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"Paris des Nahen Ostens" unwiederbringlich verloren?

In Beirut wachsen hässliche Betonklötze in den Himmel, die nicht nur das Stadtbild, sondern auch die gesamte Lebenskultur der Stadt verändern. Das hat in den letzten Monaten vor allem junge Aktivisten auf den Plan gerufen, die vor einem neuen "Dubai der Levante" warnen.

Von Birgit Kaspar | 13.07.2010
    Gewaltige Abbruchhämmer fressen sich durch die traditionellen Viertel Beiruts. Sie zerstören Häuser im osmanischen Stil oder im Art-Deco-Stil der französischen Mandatszeit mit ihren Spitzbogenfenstern, Rundbögen sowie den vor gelagerten reich verzierten Balkonen. Ebenso ergeht es den zwei- bis dreistöckigen typisch levantinischen Häusern aus beigefarbenem Naturstein mit roten Ziegeldächern. Inklusive ihrer satt grünen Gärten mit blühenden Oleander, Magnolien- und Maulbeerbäumen, der Lunge Beiruts. Die Architektin und Stadtplanerin Simone Kosremelli hat resigniert:

    "Es ist vorbei. Ich bin sehr pessimistisch. Das traditionelle Beirut ist zerstört. Es ist zu spät. Die Seele der Stadt ist verschwunden."

    Das, was der Bürgerkrieg vom alten Beirut übrig gelassen hatte, wird jetzt vernichtet, jeden Tag ein Stück mehr, beklagt die Architektin Mona Hallak, Aktivistin der Organisation für den Erhalt des Kulturerbes - APSAD:

    "Der Krieg hat die Stadt nicht in dem Maße zerstört, wie es jetzt der Bauboom tut. Der Krieg hat die Wände zerlöchert, aber das hier bringt eine dramatische Veränderung: Es entwurzelt die Stadt und ihre Bewohner. Es ist traurig und wir brauchen ein viel größeres Bewusstsein dafür."

    Die Organisation APSAD ist seit Mitte der 90er-Jahre aktiv. Mona Hallak gesteht ernüchtert, sie habe in 13 Jahren intensiver Lobbyarbeit nur ein einziges altes Gebäude retten können – das Barakat-Haus im Stadtteil Sodeco. Es soll 2012 als "Beit Beirut", einem interaktiven Museum für Stadtgeschichte und Kultur eröffnet werden. Hallak begründet die erschreckende Bilanz so:

    "Es geht um Geld. Wie auch immer wir das Problem betrachten, wir landen beim Geld. Bauland in Beirut ist extrem teuer und die Besitzer dieser alten Häuser verdienen nicht genug mit ihnen, um ihren Unterhalt zu bestreiten."

    Darum müssen die traditionellen Gebäude weichen. An ihrer Stelle schießen Betonhochhäuser aus dem Boden mit zehn, 20 oder sogar 50 Stockwerken. Ohrenbetäubender Baulärm gehört in der 1,5-Millionen-Metropole zum Alltag. Aktivisten und Architekten sind überzeugt, dass in Beirut eine Immobilienmafia am Werk ist. Es seien Libanesen aber vor allem Investoren und Spekulanten aus den Golfstaaten mit besten Kontakten zur Politik.

    Pascale Ingea führt im Stadtteil Ashrafieh zu einigen Opfern der allgegenwärtigen Abrissbirnen. Die 33-jährige Kunstmalerin hat auf Facebook die Bürgerinitiative "Stopp die Zerstörung deines Erbes" ins Leben gerufen.
    Die zarte aber entschlossene junge Frau zeigt auf ein bis auf zwei Stockwerke abgerissenes typisch levantinisches Haus, aus dessen heraus gebrochenen Fenstern der Bauschutt quillt. Sie habe gemeinsam mit anderen Aktivisten erreicht, dass die Zerstörung unterbrochen wurde, sagt Ingea. Die jungen Libanesen, die sich für den Erhalt der traditionellen Beiruter Stadtkultur einsetzen, haben derzeit Unterstützung im Kulturministerium. Minister Salim Wardy erklärte ein zeitlich begrenztes Moratorium für den Abriss alter Häuser in ausgewählten Vierteln. Er versucht nun, ein Gesetz zum Schutz des architektonischen Erbes durchzusetzen. Es ist nicht das erste Mal. Seit 1997 schlummert ein ähnlicher Gesetzentwurf in den Schubladen der Parlamentarier. Denn es fehlt der politische Wille, die Profitgier ist stärker. Pascale Ingea:

    "Die Libanesen legen keinen Wert auf ihre Vergangenheit. Dabei ist es sehr wichtig, unsere Geschichte ist Teil unserer Identität. Wir müssen die Erinnerung an die Erbauer unseres Landes bewahren."

    Doch wenn der Trend anhält, dürfte das ehemalige "Paris des Nahen Ostens" bald auf eine große Shopping-Mall mit glitzernden Wolkenkratzern und schicken Nachtclubs reduziert werden.