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Seevogelpopulation
Trottellummen auf alten Fotografien

Für die Trottellumenpopulation auf der schwedischen Insel Stora Karlsö gibt es seit etwa zehn Jahren systematische Zählungen. Bei Fotografen ist die Insel sehr beliebt: Deshalb haben Forscher nun alte Fotografien ausgewertet, um die Populationsentwicklung der vergangenen 100 Jahre nachzuvollziehen - mit überraschenden Ergebnissen.

Von Lucian Haas | 22.03.2016
    Trottellummen.
    Auf alten Fotografien haben Forscher die Population von Trottellummen nachgezählt. (imago/Nature Picture Library)
    Stora Karlsö ist eine Insel vor der Ostküste Schwedens. Seit 1880 steht sie unter Naturschutz. An den steilen Küstenfelsen brütet die größte Population von Trottellummen in der Ostsee. Trottellummen sind Seevögel, die nur fürs Brüten zeitweilig an Land kommen. Die großen Massen an Trottellummen auf Stora Karlsö sind eine Attraktion für Touristen. Deshalb gehören zur Klangwelt der Insel nicht nur die vielen Vogelrufe, sondern auch solche Geräusche:
    Verschiedenes Kameraklicken.
    "Wenn die Touristen nach Stora Karlsö kommen und all diese brütenden Vögel sehen, sind sie ganz begeistert. Viele zücken ihre Kamera und machen dann ein Foto. Das geht Tag für Tag so, Jahr für Jahr. Wir kamen dann auf die Idee, solche Fotos zu sammeln."
    Jonas Hentati-Sundberg ist Biologe an der Universität von Stockholm. Seit Jahren erforscht er gemeinsam mit Kollegen die Entwicklung der Trottellummen-Population auf Stora Karlsö. Aus den vergangenen zehn Jahren gibt es genauere Vogelzählungen, doch es fehlten historische Vergleiche. Da die Touristen fast immer dieselben Brutfelsen von ähnlichen Standpunkten aus fotografieren, dachte sich Jonas Hentati-Sundberg, dass es auch ältere Bilder dieser Motive geben müsste.
    "Zum größten Teil suchten wir in Bildarchiven und Museumssammlungen in Schweden. Viele der früheren Besucher von Stora Karlsö waren echte Fotografen und Filmemacher. Sie haben ihre Bilder in Archiven hinterlassen. Manchmal ging es aber auch über direkte Kontakte. Ich suchte nach Kindern oder Enkeln früherer Fotografen und bekam über sie auch Zugriff auf einige private Fotokollektionen."
    Nachforschungen dauerten fünf Jahre
    Fünf Jahre dauerten die Nachforschungen. Am Ende hatte der Forscher 113 gut verwertbare, das heißt, ausreichend scharfe Bilder aus den Jahren 1918 bis 2005 beisammen. Alle zeigen den größten Brutfelsen von Stora Karlsö und die darauf hockenden Trottellummen.
    "Interessanterweise hatten gerade einige der ältesten Bilder eine besonders gute Qualität. Unser Auswahlkriterium war, dass man auf den Bildern die einzelnen Vögel erkennen und sie in verschiedenen Teilbereichen der Brutfelsen zählen kann."
    Das Ergebnis ist zum Teil auch für die Forscher verblüffend. Zum einen machen die Bilder deutlich: Noch nie in den vergangenen 100 Jahren gab es so viele Trottellummen auf Stora Karlsö wie heute. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Population gerade mal ein Fünftel der aktuellen Größe – eine Folge der bis ins späte 19. Jahrhundert noch üblichen Jagd auf die Seevögel. Seither wuchs die Zahl der Brutpaare, wenn auch nicht konstant.
    "In den 1960er und 70er gab es noch einen Rückgang. Wir sehen hier einen Zusammenhang mit den heute verbotenen Umweltgiften wie DDT und PCB. Bisher war nur bekannt, dass diese Giftstoffe zum Rückgang der Populationen von Seeadlern und Kegelrobben in der Ostsee beitrugen. Unsere Daten ergänzen das Bild solcher negativen Effekte während dieser Zeit."
    In den vergangenen Jahren ist die Trottellummen-Population auf Stora Karlsö alljährlich um rund fünf Prozent gewachsen. Dieser Höhenflug wirft für Jonas Hentati-Sundberg noch ein Rätsel auf.
    "Interessanterweise brüten die Trottellummen rund um die Arktis. An den meisten anderen Orten schrumpfen allerdings die Kolonien dieser Vögel. Die steigende Population in der Ostsee scheint ein besonderer Fall zu sein. Wir sind deshalb sehr interessiert daran, herauszufinden, welche besonderen Bedingungen zum Wachstum beitragen und wie lange das noch weitergehen kann."
    Jonas Hentati-Sundberg vermutet einen Zusammenhang mit der Fischereipolitik. Reduzierte Fangquoten für Hering und Sprotten in der Ostsee könnten dafür gesorgt haben, dass die örtlichen Trottellummen heute wieder mehr Futter finden. Zudem ist seit 2008 die Treibnetzfischerei in der Ostsee verboten. Früher sind viele Trottellummen beim Tauchen in diese Netze geraten und darin verendet.