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Parawaning
Handtuchkrieg war gestern

Im Urlaub vor Sonnenaufgang aufstehen, um am Strand den besten Platz mit einem Handtuch zu sichern: Wer diese Masche an der polnischen Ostseeküste noch anwendet, ist definitiv out. Der neue Trend heißt Parawaning. Denn: Wer hip sein will, grenzt sich ab.

Von Katarzyna Tuszynska | 06.09.2015
    Im polnischen Seebad Sopot brennt die Sonne vom Himmel. Selbst im Herbst herrschen oft noch sommerliche Temperaturen. Heute ist die Ostsee ruhig und es ist windstill. Trotzdem verstecken sich einige Sonnenanbeter hinter ihrem Windschutz, dem Parawan. Darunter auch das frisch gebackene Ehepaar Kamila und ihr Ehemann aus Schlesien.
    "Hinter dem Windschutz ist man etwas intimer. Wir sind ja erst eine Woche verheiratet. Wir haben es nicht so gerne, wenn jeder zu uns herüber glotzt."
    Mauern aus Stoff
    Wie Kamilia denken viele polnische Strandbesucher. Früher diente der Parawan als Windschutz am Strand. Heute grenzen sich die Polen damit voneinander ab. Und das auf möglichst viel Fläche möglichst nah am Wasser. Die Polen nennen diese Art von Wettbewerb Parawaning. Selbst Alteingesessene können sich diesem Trend nicht verschließen. Dazu gehören Tomasz Rosiak und seine Frau. Sie leben seit rund 60 Jahren in Sopot. Vor zwei Wochen legten auch sie sich ihren weiß-marieneblau gestreiften Windschutz zu, sagt Tomasz Rosiak:
    "In dieser Saison konnten wir den Windschutz gut nutzen. Es ist unangenehm, wenn ich die Beine meines Strandnachbarn an meinem Kopf habe. Jeder von uns hat eine Privatsphäre. Manche Menschen benötigen dafür einen halben, andere einen Meter. Wenn man sich also etwas voneinander abgrenzt, macht das Sinn."
    Wettbewerb mit strengen Regeln
    Das Parawaning folgt strengen Regeln: Wer als Erster seine Holzstäbe zum Spannen des Parawans in den Ostseestrand steckt, ist Sieger. Einige Urlauber stehen deshalb sogar morgens um fünf Uhr auf, reservieren sich einen Platz in der ersten Strand-Reihe und gehen wieder ins Bett.
    Nach dem Frühstück kommen sie zu ihrem Platz und genießen den Tag. Dabei stehen die Parawans dicht an dicht bis an die Wasserkante. Wer beispielsweise am Strand spazieren gehen oder aufs Meer schauen möchte, hat schlechte Karten. Dieses Treiben beobachten die Angehörigen der Anti-Parawaning Fraktion kopfschüttelnd. An den polnischen Stränden sind sie allerdings die Minderheit. Dazu zählen Wiesława und Jerzy Zawadzcy:
    "Das ist schrecklich. Der Strand gehört allen und jeder soll einen freien Blick aufs Meer und freien Zugang zum Strand haben. Ich bin gar nicht mit dem Parawanig einverstanden. Das sieht schlecht aus und ist nicht in Ordnung! "
    "Ich stimme meiner Frau zu. Sich vor dem Wind zu schützen ist in Ordnung. Aber seinen privaten Bereich am Strand zu beanspruchen widerspricht dem polnischen Geist. Solche Strände sind traurig und wenig zugänglich und abscheulich."
    Zweifelhafte Anblicke
    Wenig übrig haben Wiesława und Jerzy Zawadzcy auch für Herren, die eine Art von, wie sie finden, Exhibitionismus betreiben. Touristen und manch ein Bewohner von Sopot sind mit freiem Oberkörper in der Stadt unterwegs und besuchen in diesem Aufzug sogar Bars und Kneipen. Dabei geht das in Polen gar nicht. Nackte Oberkörper sind lediglich am Strand erlaubt. Selbst in den strandnahen Restaurants wie dem "Bulaj" sollten sich Gäste angemessen anziehen. Barkeeper Krzystof Sandak zeigt denn auch auf ein Schild an der Tür: Zutritt nur in Badekleidung ist verboten, ist dort zu lesen:
    "Besonders an heißen Tagen ist das weit verbreitet. Männer kommen nur in Badehose herein. Diesen Anblick mag nicht jeder Gast. Schon gar nicht abseits der Strände in der Stadt."
    Während der Barkeeper erzählt, mixt er fleißig Prosecco und Aperol mit Eiswürfeln und Orangenscheiben. Das hat sich Kamila bestellt. Sie hat ihren Platz hinter dem Parawan verlassen, um sich eines der hippen Getränke zu gönnen. Denn das einstige polnische Nationalgetränk Wodka hat ausgedient. Wie der Parawan stehen Aperol Spritz Prosecco und Co. ganz oben auf der Trendliste.