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Parabel von Bodo Kirchhoff
Kreuzfahrt mit Einschränkungen

Eine Einladung zu einer Karibik-Kreuzfahrt, bei freier Kost und Logis - klingt verlockend, auch für einen weit gereisten Schriftsteller, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem preisgekrönten Autor Bodo Kirchhoff hat. Dessen Erzählung "Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt" offenbart: Die Sache hat einen Haken.

Von Martin Krumbholz | 25.07.2017
    Buchcover Bodo Kirchhoff: Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt u. der Autor
    Bodo Kirchhoff verfasst in seiner Erzählung eine gut 100-seitige Antwort auf die Einladung einer Reederei. (Frankfurter Verlagsanstalt / dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt - es ist niemals gutzumachen, heißt es bei Kafka, und nun ersetzen Sie einfach Nachtglocke durch Schiffsglocke, und alles, was mir durch den Kopf geht im Hinblick auf diese Kreuzfahrt, findet sich in nur einem Satz.
    Er setzt sich also hin, der Herr Schriftsteller, und verfasst eine gut 100-seitige Antwort-E-Mail auf das Ansinnen der Frau Faber-Eschenbach von der Hamburger Reederei, die jene Reise veranstaltet, und das ist die vorliegende Erzählung. Hier werden sämtliche Hindernisse reflektiert, die mit der auf den ersten Blick so komfortablen Einladung einhergehen, und siehe da: Die Sache ist vertrackt.
    Denn, wer hätte das gedacht, das großzügige Angebot ist an Bedingungen geknüpft, die in einem 18-seitigen Mail-Anhang aufgelistet sind. Es ist nicht damit getan, dass dem Gratis-Reisenden, also dem Gastkünstler "öffentliche Kritik an dem Schiff und der Reise" untersagt ist; das könnte man mit der gängigen Maxime, einem geschenkten Gaul schaue man nicht ins Maul, noch hinnehmen. Nein, es gehört tatsächlich zu den "Absoluten Verboten", der Gast dürfe
    "… weder durch entschieden moralische noch unmoralische Äußerungen während der ganzen Reise auffallen."
    "Edutainer" statt Moralist an Bord gewünscht
    Weder moralische noch unmoralische Äußerungen? Jedenfalls nicht entschieden? Das ist ein starkes Stück. Hier hätte man fast Verständnis (und wir sind erst auf Seite 43 von gut 100 Seiten), wenn der umworbene Autor sich nicht nur zierte, sondern sich regelrecht empörte; denn die moralische - zu schweigen von der unmoralischen - Äußerung gehört, sollte man meinen, zum Wesenskern jedes ernst zu nehmenden Literaten.
    Doch unser Ich-Erzähler bewahrt die Contenance; er begreift, dass er an Bord nicht als Moralist, sondern allenfalls als "Sprachlieferant", offiziell auch als "Edutainer" gefragt ist. Ein Edutainer, welch herrliche Wortschöpfung, ist eine Kombination aus Erzieher und Unterhalter, und die semantische Nähe zur Profession der Erzieherin in einer Kita mag nicht von ungefähr sich einstellen. So langsam nimmt die Sache die Form eines Albtraums an:
    "Traum und Albtraum (…) mischen sich in der Schriftstellerbrust, in der meinen ganz bestimmt - was ich in der Regel für mich behalte, aber Ihnen gegenüber scheint mir Offenheit geboten."
    Das Wohlbehagen der zahlenden Passagiere soll nicht leiden
    Denn, auch das zeichnet sich ab und gibt dem Schreiben eine gewisse charmante Balance, der Verfasser macht seiner prospektiven Gastgeberin Susanne Faber-Eschenbach auch ein wenig den Hof. Sie zu brüskieren, ist nicht seine Absicht, im Gegenteil. Er legt seine Bedenken und Einwände in einer eher zurückhaltenden Form dar. Dennoch schält sich immer deutlicher die Einsicht heraus: Man will den Schriftsteller mit dieser Einladung seines Wesenskerns berauben, man will ihn, brutal gesagt, korrumpieren.
    Man will sich mit seiner Präsenz - der eines namhaften Autors, wie es ausdrücklich heißt - schmücken, aber zu eigenen Konditionen. Das Wohlbehagen der zahlenden Passagiere unterm karibischen Sonnen- oder Sternenhimmel soll unter der Anwesenheit des Geistesmenschen keinesfalls leiden, und es wäre ja auch naiv, etwas anderes auch nur in Betracht zu ziehen. Hier liegt ein Widerspruch vor, der sich bei allem guten Willen nicht auflösen lässt, denn:
    "Ein Schriftsteller ist immer bestrebt, Illusionen, ob durch Kaninchen aus dem Hut oder als Schlager, zu sprengen und die Welt in das Gesprengte strömen zu lassen, was auf See so gilt wie auf Land. Wer meine Lesungen an Bord besucht, wäre vor der Welt nicht sicher, wie weit das Schiff auch auf dem Meer ist."
    Nachdem der umworbene Autor die delikaten Stellen aus seinen Büchern aufgezählt hat, die sich seiner Ansicht nach für eine Lesung anböten, verweist er auf das Seerecht, das keinerlei Zuständigkeit für die Aufklärung von Tötungsdelikten auf internationalen Gewässern vorsieht. Mit anderen Worten: Er begäbe sich, nähme er die Einladung an, in keine geringe Gefahr, wenn er etwa eines Nachts noch an der Reling stünde,
    "… etwa am Heck des Schiffs, und das Geschäume tief unter sich betrachtet, während einer aus dem Publikum, noch beleidigt von dem Gehörten in allem, woran er glaubt, von hinten an ihn herantritt und, womöglich im Seerecht bewandert - gerade der pingelig Informierte ist doch schnell beleidigt - nur einmal zupacken und stoßen müsste, damit das rote Tuch von Autor, der Karibikverderber, verschwindet, ohne dass vor der Rückkehr nach Havanna irgendwelche Ermittlungen drohten …"
    Es bleibt dabei: Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt … Und Bodo Kirchhoff ist mit dieser eleganten Erzählung eine Parabel gelungen über nichts Geringeres als die mehr oder minder reellen Gefahren, denen ein Künstler sich aussetzt, so er sich bedenkenlos dem eitlen Getriebe der Welt ausliefert - das muss beileibe keine Karibik-Kreuzfahrt sein.
    Bodo Kirchhoff: "Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt."
    Frankfurter Verlagsanstalt, 2017.