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Paralympics
Goalball auch für Nichtbehinderte

Seit Mittwoch laufen in Rio die Paralympics. Zu den beliebtesten der 22 Sportarten zählt Goalball, ein Wurfspiel für Sehbehinderte. Es gilt als Musterbeispiel für Inklusion, denn es können zumindest national auch sehende Menschen mitspielen.

Von Ronny Blaschke | 10.09.2016
    Jungen und Mädchen aus der Kindertagesstätte Santa Clara im Favela Vidigal sitzen am 08.09.2016 mit den Spieler des deutschen Goalball-Teams im Olympischen Park in Rio de Janeiro (Brasilien) auf einer Zuschauertribüne.
    Kinder aus der Favela Vidigal mit Spielern des deutschen Goalball-Teams (picture alliance / dpa Jens Büttner)
    Die Zuschauer halten sich zurück. Still muss es sein, damit die Spieler die kleinen Glocken im Inneren des Balles hören können. Nur so erahnen sie seine Richtung auf dem Feld und können ein gegnerisches Tor mit ihrem Körper verhindern.
    "Es war ungewohnt, sich einfach auf das Hören zu verlassen, das Sehen komplett wegzulassen. Und dann trotzdem noch mal einen Ball zu fangen, zu werfen. Und damit dann so agieren zu können, war einfach was ganz Besonderes",
    sagt Tobias Vestweber. Er ist Videoanalyst des deutschen Goalballnationalteams, das seit 2004 nun erstmals wieder an den Paralympics teilnimmt. Der 25-Jährige selbst darf in Rio nicht mitspielen, denn er kann ohne Probleme sehen. Eine medizinische Seltenheit. Denn im Alter von 16 ist er in kurzer Zeit fast vollständig erblindet. Vestweber wechselte auf eine Spezialschule und begann mit Goalball. In seiner Heimatstadt Marburg wurde er Jugendmeister, Deutscher Meister, Nationalspieler. Ab 2012 kehrte seine Sehfähigkeit langsam zurück. International aber dürfen die Spieler maximal eine Sehkraft von zehn Prozent haben. National ist das anders, sagt der Lehramtsstudent Tobias Vestweber.
    "In Deutschland ist es so, dass in der Bundesliga ein Sehender mitspielen darf, so dass das Ganze auch inklusiv stattfinden kann."
    Verständnis füreinander
    Inklusion: die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Neben Goalball gibt es andere Teamsportarten, in denen Nichtbehinderte unkompliziert mitwirken können, zum Beispiel Sitzvolleyball. Bei solchen Spielen wachse das Verständnis füreinander, sagt Thomas Abel, Professor für paralympischen Sport an der Sporthochschule Köln. Lehramtsstudierende werden dort auch mit Rollstuhlbasketball vertraut gemacht. Sie nehmen einen Rollstuhl nicht mehr nur als Einschränkung war, sondern als faszinierendes Sportgerät. Aber ist dieses Prinzip für Schulen erschwinglich? Thomas Abel:
    "Wenn wir jetzt sagen: wir haben einen Schüler mit einer Behinderung, der einen Rollstuhl im Alltag braucht und deshalb brauchen wir gleichzeitig jetzt noch neun weitere Stühle, damit die Klasse gemeinsam Rollstuhlbasketball spielen kann, das ist schwierig, das wird nicht jede Schule leisten können. Bei vielen anderen Sportarten ist es gar nicht so kompliziert. Es ist gar nicht so, dass man sagen muss, wir brauchen erstmal ganz besondere Hallen und dann brauchen wir ganz besonderes Material. Und dann brauchen wir die Ausbildung der Lehrer. Und in zwanzig Jahren können wir irgendwie loslegen. Sondern ich glaube, wir können das deutlich schneller machen. Man muss manchmal auch Mut haben zu improvisieren. Das soll nicht willkürlich sein, nicht gefährdend sein."
    Hoffen auf Öffnung für Nichtbehinderte
    Tobias Vestweber ist in seinem Verein Blista Marburg auch als Trainer, Schiedsrichter und Funktionär tätig. Er würde sich freuen, wenn paralympische Sportarten wie Goalball sich mehr öffnen würden für nichtbehinderte Sportler. Die Anforderungen dafür sind lösbar: Schulungen für Trainer und Lehrer, spezielle Bälle und Spielfeldlinien. Vestweber hofft, dass die deutschen Goalballer mit einer paralympischen Medaille Werbung machen. Damit auch andere Sportler seine positiven Erfahrungen nachempfinden können.
    "Früher war mir der Umgang mit Sehbehinderten und Blinden suspekt. Es herrschten viele Vorurteile. Und dadurch, dass man dann selber so was mal erlebt hat, kriegt man einfach ein anderes Bild. Nicht nur auf Sehbehinderte und Blinde, sondern auf Menschen allgemein. So dass es einfach zwischenmenschlich einfach was ganz anderes ist, was mir dann eigentlich Goalball beziehungsweise diese ganze Lebensgeschichte gebracht hat."