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Paris und der Hochwasserschutz
Üben für die Jahrhundertflut

Sequana, "die schnell Fließende" - so heißt eine keltische Flussgöttin, die der Seine ihren Namen verliehen hat. Jetzt hat Frankreich eine riesige Katastrophenschutzübung nach der Göttin benannt. Zwei Wochen lang wird im Großraum Paris eine Jahrhundertflut simuliert. Statistisch betrachtet ist eine solche längst überfällig. Die letzte Hochwasserkatastrophe ereilte die Metropole im Jahr 1910.

Von Bettina Kaps | 15.03.2016
    Der Strand der Seine wird jedes Jahr im Sommer zur Party-Hochburg.
    Der Strand der Seine: Nach Kalkulationen der OECD muss Frankreich bei einer Jahrhundertflut mit direkten Kosten in Höhe von 30 Milliarden Euro rechnen. (picture alliance / dpa / Ian Langsdon)
    Sondersendung im französischen Fernsehen: Zehntausende Menschen werden evakuiert, sagt der Nachrichtensprecher. An der Pariser Austerlitz-Brücke hat die Seine schon einen Pegelstand von 7,60 Meter erreicht. Flussaufwärts ist die Vorstadt Alfortville komplett überschwemmt, flussabwärts ist das Büroviertel La Defense von der Außenwelt abgeschnitten. Paris erlebt eine Katastrophe wie im Jahr 1910, damals stoppte der Pegel der Seine bei 8,62 Meter.
    Diese Nachrichten sind zum Glück fiktiv, die Überschwemmungsbilder im Fernsehen hat der Computer simuliert. Aber weil Paris mit einer solchen Hochflut rechnen muss, übt die Stadt jetzt zwei Wochen lang für den Ernstfall. Es ist eine der größten Katastrophenschutzübungen, die jemals in Frankreich abgehalten wurden. Matthieu Clouzeau, Pariser Stadtdirektor für Sicherheit und Unfallverhütung, leitet einen von 87 Krisenstäben, die das Hochwasserszenario durchspielen.
    "Die Vorhersagen über ein Jahrhunderthochwasser der Seine in Paris erhalten wir erst drei Tage zuvor. Einige Partner müssen ihre Geräte und Einrichtungen aber schützen, bevor die Flut tatsächlich angekommen ist. Der Stromkonzern ERDF muss seine Transformatoren isolieren, also Strom abschalten, bevor die Seine steigt. Die Eisenbahngesellschaft SNCF muss Weichenstellwerke schützen."
    Die Überflutungen würden wohl zuerst die östlichen Vorstädte treffen
    In Paris wurden jetzt Dämme und Hochwassersperren getestet, mit denen es vielleicht sogar gelingen kann, die Seine in ihrem Bett zu halten. Diese Schutzmechanismen gingen allerdings auf Kosten der Vorstädte, räumt der Stadtdirektor ein.
    "Diese Art von Kanalisierung des Flusses wird das Wasser flussaufwärts anstauen und die Überschwemmungen dort verschlimmern. Flussabwärts wird es wie ein Siphon wirken und den Wasserdruck erhöhen, das müssen wir alles in Betracht ziehen. "
    Als gesichert gilt, dass die Überflutungen zuerst die Vorstädte östlich von Paris treffen werden, wo Seine und Marne zusammenfließen. Dort haben 400 Soldaten, Polizisten und Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz jetzt den Einsatz geprobt. Ein Feuerwehr-Kommandant steht am Ufer eines großen Sees und informiert den Polizeipräfekten von Paris.
    "Wir haben die Evakuierung eines Altenheims mit rüstigen, aber auch pflegebedürftigen Menschen simuliert, das von der Außenwelt abgeschnitten worden ist. Andere Einwohner wollten mit ihren Autos flüchten und sind - so die Annahme - von den Wassermassen überrascht worden. Unsere Taucher suchen jetzt nach vier Verunglückten."
    An dem Manöver beteiligen sich Taucher der spanischen Guardia Civil, Helfer aus Italien, Belgien und Tschechien sind ebenfalls im Einsatz. Denn im Ernstfall ist damit zu rechnen, dass Frankreich über den europäischen Zivilschutz-Mechanismus Hilfe anfordern wird. In Paris selbst drohen die größten Gefahren im Untergrund, sagt Stadtdirektor Matthieu Clouzeau:
    "Dort sieht es heute völlig anders aus als bei der Flut von 1910, die für uns bisher als Maßstab gilt. Von damals wissen wir, wo die Seine über die Ufer treten kann, aber wir haben gar keine Anhaltspunkte, was unterirdisch geschehen kann."
    U-Bahnen, Parkhäuser, Kanalisation, Strom- und Kommunikationsnetze - der Pariser Untergrund wird oft als Schweizer Käse bezeichnet. Die Stadt ist teilweise acht Stockwerke tief. Die Geografin Magali Reghezza betont, dass eine Überschwemmungskatastrophe nicht nur den Großraum Paris, sondern ganz Frankreich, ja sogar Europa in Mitleidenschaft ziehen kann.
    "Paris ist eine sogenannte "global city". Die Stadt gehört zu den transnationalen Kommandozentren, die in Sachen Wirtschaft, Finanzen, Kultur und Tourismus stark vernetzt sind. Wenn eins dieser Zentren getroffen ist, löst das folgenschwere Kettenreaktionen aus."
    Nach Berechnungen der OECD muss Frankreich bei einer Jahrhundertflut der Seine mit direkten Kosten in Höhe von 30 Milliarden Euro rechnen, die indirekten Folgen lägen noch sehr viel höher.