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Paralympics
Rückenwind für die Behindertenrechte?

Vor den Olympischen Winterspiele in Sotschi wurde bislang viel über die Diskriminierung von Homosexuellen und die Missachtung von Menschenrechten gesprochen. Dabei soll die Situation von Menschen mit Behinderung in Russland außerordentlich schlecht sein. Im Vorfeld der Paralympics hat die russische Regierung viel in den Behindertensport im Land investiert. Alles nur Propaganda? Oder der Beginn von Veränderungen?

Von Hendrik Maaßen | 04.01.2014
    Es wäre einfach schwarz zu malen. Die paralympischen Winterspiele im russischen Sommerbadort Sotschi – eine Fehlbesetzung. Das größte Wintersportfest der paralympischen Bewegung soll in einem Land stattfinden, in dem viele Menschen mit Behinderung, auch Kinder, unter schrecklichen Bedingungen in Heimen abseits der Städte leben? Abgeschoben und alleingelassen? Der russische Journalist Aleksej Efremow aus der Region Stawropol, dicht bei Sotschi, drückt es noch freundlich aus.
    "Für uns ist das ein ganz neues Thema, Behinderung. Bei uns in Stawropol und in anderen Städten gibt es zu wenig Infrastruktur für Behinderte. Zum Beispiel gibt es keine Busse mit einem tiefen Einstieg. Aber natürlich gibt es hier nicht weniger Behinderte, als in anderen Städten auf der Welt. Bei uns sieht man diese Menschen aber nicht auf der Straße. Sie existieren, aber wir sehen sie nicht. Ohne fremde Hilfe kommen sie nicht aus ihren eigenen Wohnungen. Es gibt keine speziellen Fahrstühle, oder andere Hilfsmittel."
    Als Russland 2007 vom Internationalen Olympischen Komitee den Zuschlag für die Winterspiele bekam war die Skepsis, gerade bei Behindertenverbänden, groß. Doch mit der Vergabe ist in der russischen Politik etwas passiert. Auch Dinge, die im deutschen Behindertensport bislang nicht möglich sind. In mehreren barrierefreien Leistungszentren trainieren Athleten für die Spiele. Sie werden genauso gefördert, wie nicht behinderte Sportler. Andrej Strokin, Vizepräsident des russischen Behindertensportverbands:
    "Natürlich, selbstverständlich werden sie gleich bezahlt. Sie bekommen die gleichen Preisgelder für Siege bei Weltmeisterschaften und bei Paralympischen Spielen. Sie sind absolut auf der gleichen Ebene, wie andere Sportler. Das ist auch die grundlegende Position der russischen Regierung: Wenn wir schon von einer Gleichberechtigung von Menschen mit einer Behinderung sprechen, dann kann es hier auch nicht anders sein."
    Sotschi als Blaupause für ganz Russland
    Doch das ist auch Propaganda und soll den ersten Platz im Medaillenspiegel sichern. Und ohne Zweifel verändert das nicht die Situation der zig tausend diskriminierten Behinderten Menschen, die keine Spitzensportler sind. Dennoch haben die Paralympics in Sotschi schon jetzt einen Stein ins Rollen gebracht, meint Eva Werthmann vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC):
    "Als die Spiele vergeben wurden hat man sich dazu entschieden Sotschi als Vorbild für den Rest von Russland aufzubauen in Sachen Barrierefreiheit, dass es da als Blaupause dienen kann für andere russische Städte. Es ist dann auch in Russland ein entsprechendes Gesetz verabschiedet worden, um in ganz Russland die Barrierefreiheit zu fördern."
    Und wenn vom 7. bis 16. März die besten paralympischen Athleten der Welt um die Medaillen laufen, schießen und fahren, dann werden so viele Menschen wie nie zuvor dabei zuschauen können. Denn das IPC hat schon jetzt mehr Fernsehsender als in Vancouver 2010 gewinnen können. Das heißt: Rekord-Zuschauerzahlen und -Sendezeiten sind möglich. Bei den Ticketverkäufen sieht es noch nichts so gut aus:
    "Der läuft langsam an, man sieht steigende Zahlen, es sind noch einige Tickets auf dem Markt. Die Internationalen Verkäufe sind besser als in Vancouver, national kann da sicher noch ein bisschen passieren. Und uns wurde vom Organisationskomitee versichert, dass alles dafür getan wird, dass die Ränge nicht leer bleiben und dass wir soviele Zuschauer wie möglich in den Stadien haben."
    …sagt IPC-Sprecherin Werthmann.
    Was auch immer das heißen mag. Bei den Paralympics in Athen wurden noch eilig Schulklassen auf die Tribünen gesetzt. In Peking allerdings, füllten sich die Ränge wegen der Olympiabegeisterung und günstigen Eintrittspreisen wie von selbst. Und das, obwohl die Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderung in China ganz ähnlich wie in Russland war.
    Eva Werthmann:
    "nsere Hoffnung ist, dass wir diesen Menschen, die in Russland mit einer Behinderung leben auch zeigen, was möglich ist. Was man trotz einer Behinderung leisten kann und dadurch, dass wir jetzt schon mehr als 50 Stunden Sendezeit im russischen Fernsehen gesichert haben, werden das die Menschen auch sehen können."
    Die Paralympics in Sotschi bieten auch die Möglichkeit Millionen Russen ohne Behinderung zu erreichen. Je mehr Medaillen die russischen Athleten gewinnen, desto eher wird in dem größten Land der Erde diskutiert werden, über die Rollen von behinderten Menschen in der Gesellschaft. Für Erfolge hat die russische Regierung mit dem staatlich finanzierten Spitzensport den Grundstein gelegt. Die Paralympics in Sotschi sind eine Chance für Russlands Menschen mit Behinderung, sie können nur gewinnen, denn verlieren können sie nichts.