand seiner Bewohner gegen eine Zellulose-Fabrik, die 30 Kilometer entfernt in Uruguay von einem finnischen Investor gebaut wird. Zellulose ist der Grundstoff der Papierherstellung. "Nein zu den Papierfabriken" steht in Gualeguaychú auf T-Shirts und Plakaten, der Slogan klebt an fast jeder Windschutzscheibe und hängt in den Schaufenstern der meisten Geschäfte.

    Arroyo Verde, grüner Teich, heißt die Stelle, an der Fabrik-Gegner aus Gualeguaychú Tag und Nacht die Straße nach Uruguay blockieren. Weder LKWs noch Touristen lassen sie durch, der Grenzübergang auf der Brücke ist seit Ende November quasi außer Betrieb. Auch die anderen zwei Brücken, die beide Länder verbinden, werden immer wieder blockiert. Am grünen Teich stehen Zelte und ausrangierte Busse auf der Straße. Argentinische Fabrik-Gegner sitzen auf Klappstühlen und trinken Mate-Tee. Silvia, eine Hausfrau, kommt regelmäßig hierher, um den Protest gegen die Zellulose-Fabrik zu unterstützen.

    "Die Papierfabrik soll verschwinden, wir wollen sie hier nicht. Die haben das Abkommen über den Uruguay-Fluss verletzt. Der Fluss gehört beiden Ländern: Uruguay und Argentinien. Sie sind einfach gekommen, ohne zu fragen. Hier liegt doch die Zukunft unserer Kinder und Enkel. "

    Silvia und ihre Mitstreiter sind überzeugt, dass die Fabrik am anderen Flussufer das Wasser und die Luft verschmutzen wird. Sie haben Angst vor saurem Regen, vor einer Zerstörung der Natur, und sie fürchten Schäden für Landwirtschaft, Tourismus und für ihre Gesundheit.

    Alejandra, eine junge Lehrerin:
    ''Es mag sehr fundamentalistisch klingen, wenn wir sagen: Nein zur Papierfabrik. Manche werfen uns vor, dass wir gegen den Fortschritt sind. Andere fragen, ob wir wollen, dass die Menschen auf Holzstückchen schreiben. Meiner Meinung nach sollte Fortschritt wirklich der Menschheit zugute kommen. Hier geht es aber nur um einen höheren Lebensstandard für wenige Leute. Wir in den Entwicklungsländern müssen es ertragen, dass sie hierher kommen, all den Abfall abladen und die Umwelt verschmutzen - damit die Erste Welt Papier im Überfluss konsumieren kann. "

    Ursprünglich sollten auf der anderen Seite des Uruguay-Flusses sogar zwei riesige Anlagen zur Zellulose-Gewinnung gebaut werden. Im vergangenen Jahr stellte der spanische Investor ENCE allerdings die Arbeiten ein - möglicherweise unter dem Eindruck der argentinischen Proteste. Fabrik-Gegnerin Alejandra verteidigt die Blockade der Brücke nach Uruguay:

    "Sie richtet sich gegen die Regierung Uruguays, gegen unsere eigene Regierung und das finnische Unternehmen. Gegen das uruguayische Volk haben wir nichts. Das Problem ist, dass es kein anderes Instrument gibt, das uns nutzen würde. Nur durch die Blockade ist man auf uns aufmerksam geworden. "

    Viele Argentinier fühlen sich solidarisch mit dem Kampf gegen die Zellulose-Fabrik. Die Form des Protestes ist jedoch umstritten. Präsident Nestor Kirchner lässt die Blockade der Grenzübergänge geschehen, weswegen sein uruguayischer Kollege Tabaré Vázquez zu Verhandlungen nicht bereit ist. Durch den Streit um die Zellulose-Fabrik sind die beiden südamerikanischen Nachbarstaaten in eine schwere diplomatische Krise gerutscht. Der argentinische Senator Rodolfo Terragno von der Oppositionspartei UCR bedauert dies:

    "Es ist richtig, dass Uruguay mit dem Bau der Zellulose-Fabriken begonnen hat, ohne sich an das Abkommen über den Uruguay-Fluss zu halten. Aber es stimmt auch, dass sich in Argentinien bezüglich der Zellulose-Fabrik eine Psychose entwickelt hat. Die Anlage wird zur Bleichung des Zellstoffes auf jeden Fall die so genannte elementar-chlorfreie Technologie einsetzen, die auch in den USA, in Kanada und Europa verwendet wird. Und hier glaubt man, dass das eine unerprobte Technologie ist, mit der in der Dritten Welt herum experimentiert wird. "

    Der Senator kritisiert die Regierung Uruguays, weil sie den Bau der Zellulose-Fabrik am Grenzfluss genehmigt habe, ohne Argentinien in die Entscheidung einzubeziehen. Doch er kritisiert auch eine inkohärente Politik der argentinischen Regierung.

    "Argentinien hat gegen die Fabrik nicht protestiert und das Problem nicht einmal wahrgenommen, bis der Widerstand in Gualeguaychú begann. Als der Konflikt dann da war, hat die argentinische Regierung zur Blockade der Grenzübergänge angespornt: eine sehr bedenkliche Maßnahme. "

    Auf der Brücke, die Gualeguaychú mit dem uruguayischen Ort Fray Bentos verbindet, herrscht eine gespenstisch anmutende Stille. Der Uruguayer Roberto Díaz hatte hier eine Firma, die Zollformalitäten erledigte - wegen der Blockade ist er seit Monaten ohne Arbeit.
    "Leider haben wir es hier mit Nationalismus zu tun. Wir haben das Gefühl, dass wir in der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur der kleine Bruder sind, und dass der große Bruder Argentinien verärgert ist, weil wir etwas haben, das er gerne hätte. "

    Der Stein des Anstoßes, die Zellulose-Fabrik am uruguayischen Flussufer, soll in der zweiten Jahreshälfte den Betrieb aufnehmen. Im Ort Fray Bentos ist man glücklich über die 1,4 Milliarden Dollar-Investition. Rund 4.000 Menschen sind auf der Baustelle tätig.

    "Die Leute sehen die fast fertige Fabrik und haben ein sehr gutes Gefühl. Sie sind froh über den wirtschaftlichen Aufschwung und die gestiegene Lebensqualität, "

    sagt Omar Lafluff, der Bezirksverwalter. Froh ist hier allerdings keiner über den gesperrten Grenzübergang. Lafluff spricht von Millionenverlusten in seinem Bezirk und kritisiert Argentiniens Regierung für ihre Untätigkeit. Auch Alicia Torres, die Leiterin der Nationalen Umweltdirektion Uruguays, hat kein Verständnis für die Blockaden. Für sie ist alles im grünen Bereich: Der finnische Zellulose-Hersteller verwende die Technologie, die auch in Europa vorgeschrieben sei, und ihre Behörde werde ständige Luft- und Wasserkontrollen durchführen. Wenn die Blockaden aufgehoben würden, könne man auch über eine Zusammenarbeit am Uruguay-Fluss verhandeln. Einen binationalen Plan zur Überwachung der Auswirkungen der Zellulose-Fabrik fordert der argentinische Oppositions-Senator Rodolfo Terragno. Der Dialog, der jetzt aufgenommen werden soll, ist für ihn längst überfällig:

    "Es ist unerhört, dass ein Vertreter des Königs von Spanien kommen muss, damit die Präsidenten Argentiniens und Uruguays miteinander reden! Ich kann einfach nicht verstehen, wieso es zwischen Buenos Aires und Montevideo kein rotes Telefon gibt! "

    Die nächsten Wochen werden zeigen, ob mit spanischer Hilfe eine Lösung im Konflikt zwischen Argentinien und Uruguay gefunden werden kann. Carlos Girardón, ein Restaurantbesitzer aus Fray Bentos, würde es sich wünschen:

    "Am meisten schmerzt, dass wir einmal ein sehr gutes Verhältnis zu den Menschen in Gualeguaychú, zu den Argentiniern hatten. Und jetzt erzählen sie dort drüben den Kindern, dass wir sie vergiften und ihre Umwelt zerstören wollen. Die haben jetzt ein sehr schlechtes Bild von uns, und sie werden es noch lange behalten, auch wenn diese Generation erwachsen wird. Wir haben uns mal gut verstanden, wir waren wirklich Brüder.